Die Blaue Revolution. Peter Staub
Читать онлайн книгу.die in nur sechs Monaten mit über 160 000 Unterschriften zustande kam. Im Dezember 1987 sagten die Stimmberechtigten schliesslich mit 57% Ja zur Initiative. Dank diesem sowohl antimilitaristischen wie auch ökologischen Erfolg blieb die Fläche der Moore und Moorlandschaften in der Schweiz seither stabil. Obwohl diese Feuchtgebiete mit 190 Quadratkilometern bloss rund 5 Promille der Landesfläche ausmachen, beherbergen sie rund einen Viertel der bedrohten Pflanzenarten der Schweiz.[8]
1 www.songtexte.com/songtext/fleetwood-mac/dont-stop-6b8cde2a.html ↵
2 Rustemeyer, Angela: Dienstboten in Petersburg und Moskau 1861-1917, Stuttgart, 1996 ↵
3 Voigt, Christian: Robert Grimm: Kämpfer, Arbeiterführer, Parlamentarier, Bern, 1980 ↵
4 Volin: Die unbekannte Revolution, Hamburg 1983 ↵
5 Serge, Victor: Erinnerungen eines Revolutionärs 1901 – 1941, Hamburg, 1977 ↵
6 Serge, Victor, aao, Seite 145 ↵
7 www.mdr.de/zeitreise/kronstadt-matrosenaufstand-100.html ↵
8 www.swissinfo.ch/ger/kampf-um-ein-stueck-heimat-und-natur/6280552 ↵
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Die Zeit drängt – die Klimakrise verschärft sich
In den ersten Monaten des Jahres 2020 häuften sich die Nachrichten über ungewöhnliche Wetterphänomene. Nur zwei Beispiele: Der Januar 2020 war seit Beginn der Aufzeichnungen 1981 der wärmste erste Monat des Jahres. Nicht nur in Europa, sondern weltweit.[1] Und mit 18,3 Grad wurden in der Antarktis die höchsten Temperaturen seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen.[2]
Dass es höchste Zeit war, zu handeln, war allen klar, die sich ernsthaft mit dem Thema Klimaerwärmung befassten. So sagte beispielsweise der Ministerpräsident des deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg, der Grüne Winfried Kretschmann, der sich selbst in der politischen Mitte verortet, dass er manchmal Panikattacken habe, wenn er Berichte lese, «wie wir uns den Kipppunkten nähern, an denen der Klimawandel unumkehrbar wird.» Etwa als er eine Dokumentation über die Antarktis sah: «Es ist der grösste Eiskörper, 90 Prozent des Eises weltweit. Wenn man gesehen hat, wie dramatisch der Meeresspiegel steigt und die Erderwärmung in das filigrane Artensystem eingreift, dann denkt man schon: Schaffen wir das noch?» Der Permafrostboden taut viel schneller, als dies die Wissenschaft erwartet hat. «Wir haben noch zehn Jahre. Wenn es kippt, ist es gekippt, dann ist es unumkehrbar. So eine Situation haben wir normalerweise in der Politik nicht.»[3]
Die Dringlichkeit des Problems war mittlerweile so breit abgestützt, dass sogar das erzkapitalistische World Economic Forum in Davos im Januar 2020 die Nachhaltigkeit zum Leitthema seiner Tagung machte. Die Schweizerische Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga warnte in ihrer Eröffnungsansprache vor einer drohenden Klimakatastrophe. Sie sprach von den riesigen Feuersbrünsten, die im Vorjahr im Amazonas und in Australien Zehntausende von Quadratkilometern verbrannt hatten. Sie redete über die desaströsen Auswirkungen auf die Menschen und darüber, wie das ökologische Gleichgewicht aus den Fugen geriet.
Die Bundesrätin mit sozialdemokratischem Parteibuch sprach auch den dramatischen Verlust der Artenvielfalt weltweit an. Sie verglich die Biodiversität mit dem Pariser Eiffelturm: «Wenn man pro Tag eine Schraube aus dem Turm entfernt, geschieht erst zwar nichts. Früher oder später bricht allerdings der ganze Turm zusammen.»[4]
Einen konkreten Plan, wie die Schweiz beim Klimaschutz oder bei der Wiederherstellung einer lebendigen Biodiversität vorwärtskommen könnte, legte die Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation allerdings nicht vor. Dabei wäre das dringend nötig gewesen, hinkte die Schweiz ihren eigenen Ansprüchen doch weit hinterher.
Die Schweiz erhebt zwar seit 2008 eine Lenkungsabgabe auf fossile Brennstoffe wie Heizöl oder Erdgas, die zum Heizen gebraucht werden. Davon waren die Treibstoffe für den motorisierten Verkehr ausgenommen. Dabei entfielen auf diesen motorisierten Verkehr, ohne den Flugverkehr mitzurechnen, in der Schweiz rund ein Drittel der CO2-Emissionen. Deshalb wurden hier keine Fortschritte erzielt.[5] Das im Herbst 2020 verabschiedete neue CO2-Gesetz sieht zwar einige Verschärfung vor, «trotzdem reicht das neue Gesetz alleine absolut nicht aus, um der Klimakrise wirksam zu begegnen», wie das die Grünen richtig erkannten.[6]
Am Tag nach der Schweizer Bundespräsidentin hatte auch die damals 17-jährige Greta Thunberg ihren Auftritt am WEF. Sie wies darauf hin, dass trotz der weltweiten Demonstrationen auf der politischen Ebene faktisch nichts getan wurde, um den Klimaschutz zu stärken.
Die jungen Vertreterinnen der Klimabewegung Fridays for Future kritisierten die Ergebnisse der WEF-Tagung am Ende scharf. So sagte Thunberg, dass die Forderungen der Klimajugend «komplett ignoriert» worden seien. Auch Vanessa Nakate aus Uganda oder die Schweizer Aktivistin Loukina Tille warfen dem WEF vor, in einer «geschlossenen Blase» zu leben und sich in einer falschen Sicherheit zu wiegen.[7]
Aber nicht nur die Manager*innen blieben passiv. Bei den Regierungen zeigte sich das Versagen noch viel deutlicher. Dabei hatten die meisten von ihnen das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet, das verbindliche Ziele gegen die Klimaerwärmung vorsah. Und doch unternahmen sie so wenig, um diese bescheidenen Ziele zu erreichen, dass sie noch nicht einmal darüber sprechen wollten. Bis am 9. Februar 2020 hätten die Unterzeichnerstaaten des Paris-Abkommens ihre verbesserten Klimaziele einreichen sollen; nur gerade 3 von 184 Staaten hielten diese Frist ein.
Der Hintergrund: Das Pariser Abkommen sah eine regelmässige Steigerung der von den einzelnen Ländern festgelegten Klimaschutzbeiträge vor, weil die bisher zugesagten Beiträge für das Erreichen der Klimaziele nicht ausreichten. Bei der 26. Weltklimakonferenz der UNO, die ursprünglich im Herbst 2020 in Glasgow (COP26) geplant war, wegen der Corona-Krise aber verschoben wurde, sollten die Staaten detaillierter aufzeigen, was sie unternehmen wollten, um die Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad zu begrenzen. Diese neuen Ziele hätten sie spätestens neun Monate vor der COP26 ankündigen müssen. Doch an diese Frist hielten sich bloss die Marshallinseln, Surinam und Norwegen. Und diese verursachten gemäss des US-amerikanischen Thinktanks World Resources Institute gerade mal einen Tausendstel der weltweiten Treibhausgasemissionen. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Regierungen deren Länder, die für die restlichen 99,9 Prozent des CO2-Ausstosses verantwortlich waren, sich nicht um ihre eigenen Vereinbarungen kümmerten. Es reicht also nicht, einfach mit dem Finger auf den ökologisch unterbelichteten Präsidenten der USA zu zeigen, der das Klimaabkommen von Paris gekündigt hat. Wie etwa der Klimaökonom Reimund Schwarze vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung richtig erkannte, hat «das Paris-Abkommen ein riesiges Vollzugsdefizit».[8]
Dabei rennt der Welt die Zeit davon. Das sagen nicht nur Klima-Aktivist*innen, sondern auch Wissenschaftler*innen. In einer aufsehenerregenden gemeinsamen Erklärung warnten Anfang November 2019 mehr als 11 000 Forschende aus 153 Ländern vor einem weltweiten «Klima-Notfall». Ohne grundlegende Veränderung sei «unsägliches menschliches Leid» nicht mehr zu verhindern. Als Wissenschaftler*innen hätten sie die «moralische Pflicht, die Menschheit vor jeglicher katastrophalen Bedrohung zu warnen», sagte beispielsweise Co-Autor Thomas Newsome von