Eisaugen. Margit Kruse

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Eisaugen - Margit Kruse


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ans Geschehen. Wollte hören, was der Pfarrer zu sagen hatte. Doch das machte das Mädchen nicht wieder lebendig. Christels Nachbar Michael stand weiter hinten an einen Baum gelehnt. Erst lief ihm die Frau weg, dann erwürgte man seine Geliebte.

      Kurze Zeit später, als ungefähr die Hälfte der Trauergäste am Grab Abschied genommen hatte, sah Christel Margareta und ihre Mutter zum offenen Grab schreiten. Was haben die denn da verloren?, dachte sie. Die müssen ihre Nase aber auch in alles stecken. Da es ihr hinter den Büschen zu ungemütlich wurde und sie außer den drei Personen niemanden kannte, trat sie den Heimweg an.

      7.

      Als Walter Hartmann auf seinem Heimweg an Sabines Grab vorbeikam, blieb er stehen, klemmte seine abgewetzte Aktentasche zwischen die Beine und faltete die Hände zum Gebet. Die Kränze, die nicht fachmännisch auf Ständer hinter dem Erdhügel drapiert waren, lagen übereinandergestapelt auf einem Haufen. Die Schleifen hatte man aus lauter Neugier an den Seiten herausgezogen, um sie besser lesen zu können. Eine Ermordete auf unserem Friedhof, dachte er. Soll sie die ewige Ruhe finden. Wer weiß, warum man sie umgebracht hat? Frauen! Pah! Erst machen sie einen scharf und dann zieren sie sich. Immer das gleiche Spiel. Er hätte Iwona am liebsten erwürgt, als sie ihn so kalt abserviert hatte. Die ist es, sagte er sich noch, als sie Kuchen essend vor dem Fernseher saßen, seine Mutter, Iwona und er. Die Sonntagnachmittage waren immer so harmonisch. Seine Mutter kochte ihr Pfefferminztee, weil sie keinen Kaffee vertrug. Mutti meinte: »Sie passt zu dir, mein Junge. Endlich hast du die Richtige gefunden!« Am Samstagabend war er bei ihr gewesen. In ihrer schönen kleinen Neubauwohnung hatten sie es sich bei einem Glas Wein gemütlich gemacht.

      »Sag mal, du nicht ziehen Mantel aus?«, hatte sie ihn gefragt, als er sich nach dem gemeinsamen Spaziergang in voller Montur aufs Sofa setzte.

      Ich werde nicht lange bleiben, sagte er sich. Sonst ist Mutti so allein.

      Er schaute durch die offene Küchentür und blickte auf die neue Waschmaschine, die er ihr von seinem knappen Lohn geschenkt hatte. Eine echte Miele W 3741, für 999 Euro.

      Sie trug das rote Kostüm, in das er ebenfalls investiert hatte. Vor Dankbarkeit war sie ihm um den Hals gefallen und hatte ihn auf beide Wangen geküsst. »Du so gut zu mir!«, hatte sie mit Tränen in den Augen zu ihm gesagt.

      Waschmaschine, Kostüm, unzählige Essenseinladungen, Parfüm, prall gefüllte Einkaufskörbe im Supermarkt. Alles Investitionen, die sich nicht rentiert hatten. Wollte er ihr an den Busen fassen oder ihr den Rock öffnen, zierte sie sich, sprang unter irgendeinem Vorwand auf und verschwand aus dem Zimmer, um kurz darauf mit geordneten Klamotten wieder den Raum zu betreten. Wozu also den Mantel ausziehen? Ihm schien, als ekelte sie sich vor ihm. Er fühlte sich ausgenutzt. Die Zeit lief. Drei Monate und viel Geld waren scheinbar verschenkt.

      Wie lange musste man wohl zudrücken, bis so ein Leben ausgehaucht war?, fragte er sich, immer noch an Sabines Grab stehend. Frauen meinen, sie können sich alles erlauben. Spielen mit ihren Reizen, machen einen verrückt und zeigen dann die Rote Karte. Falsches Gesindel!

      Er nahm seine Tasche und ging seines Weges. Heim zu Mutti an den gedeckten Tisch. Mutti war ehrlich. Mutti machte ihm nichts vor. Sie würde ihn trösten. Iwona war schließlich nicht die einzige Frau auf der Welt.

      »Habe ich kennengelernt Landsmann von mir. Passen besser zu mir. Du verstehen?«, waren ihre letzten Worte heute Morgen am Telefon. Nein, er verstand nicht! Ich werde sie umbringen. Dann hat der Landsmann auch nichts mehr von ihr. Von der schönen, blonden Iwona.

      Ehrfürchtig saß er hinter dem Steuer des noblen Daimlers. Sie lag auf der Rückbank, mit verklebtem Mund und auf dem Rücken gefesselten Händen. Die Augen vor Angst weit aufgerissen. Es war weit nach Mitternacht. Windgeräusche und monotones Motorbrummen zeugten von einer Autobahn. Stolz lenkte er das große Fahrzeug. Ein vorbeisausendes Schild. Haltern am See? Er nahm die nächste Abfahrt. Gar nicht mehr schön sieht sie aus, die blonde Iwona aus Warschau, sagte ihm beim Blick in den Rückspiegel ihr angstverzerrtes Gesicht.

      Häuser, Läden, in weiter Ferne der nächtliche See. In einen einsamen Feldweg bog er ein.

      »Jetzt gehörst du mir, du alte Nutte!«, sagte er mit zynischem Gesichtsausdruck. Seine John-Wayne-Stimme war ihm fremd.

      Sie schloss zitternd die Augen. Große Bäume, weitläufige Felder, versteckte Häuser. Er durchfuhr eine Villengegend. Niemand hinter ihnen, kein vorbeihuschendes Auto. Einsamkeit auf weiter Flur.

      Der Wagen fuhr in eine Einfahrt und hielt vor dem kleinen Tor, das er mit einem funkgesteuerten Gerät öffnete. Das Prasseln von Kies war zu hören. Der Daimler stoppte. Eine Garage tat sich auf und der Wagen verschwand. Walter stieg aus, öffnete die Fondtür und zerrte Iwona aus dem Auto. Der Eukalyptusgeruch, der sie aus seinem Mund streifte, verursachte ihr Übelkeit. Brutal schlug er auf sie ein. Sie blutete aus der Nase. Augenblicklich donnerten Fäuste auf ihren Kopf. Das Letzte, was sie wahrnahm, bevor sie in tiefer Bewusstlosigkeit versank, war ein derber Schweißgeruch, den selbst Walter an sich bemerkte.

      Als sie erwachte, hatte er ihr bereits das Klebeband vom Mund entfernt und ihre Fesseln gelöst. Schlaff hingen ihre Arme herunter. Stöhnend saß sie an die Garagenwand gelehnt. Walter setzte sich neben sie und öffnete ihr die vollgeblutete Kostümjacke. War schließlich sein Kostüm, hatte er bezahlt. Er wusste, dass sie sich nicht wehren würde. Wenn doch, bekäme sie eben noch was auf die Fresse. Iwona wimmerte und spuckte Blut.

      »Warum du tust das mit mir?«

      »Weil du das brauchst, du Nutte!« Er kam sich groß vor. Mit Gewalt bekommt man alles im Leben, dachte er selbstgefällig.

      Er schleppte sie zu einer Werkbank am Ende der Garage. Iwona mobilisierte den Rest ihrer Kräfte und trat ihn gegen das Schienbein. Walter schrie auf. Er warf sie auf die Werkbank, und bevor er sie darauf festband, schlug er wieder auf sie ein. Zwischen Bohrmaschine, Zangen und Schraubzwingen begann sie zu schreien. Walter holte eine Rolle Paketband aus seiner Hosentasche und verklebte ihr erneut den hübschen Mund, in dem vorn schon ein Zahn fehlte. Nun war endlich wieder Ruhe.

      Zärtlich strich er ihr über das blonde, wellige Haar. »Jetzt wirst du bezahlen, zuerst für die Waschmaschine!«

      Er griff nach einer großen Zange, holte mit dem Arm weit aus und schlug sie ihr mitten auf den Kopf. Plogg, machte es. Ein dumpfes Plogg und Iwona war auf dem Weg in den Nuttenhimmel. Da, wo sie hingehörte. Nachdem er ihr den Rock hochgeschoben und den Slip heruntergerissen hatte, öffnete er seine olivfarbene Cordhose aus den 80ern und holte seinen kleinen Freund heraus, der sich wohlig reckte und streckte. Gerade als er sich das rote Kostüm bezahlen lassen wollte, spürte er eine Hand in seinem Gesicht und hörte eine ihm wohlbekannte, vertraute Stimme.

      »Was ist denn, Walterchen? Hast du schlecht ge­träumt? Du hast so laut geschrien, da bin ich wach geworden.«

      Schweißgebadet setzte er sich auf. Sein Schlafanzug roch nach Szegediner Gulasch. Erschöpft ließ er sich wieder auf sein Kissen fallen. Sein Herz raste und ihm war schlecht. »Ich hatte einen Albtraum, Mutti.«

      »Oh, du armer Junge, ich mach dir einen Tee. Dann geht es dir bald besser!«

      »Nein, geh nicht, Mutti, bleib hier!« Seine Hände krallten sich in das verblichene Flanellnachthemd der alten Frau, die mit ihrem langen grauen Zopf gespenstisch aussah.

      Der arme Junge, dachte sie, wenn er nur endlich eine vernünftige Frau fände. Dass ihr Walterchen schon über 50 Jahre alt war, verdrängte sie hartnäckig.

      Wie souverän er den Wagen heute Nacht gelenkt hatte. Die Wirklichkeit sah leider anders aus. Völlig verstört von seinem bösen Traum machte Walter sich auf den Weg zur Bushaltestelle. Seine Führerscheinprüfung hatte er nach der 78. Fahrstunde und dem dritten Anlauf zwar im Sommer vor drei Jahren bestanden, doch sein Auto, einen blauen Opel Astra, hatte er nach drei Monaten schweren Herzens wieder verkauft. Die Probleme, die er mit dem Linksabbiegen hatte, waren unüberwindbar, und nur mit Geradeausfahren und Rechtsabbiegen kam er nicht dorthin, wo er hinwollte. Seine letzte Fahrt endete am Nordring in Buer auf dem Mittelstreifen. Einen Tag später holte ein Arbeitskollege den Wagen dort ab. Aus der Traum von der mobilen


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