Die Blaue Revolution. Peter Staub
Читать онлайн книгу.bisher der demokratischen Kontrolle weitgehend entziehen.[25]
Auf diese Konzerne kam auch der Schweizer Autor Beat Ringger in seinem «System-Change-Klimaprogramm» zu sprechen: «Sechs der acht umsatzstärksten Unternehmen der Welt sind Öl- und Gaskonzerne – und auf den Plätzen 9 und 10 folgen die beiden weltweit grössten Autokonzerne. Diese Konzerne verteilen Geld, Macht, Privilegien.»[26] Und sie sind nicht bereit, ihre Macht und ihr Geld einfach so aufzugeben. Deshalb plädierte Ringger für «eine Ausweitung der Demokratie gegenüber der Macht der Konzerne.»[27]
Davon wird noch die Rede sein.
Bleiben wir kurz bei den Öl- und Autokonzernen. Dass sie sich so wichtigmachen konnten, hatte mit dem «Auto-Zeitalter» zu tun, wie es der amerikanische Wirtschaftsprofessor Jeremy Rifkin nennt: «Das Automobil war der Anker der zweiten industriellen Revolution.» Ein Grossteil des Weltbruttoprodukts war im 20. Jahrhundert auf die Produktion und den Verkauf der Abermillionen von Autos, Bussen und Lastwagen sowie auf alle Sektoren zurückzuführen, die dazu beitrugen. Dazu gehörten auch «alle Branchen und Unternehmen, die vom ‹Auto-Zeitalter› und dem Aufbau neuer Städte und Vororte profitierten, einschliesslich der Immobilienbranche, Einkaufszentren, Fast-Food-Ketten, Reisen und Tourismus, Themenparks und Technologie Parks … die Liste ist endlos.»[28]
Allerdings sieht Rifkin hier bereits eine schleichende Revolution im Gang, die sich auch in der Schweiz abzeichnet; die Veränderung des Mobilitätsverhaltens. In den grossen Städten der Schweiz, etwa in Basel oder Bern, verfügt bereits heute die Mehrheit der Haushalte über kein eigenes Auto mehr. Parallel dazu boomen Carsharing-Unternehmen wie die Genossenschaft Mobility. Rifkin analysiert die Veränderung des Verkehrssektors als «völligen Umbruch der Mobilität und Logistik auf der ganzen Welt». Dieser werde «eine Reihe gestrandeter Vermögenswerte» hinterlassen, deren Grösse noch nicht absehbar sei.[29] Denn Rifkin sieht es als weltweiten Trend, dass in städtischen Gebieten junge Menschen den Zugang zur Mobilität dem Besitz von Fahrzeugen bevorzugen. «Künftige Generationen werden in einer Ära intelligenter und automatisierter Mobilität wahrscheinlich nie mehr Fahrzeuge besitzen.»
Doch bis sich diese Entwicklung global auf die CO2-Produktion auswirkt, geht es viel zu lange. Abgesehen davon, dass in den automobiltechnisch noch unterversorgten, aufstrebenden Schwellenländern die Menschen danach gieren, auch endlich ein Auto zu besitzen. Im Jahre 2019 krochen gemäss Rifkin «1,2 Milliarden Autos, Busse und Lastwagen in dichten städtischen Gebieten auf der ganzen Welt herum.» Auch wenn Rifkin mit seiner Einschätzung richtig liegt, dass 80 Prozent dieser Fahrzeuge, «im Laufe der nächsten Generation durch die weitverbreitete Einführung von Carsharing-Diensten beseitigt werden»[30], stossen sie noch jahrelang täglich ihre CO2-Wolken aus.
Die Klimaerwärmung wird sich also weiter verschärfen. Ausser wir stoppen sie. Was nur global koordiniert möglich ist. Harald Lesch, Professor für Astrophysik in München, spricht deshalb davon, dass «eine global agierende Gesellschaft Brücken bauen sollte, statt Grenzen zu ziehen.» Der Trend sah zumindest bis zur Coronakrise ganz anders aus. Wie Lesch richtig erkannt hat, leben die Verlierer des herrschenden Systems in Afrika, in Asien und in Südamerika. «Irgendwann werden sie vor unserer Haustür stehen und ihren Anteil fordern. Da können wir nicht einfach sagen ‹Zurück mit euch!›, weil wir massgeblich für ihre Fluchtursachen verantwortlich sind.» Lesch meint, dass es solche «globale Ausgleichsströmungen» geben werde, «solange wir uns nicht solidarisch erklären mit allen anderen auf diesem Planeten.»
Die weltweite Migration wird neben dem Klimawandel das Problem der Zukunft sein: «Wir dachten immer, wir könnten unsere Abfälle in die Meere, die Atmosphäre oder den Boden entsorgen, jetzt kommt die Retourkutsche. Wir haben auf viel zu grossem Fuss gelebt und merken allmählich, dass die Party vorbei ist», sagt Lesch.[31]
Wie es um die weltweite Migration steht und warum das Thema ein jahrhundertalter Dauerbrenner ist, zeigt das nächste Kapitel.
1 www.welt.de/wissenschaft/article205617497/2020-war-der-weltweit-waermste-Januar-seit-Beginn-der-Aufzeichnungen ↵
2 www.spiegel.de/wissenschaft/antarktis-temperaturrekord-macht-forschern-sorgen-a-37c52743-6165-4e0d-be4d-20bb4e1ba504 ↵
3 «NZZ am Sonntag», Zürich, 9. Februar 2020 ↵
4 www.srf.ch/news/international/eroeffnung-des-50-wef-trump-lobt-thunberg-kritisiert-sommaruga-warnt ↵
5 www.nzz.ch/wirtschaft/die-schweiz-ist-nur-auf-den-ersten-blick-ein-umwelt-musterschueler-ld.1470064?reduced=true ↵
6 https://gruene.ch/medienmitteilungen/co2-gesetz-wichtiger-zwischenerfolg-fuer-mehr-klimaschutz ↵
7 www.srf.ch/news/schweiz/wef-bilanz-von-greta-thunberg-die-klimaforderungen-wurden-komplett-ignoriert ↵
8 www.klimareporter.de/international/paris-abkommen-die-laender-liefern-nicht ↵
9 www.srf.ch/news/international/weltweiter-klima-notfall-wissenschaftler-warnen-vor-unsaeglichem-menschlichem-leid ↵
10 www.zeit.de/wissen/umwelt/2019-09/sonderbericht-klimawandel-ipcc-report-ergebnisse-weltklimarat-klimaschutz ↵
11 www.mdr.de/wissen/weltmeere-so-warm-wie-nie-zuvor-100.html ↵
12 www.spiegel.de/wirtschaft/service/mckinsey-studie-zum-klimawandel-ergebnisse-sind-verheerend-a-0ccc0af4-6706-4a38-a4ef-38bdf570d9a6 ↵
13 «Der Bund», Bern, 27. November 2019 ↵
14 www.br.de/nachrichten/wissen/weltweite-kraftwerk-laufzeiten-sprengen-alle-klimaziele,RUxlPR9 ↵