Eisaugen. Margit Kruse

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Eisaugen - Margit Kruse


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ihm eine Flasche Ramazzotti. Seelenruhig schüttete sie die braune Flüssigkeit in die Gläschen und schob eines davon Margareta direkt vor die Nase.

      »Auf meine Tochter Sabine!«, prostete die Wirtin ihrem Gast zu und leerte ihr Glas in einem Zug. Welch ein makaberes Verhalten, dachte Margareta.

      Karin Pöschl starrte auf die Pokale, die auf der rechten Wand in einem Regal standen. »Alle von meiner Tochter! Reiten war ihr Leben!«

      Margareta schämte sich, hier einfach so hereingeplatzt zu sein. Zaghaft nippte sie an ihrem Ramazzotti, dessen Wärme sich sofort in ihrem Mund und wenig später auch in ihrem Magen ausbreitete.

      »Wer macht so etwas? Weiß man schon Näheres?«

      Karin Pöschl zuckte mit den Schultern. »Ich zermartere mir seit Tagen das Hirn. Die Fragen der Kripobeamten haben Löcher in meine wunde Seele gefressen … Meine Schwiegermutter hält mich für kalt, weil ich weiterarbeite als sei nichts geschehen, mein Mann ist wie versteinert, spricht kein Wort mit mir!«

      »Es tut mir leid, dass ich hier einfach so aufgekreuzt bin!« Margareta legte ein Geldstück auf die Theke, bedankte sich höflich und wollte das kleine Reiter­stübchen wieder verlassen. Ich bin schon genauso pietätlos wie meine Mutter. Wieso musste ich hierherkommen?

      »Dabei hat sie nur Stiefel wegbringen wollen, zur Reparatur. Das hat sie jedenfalls gesagt. Sie wollte sich mit einem Mann auf dem Parkplatz an der Trauerhalle treffen. Er hat da jemanden, der das günstig unter der Hand macht. Man muss ja sehen, wo man bleibt. Doch der hat ein Alibi. Die Stiefel hatte er im Kofferraum. Er hätte ihr nichts getan … sagt er. Danach fuhr sie wohl zu ihrem Freund. Wir wussten gar nicht, dass sie einen hatte. Ein verheirateter Mann.« Mit starrem Blick räumte Karin Pöschl die Gläser weg und wischte die Theke ab. Margareta verließ ohne ein weiteres Wort den dunklen Raum und machte sich klopfenden Herzens zu Fuß auf den Heimweg.

      Stiefel zur Reparatur gebracht!

      Unter der Hand!

      Karol repariert auch Stiefel!

      Auf einem Friedhofsparkplatz übergab man Stiefel zur Reparatur. Heiße Ware! Wie Drogen gehandelt!

      Woher bekam Karol eigentlich seine Reparaturaufträge? Hat er etwas damit zu tun? Er oder sein Strohmann? Wer war sein Strohmann?

      Karol lag bäuchlings auf Margaretas Bett und gab ein zufriedenes Brummen von sich, während Margareta ihm mit dem Zeigefinger seinen muskulösen Rücken entlangfuhr. Es war bereits weit nach Mitternacht, aber sie spürte keine Müdigkeit. Sie war seit ihrem Besuch im Reiterstübchen der Pöschls völlig aufgewühlt. Auch der leidenschaftliche Sex mit dem smarten Polenbürschel hatte sie nicht beruhigen können. Im Gegenteil. Ständig musste sie an die Stiefel denken, die Sabine einem Strohmann übergeben hatte. Zwei Tage später wurde sie umgebracht.

      »Karol?«, fragte sie.

      »Ja.«

      »Woher bekommst du die Schuhe? Wer bringt sie dir?« Sie musste es einfach wissen. Würde ihr die Frage nicht so unter den Nägeln brennen, hätte sie ihn wahrscheinlich heute nicht hineingelassen. Okay, der Sex mit ihm war eine gute Dreingabe, noch mehr interessierte sie allerdings, wie er an die Schuhe kam, die er reparierte.

      »Ist doch egal. Wieso willst du das wissen? Hast du mir deshalb die Tür geöffnet? Was soll das?«

      Aus dem Radio erklang Caterina Valentes »Sag mir quando, sag mir wann, sag mir quando, quando, quando …«, als Karol wütend aus dem Bett sprang, sich nervös seine Haare nach hinten strich, zum Fenster rannte, das Rollo ein wenig zur Seite schob und hinaussah.

      »Natürlich habe ich dich nicht nur deshalb reingelassen. Du bist eine Granate im Bett, komm schon her!« Schalte einen Gang zurück, sagte sie sich. Sie wusste, wie wütend ihr Liebhaber werden konnte, wenn nicht alles nach seiner Pfeife tanzte.

      »Sex. Nur Sex. Mehr willst du nicht von mir. Als Mensch interessiere ich dich überhaupt nicht!«

      »Oh, nicht wieder die alte Leier. Bitte.« Sie zog ihn an der Hand zurück ins Bett und küsste seine samtigen Lippen. Er stöhnte leise auf und schien ihre Frage vergessen zu haben. Sie kletterte über Karol, um ihm zu zeigen, wer hier die Stärkere war. Nach kurzem Kampf kniete Karol über ihr. Sie zerrte ihre Handgelenke aus seinem Griff und wandte den Blick ab. Dieser kleine Flickschuster, dachte sie wütend.

      Bedrückendes Schweigen. Liebevoll küsste er ihr Gesicht. Wenig später reagierte Margareta. Ihre Finger gruben sich fest in seinen Rücken. Sie kamen ein zweites Mal zur Sache.

      Als er gegen 2 Uhr in seine Jeans schlüpfte und sich sein Flanellhemd überwarf, zog er sie noch einmal zärtlich an sich. »Ein Mann bringt mir die Schuhe. Er hat mehrere Trinkhallen und nimmt die Reparaturarbeiten an. Dienstags und freitags kommt er. Immer abends.« Aus seinen warmen Augen schaute er sie liebevoll an. »Bist du nun zufrieden?«

      »Warum machst du so ein Geheimnis daraus?«

      »Ich habe Angst. Ich will nicht entdeckt werden!«

      Als sie ihn aus ihrer Wohnung gelassen hatte, lehnte sie sich erschöpft gegen die verschlossene Tür. Nein, Karol hat nichts damit zu tun, sagte sie sich. War sie sich da sicher?

      6.

      Christel stand bei Ostwind und fünf Grad Minus mindestens eine Stunde hier und starrte wie gebannt auf den winzigen, in der Wiese eingelassenen Grabstein. Ihr Mann Heinz Alshut lag unter dem Rasen eines Gemeinschaftsfeldes, welches an einen Soldatenfriedhof erinnerte. Der Schriftzug des Namens auf der kleinen Steinplatte war das einzig Persönliche, was den Toten von seinem Nachbarn unterschied. Eine ordentliche Gruft hatte er haben wollen, mit richtig schönem Grabstein und toller Bepflanzung. So viel wollte Christel jedoch nicht ausgeben von seinem, wie er immer sagte, ›sauer verdienten Geld‹. Ein Reihengrab wäre sogar günstiger gewesen als die Grabstätte auf dem Gemeinschaftsfeld. Doch da hätte sie sich ein Vierteljahrhundert um dessen Pflege kümmern müssen. Hier in seinem neuen Zuhause war alles im Preis mit drin. Rasenmähen, wann immer es nötig war. Keine saisonale Bepflanzung, kein Blumengießen, nichts. Wenn sie wollte, könnte sie eine kleine Vase neben der Steinplatte in den Boden drücken, mit frischen Blumen darin. Christel wusste nicht, ob sie es ihren Nachbarinnen gleichtun würde und das bescheidene Domizil ihres Göttergatten in ein Blumenmeer verwandeln sollte.

      War die innere Zerrissenheit, die sie quälte, eine Phase der Trauer? Heute war sie zum ersten Mal seit der Beerdigung an seinem Grab. Vor ihren Augen spulte sich ein Film ab. Ihr gemeinsames Leben im Schnelldurchlauf. War es ein glückliches Leben, welches sie an der Seite von Heinz 46 Jahre lang geführt hatte? Sie hatten einen Sohn. Friedbert, ihr ganzer Stolz. Außerdem hatte Heinz ihr Sicherheit und Geborgenheit gegeben, für sie gesorgt, wie es so schön hieß. War ihr Ernährer, aber auch ihr Bestimmer gewesen. Das Weib sei dem Manne untertan, galt für Heinz selbst nach Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes im Jahre 1958 und der Änderung des Partnerschaftsgesetzes 1977, nachdem längst die Gleichberechtigung in den meisten Haushalten Einzug gehalten hatte. Oh ja, bei Familienfeiern konnte er große Sprüche klopfen. Emanzipation sei für ihn eine Selbstverständlichkeit. »Nicht wahr, Christel? Bei uns läuft alles partnerschaftlich.« Solange ich alles so gemacht habe, wie er es wollte, dachte Christel wehmütig. Wie sehr hatte sie kämpfen müssen, einen Weg aus ihrer Unselbstständigkeit zu finden. »Lass mal, Christelchen, ich mache das schon, kann ein Mann viel besser.« Das Gefühl, beschützt zu sein, hatte einen hohen Preis.

      Jetzt war ihr Gebieter tot. Nun hatte sie die absolute Freiheit. Konnte tun und lassen, was sie wollte. Trotz ihrer 68 Jahre war sie gesundheitlich fit. Und doch fühlte sie sich müde und schwermütig. Das ist die Trauer, du wirst schon sehen, das ist die Trauer, sagte sie sich mehr als einmal.

      Es waren ja auch gute Jahre, die Jahre mit Heinz. Obwohl sie damals, als sie mit 22 Jahren geheiratet hatte, sehr schnell von ihrer rosaroten Wolke heruntergefallen und unsanft auf die Erde geplumpst war. Damals, als er ohne ihr Wissen so mir nichts, dir nichts ihren guten Job kündigte. Als sie sich morgens, wie immer, an ihren Schreibtisch setzen wollte, um ihr Tagwerk zu beginnen, war sie unsanft von ihrem Chef angesprochen worden. »Christel,


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