Sechs utopische Thriller. Conrad Shepherd

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Sechs utopische Thriller - Conrad Shepherd


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Wong erwies sich auf der Fahrt vom Hotel zum Rimtec-Institut als höflich und bestens informiert. Er steuerte den Hover selbst. Das blau lackierte Gefährt schlängelte sich geschickt durch breite Boulevards und schmale Gassen. Unterwegs zeigte Wong Conroy die Sehenswürdigkeiten, an denen sie vorüberkamen, und wies auf ihre Besonderheiten hin, als hätte er nie etwas anderes in seinem jungen Leben getan.

      »Sie sind gut informiert, Mr. Wong«, bemerkte Conroy.

      »Für einen Chinesen, meinen Sie?« Wong zeigte seine schneeweißen Zähne. »Das gehört zu meinen Tätigkeiten, Sir.«

      »Und was sind das für Tätigkeiten, Mr. Wong?«

      »Erster Sekretär, Hausmeister, Chauffeur«, zählte er auf, »Mechaniker, Pilot – und Stadtführer. Suchen Sie sich etwas aus.«

      Conroy schwieg verblüfft, bis der Hover vor dem Institut zum Stehen kam.

      Poul Devlin erwartete sie bereits am Fuße des Treppenaufganges mit den steinernen Drachenköpfen links und rechts.

      Er war ein mittelgroßer Endvierziger mit leicht angegrauten Schläfen, der in seinem weißen Anzug kühl und wie einem Modejournal entsprungen wirkte.

      »Bleiben Sie sitzen, Doktor Conroy«, bedeutete er ihm und stieg zu ihnen in den Hover. »Wir müssen gleich zu Haan, der Abflugtermin hat sich etwas nach vorne verschoben. Mein Gott, wir haben uns lange nicht gesehen, Morton. Ich glaube, es war während eines Kongresses in Budapest, oder?«

      Conroy schüttelte den Kopf. »Bukarest«, sagte er. »Bukarest.«

      »Potzblitz«, lachte Devlin jovial und klopfte sich auf die Schenkel. »Budapest – Bukarest. Ich verwechsle das noch immer. Wie geht's Ihnen denn?«

      Sie schüttelten sich die Hände.

      »Am liebsten gut«, erwiderte Conroy mit einem hintersinnigen Lächeln.

      Devlin spielte seinen Part ausgezeichnet.

      Wie Nomi McIrnerny schien auch dieser Louie Wong nicht in die geheimen Tätigkeiten des Rimtec-Institutsleiters eingeweiht zu sein.

      »Wie war denn der Flug?«, erkundigte er sich und gab Louie Wong das Zeichen zum Weiterfahren.

      »Miserabel«, hielt Conroy mit. »Schlechter Service. Schlechtes Publikum. Ich saß die ganze Zeit neben einem nach Knoblauch stinkenden Teppichhändler aus Beschmagar. Zu allem Überfluss sind wir über Aden mitten in ein Gewitter hineingeraten. Der Anschluss in Delhi war natürlich weg, und ich musste stundenlang auf den nächsten Carrier warten.«

      »Ich hoffe, Sie haben sich inzwischen von den Unannehmlichkeiten des Fluges erholt, Mort.«

      »Aber ja, Poul«, erwiderte Morton.

      Devlin bot Conroy eine Zigarette an.

      Eine Weile rauchten sie schweigend, während das Allround-Faktotum des Institutes den Hover geschickt durch die durcheinanderwogende Menschenmenge des mittäglichen Verkehrs von Schrinagar lenkte.

      Schließlich erreichten sie die Vororte und fuhren entlang des Flusses, bis sie das eingezäunte Areal Ray Haans erreicht hatten. Wong brachte den Hover zum Stehen.

      »Warten Sie hier, Louie«, bedeutete ihm Poul Devlin. »Ich bin gleich wieder zurück.

      »Ich werde warten, Herr«, sagte Wong auf Kantonesisch.

      »Du sollt nicht diese alte Sprache sprechen«, erwiderte Devlin ebenfalls in Kantonesisch, »und nenne mich nicht immer Herr.«

      Conroy tat so, als verstünde er kein Wort. Er griff sich seine Tasche und stieg aus.

      »Viel Glück, Doktor!«, wünschte ihm Louie Wong. »Geben Sie acht, dass Sie nicht einem Yeti begegnen dort oben in den Bergen. Ich warne Sie. Es könnte gefährlich werden.«

      »Das Leben ist immer gefährlich«, sagte Conroy kurz. »Und setzt man über einen Fluss, so ist es schon Jahrhunderte vorher vom Schicksal bestimmt, wie Tseng-kuang sagt.«

      Haan erwartete sie im Hangar vor einem unauffällig lackierten Cargo-Hover. Die seitliche Schiebetür stand offen; Haans indischer Mechaniker wuchtete wortlos Conroys Reisegepäck ins Innere. Conroys Blick fiel auf schwarze Multiplastikbehälter, die im Ladebereich festgezurrt waren.

      Eine Furche bildete sich über seiner Nasenwurzel. Als Soldat wusste er, was in diesen Kisten üblicherweise transportiert wurde: Schnellfeuergewehre, Munition, Handgranaten! Dann erinnerte er sich daran, dass Haan neben seinen sicher zahlreichen Tätigkeiten vor allen Dingen die eines Waffenschmugglers ausübte und zuckte mit den Schultern.

      »Ich hoffe nur, wir kommen in keine Kontrolle der Luftpolizei«, sagte er und wies kopfnickend auf die Ladung.

      Ray Haan griente und schob seinen Zigarrenstummel in den anderen Mundwinkel.

      »I wo«, erwiderte er, »mit Sicherheit nicht.«

      »Haben Sie bekommen, worum ich Sie bat?«, erkundigte sich Conroy.

      »Liegt schon drin.« Der Pilot deutete mit dem Daumen über seine Schulter. »Ein Firefly II in Carbon-Kevlar. Extrem leicht, extrem strapazierfähig. In Schwarz, wie gewünscht. Kostet Sie nicht mehr als zweitausend.«

      »Mr. Devlin wird diese Kleinigkeit gern übernehmen«, versicherte ihm Conroy. Devlin nickte bestätigend, ohne zu wissen, worum es sich handelte. »Wollten Sie nicht starten, sobald wir hier sind?«, fragte er lediglich.

      Haan nickte. »Wenn Doktor Conroy bereit ist, dann sehe ich keinen Grund für eine weitere Verzögerung.«

      *

      In den späten Abendstunden war leichte Bewölkung aufgezogen, hinter der der Vollmond von Zeit zu Zeit verschwand. Conroy wurde nur langsam wach. Der Mond warf einen breiten Lichtstreif quer über das Bett. Er döste vor sich hin und starrte blicklos durch das Halbdunkel zur niedrigen Decke empor. Der Flug nach Thilen hatte keine Probleme verursacht. Alles war glatt über die Bühne gegangen. Nach einer Weile schaute er auf die Uhr. Es war kurz vor elf. Er streckte sich noch für einen kurzen Moment aus, dann strampelte er die Decke beiseite und glitt aus dem Bett. Er schlüpfte in seine Kleider und zog die wattierte Jacke über, ehe er die Tür öffnete und auf die Terrasse hinaustrat.

      Die mit Felsbrocken beschwerten Flachdächer von Thilen bildeten ein ungleichmäßiges Mosaik, das bis zum Indus hinunterreichte. Die gigantischen Schluchtwände standen wie schwarze Schattenmauern vor dem Nachthimmel. Drüben am anderen Ufer bellte ein Hund. Irgendwo in den Häusern weinte ein Kind, ansonsten war alles still und friedlich.

      So still und friedlich, wie Conroy es schon lange nicht mehr erlebt hatte.

      Er zündete sich eine Zigarette an, und im gleichen Augenblick glitt der Mond hinter einer Wolkenbank hervor. Er war so hell und klar zu sehen, dass Conroy versucht war, nach jenem Krater Ausschau zu halten, in dem STRALAG-II lag. Dann nannte er sich einen Narren; das Straflager der FSA lag auf der erdabgewandten Rückseite des Mondes.

      Der Sternenhimmel war in dieser Höhe von einer unglaublichen Klarheit und Schönheit. Die schimmernden, unzähligen Lichtpunkte erstreckten sich bis an den Horizont, wo die aufragenden Gipfel ihnen gefährlich nahezukommen schienen.

      Conroy warf die halb gerauchte Zigarette weg, atmete tief den Duft der Erde ein und fragte sich, warum nicht alles auf der Welt so einfach und unkompliziert sein konnte wie dieser Moment? Nur dastehen und schauen. Das kostete nichts als ein wenig Zeit, aber man bekam so unendlich viel dafür...

      Ein kalter Wind umwehte ihn und riss ihn aus seinen elegischen Betrachtungen. Er erinnerte sich mit leisem Schaudern daran, dass das Ziel seines Auftrags nicht mehr als eine Flugstunde entfernt lag. Er zog die Schultern hoch, drehte sich um und ging hinein.

      Im Hotel war alles ruhig. Aus der kleinen Halle schlug ihm warme, abgestandene Luft entgegen.

      Der


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