Eisaugen. Margit Kruse

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Eisaugen - Margit Kruse


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Hause kam, gemacht. Sie hatte gerne gearbeitet. In ihrem jungen Alter war sie bereits Bürovorsteherin gewesen, mit gutem Gehalt. 350 Mark netto hatte sie verdient.

      »Wir können das Geld doch gebrauchen, Heinz«, sagte sie ihm.

      »Meine Frau braucht nicht zu arbeiten«, erwiderte er, mit vollem Mund zwischen Frikadellen und Stampfkartoffeln.

      »Aber …«, wollte sie aufbegehren.

      »Mach das, was deine Pflicht ist und werde langsam erwachsen, basta.« Die Diskussion war für Heinz zu Ende. Wo wäre er denn da hingekommen, wenn seine Christel weiter im Büro gearbeitet hätte? Seine Kumpels auf der Zeche hatten ihn lange genug damit aufgezogen, mit seiner berufstätigen Frau. »Wer hat denn die Hosen bei euch an?«, haben sie gefragt, die Kumpels, in der Kaue nach der Schicht, mit schwarz umränderten Augen, noch nach der Dusche.

      Der vorbeiziehende Trauerzug riss Christel aus ihren Gedanken. Sie riskierte einen Seitenblick auf die ausgehobene Grube des Nachbarfeldes. Hier wird also das Mädchen ihre ewige Ruhe finden, dachte Christel. Sie wusste, dass heute die Beerdigung der ermordeten Sabine war. Aus Neugier hatte sie den Zeitpunkt ihres Friedhofsbesuchs so gewählt, um ein wenig der Beisetzung zuzusehen. Christel hatte das Mädchen vom Sehen gekannt. Sie war seit ein paar Wochen im Nachbarhaus ein und aus gegangen. Seit die Frau des netten Nachbarn mit ihren Kindern getürmt war, war Sabine das Liebchen eines verheirateten Mannes gewesen, was Christel nicht guthieß. Obwohl sie Sabine durchaus gemocht hatte. Stets hatte sie freundlich gegrüßt, ihren langen Pferdeschwanz keck nach hinten geworfen, wenn sie aus ihrem Auto gestiegen war. Ein hübsches Mädchen, fand Christel, so anders als all die anderen in ihrem Alter. Was warf sich dieses Naturkind einem verheirateten Mann an den Hals? Mehrmals in der Woche stand sie abends bei ihrem Liebhaber auf der Matte. Ihr Nachbar war mindestens 15 Jahre älter als das Mädchen. Und verheiratet! Und Vater zweier Kinder!

      Immer, wenn sie ihrem Sohn Friedbert ihre Bedenken äußerte, schüttelte er nur den Kopf. »Lass die beiden, die sind alt genug«, hatte er stets geantwortet. Er hat ja recht, sagte sie sich.

      Unsere Natter sind wir zum Glück losgeworden, dachte sie. Sie hatte Margareta nie gemocht und war froh, als sie oben aus Friedberts Haus auszog. Nie würde sie den Tag vergessen, als ihr Friedbert seine neue Freundin präsentierte. Mit strahlenden Augen, voller Stolz, schob er sie ins Wohnzimmer und stellte sie seinen Eltern vor. Christel spürte sofort, dieses Mal ist es anders. Das ist keine von seinen vielen sporadischen Bettgeschichten, die so schnell wieder vergingen wie ein Schnupfen. Die hier ist ein hartnäckiges Virus, das wir nur ganz schwer wieder loswerden. Und wie recht sie hatte. Drei Jahre hatte der liebe Friedbert unter der Margareta-Krankheit gelitten, bevor sie endlich auskuriert war. Ihr Gatte dagegen hatte die junge selbstbewusste Frau gemocht, die wusste, was sie wollte. Stundenlang konnten sie ausgiebig über irgendwelche politischen Themen diskutieren, miteinander scherzen und herzlich über alltägliche Dinge lachen. Politik hatte Christel nie interessiert. Heinz hatte ihr eingeredet, dass das für eine Frau unwichtig wäre. Eine Frau hat den Haushalt zu besorgen, um alles andere kümmert sich der Mann, war seine Devise. Trotzdem machte es sie wütend, wenn Heinz seinen Charme bei Margareta versprühte wie ein junger Gockel. Die Harmonie zwischen den beiden behagte ihr nicht.

      Alle Versuche Margaretas, sich Christel freundschaftlich zu nähern, schlugen fehl. Ihre Interessen waren einfach zu verschieden. Sie hatten sich nichts zu sagen. Margareta fand Christel noch schlimmer als ihre eigene Mutter, und bereits nach wenigen Monaten des Zusammenlebens in einem Haus begann sie, die Frau in der Wohnung unter ihr einfach zu ignorieren.

      Anstatt sich zu sagen, akzeptiere die Frau, die deinen Sohn so glücklich macht wie bisher kein weibliches Wesen, unterstützte Christel ihren Sohn sogar, als das alte Fieber bei ihm wieder ausbrach. Das Fieber unterhalb der Gürtellinie, das wie Feuer brannte und nur von unbekannten weiblichen Wesen, welche ebenfalls unter solch einer Krankheit litten, gelöscht werden konnte. Selbst als Margareta, gekränkt durch die Eskapaden ihres Partners, sich Hilfe suchend an Christel wandte und um Unterstützung flehte, ihrem Sohn gut zuzureden, damit ihre Beziehung nicht in die Brüche ginge, zeigte Christel ihr nur grinsend die kalte Schulter. Dabei konnte sie nicht einmal genau sagen, was sie an der Fast-Schwiegertochter so störte, denn eigentlich fand sie diese Frau gar nicht so übel. Christel hasste ihre Freundinnen, die den ganzen lieben langen Tag nur damit verbrachten, auf ihren Schwiegertöchtern herumzuhacken. Sie wollte niemals zu den hassgeliebten Schwiegermüttern gehören. Und dennoch machte sie der jungen Frau das Leben schwer. Vor allem als Heinz zu Margareta hielt, bohrte sich der Stachel der Eifersucht tief in ihr Herz und ließ sie Dinge tun, die gegen ihre Vernunft sprachen.

      Nun war sie fort. Bereits seit einigen Monaten. Was Friedbert seitdem anschleppte, blieb nie lange. Was er sich am Freitagabend aus irgendeiner Kneipe mitbrachte, entsorgte er oft schon samstags, spätestens jedoch am Sonntag nach dem Frühstück. Zurück blieben schmutziges Geschirr, übel riechende Bettwäsche und ein versifftes Badezimmer, um das sich Christel mit mütterlichem Tatendrang am Montag kümmerte. Wenn Friedbert von der Arbeit kam, waren alle Spuren des Wochenendspielzeugs beseitigt.

      Das hätte es zu ihrer Zeit nicht gegeben. Als sie 1960 Heinz kennenlernte, herrschten andere Gesetze. Moral und Anstand wurden in der christlichen Familie, in der Christel aufwuchs, großgeschrieben. Sex ohne Trauschein? Undenkbar. Ihre Mutter zählte ihr täglich auf, was dabei alles in die Hose gehen konnte. Ungewollte Schwangerschaft, uneheliches Kind, Schande über eine ganze Familie. So beschränkte sich das Austauschen von Zärtlichkeiten in der Zeit der ersten Verliebtheit auf verstohlene Küsse im Treppenhaus und ein wenig Parkbankgefummel im Sommer. Heinz war schon ein fescher Kerl in seiner Sturm- und Drangzeit, und es fiel Christel immer schwerer, ihn abzuwehren. Ihre Bedenken wischte er lachend beiseite. »Was soll das, wir heiraten doch sowieso.« So fieberte sie der baldigen Hochzeit entgegen. Damit alles seine Ordnung hatte. Eine Wohnung wurde gesucht, Altbau, mit Kohleheizung. Nur mit Trauschein zu bekommen. Die Hochzeit wurde zu Hause gefeiert. Das volle Programm, Zimmer ausräumen, vorkochen, Polterabend.

      Die Hochzeitsnacht war für Christel ernüchternd. Dachte sie noch morgens vorm Traualter, dass das süße Gefühl der Verliebtheit in der Nacht endlich seinen Höhepunkt finden würde. Geigende Engel vom Himmel, Glücksglöckchengeläut und das Gefühl zu schweben. Alles Schwindel. Was ihr von der Nacht blieb, waren Schmerzen, Muskelkater und versaute Bettwäsche. Ihr draufgängerischer, alkoholisierter Ehemann drehte sich, nachdem er bekommen hatte, was ihm laut Gesetz zustand, auf die Seite und war Sekunden später eingeschlafen. Christel hingegen weinte sich in den Schlaf.

      »Es wird bald besser«, tröstete sie die Mutter am nächsten Tag, als sie gemeinsam das Chaos der Hochzeitsfeier beseitigten. »Das ist eben das Los einer Ehefrau«, war deren Ansicht. Als Christel versuchte, mit ihrem Ehemann über ihr Problem zu sprechen, wurde er wütend. »Was willst du? Hast du nicht alles?« Nein, wollte sie sagen. Ich brauche Liebe und Zärtlichkeit.

      Als sechs Jahre später die Aufklärungsfilme Oswald Kolles in den Kinos liefen und Christel sich heimlich einen davon ansah, keimte Hoffnung in ihr, dass vielleicht auch Heinz einmal so ein zärtlicher, rücksichtsvoller Liebhaber werden würde. Als sie ihm gestand, solch einen Film angesehen zu haben, und ihm Einzelheiten davon berichtete, rastete er aus. »Wo bleiben da Sitte und Moral?«, wollte er wissen.

      War das alles?, grübelte sie immer öfter. Belanglose Gartenzaungespräche mit den Nachbarinnen, Wohnung putzen, kochen und einkaufen, darauf warten, dass der Ernährer müde von der Schicht heimkam? Oft sehnte sie sich zurück in ihr heimeliges Büro zu ihren Kolleginnen, die anderes zu verrichten hatten als die Hausfrauen von nebenan.

      Nach Friedberts Geburt wurde es besser. Das Gefühl, da sei etwas, was sie verpasste, wurde schwächer. Sie ging ganz in ihrer Mutterrolle auf.

      Sie suchte sich, nachdem sie das Grab ihres Mannes verlassen hatte, einen Beobachtungsposten hinter halbhohen Sträuchern. Mindestens 200 Menschen folgten dem mit roten Rosen geschmückten, hellen Sarg Sabines. Verständlich, bei einem so jungen Menschen, der tragisch ums Leben kam. Der sichtlich betroffene Pfarrer rang am Grab um Worte, die den Angehörigen Trost spenden sollten. Die Mutter, mit offenen langen Haaren und verweintem Gesicht, und der Vater, der aussah wie ein Waldbauer, stützten einander schluchzend. Zwei Kranzwagen mit einem Meer bunter Kränze und Gebinde standen


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