Die Blaue Revolution. Peter Staub

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Die Blaue Revolution - Peter Staub


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an der Russischen Revolution. Die Lektüre des bewegten Lebens Grimms politisierte mich. Ich lernte, dass die Welt nicht nur ungerecht war, sondern sich auch verändern liess. Wenn man sich organisierte, ein gemeinsames Ziel und einen Plan hatte.

      Mein antiautoritärer Charakter machte mich immun gegen die Ableger neolinker Politsekten, die damals an der Kantonsschule Olten den Ton angaben. Mit den Marxisten-Leninist*innen oder Trotzkist*innen lag ich aber nicht nur wegen ihres Personenkults in den Haaren, sondern auch, weil sie oft zu einfache Antworten auf die komplizierten Fragen der Zeit hatten.

      Das hinderte mich jedoch nicht, leidenschaftlich mit ihnen über Politik im Allgemeinen oder über spezielle Aspekte der Russischen Revolution zu diskutieren. Aufgrund meiner Lektüre betrachtete ich die Oktoberrevolution aus der Perspektive der russischen Anarchist*innen, die bereits kurz nach der Oktoberrevolution von Lenin und seinen Bolschewiki bekämpft worden waren. Mit einer gleichaltrigen Gymnasiastin, die aus einer gutbürgerlichen Familie stammte und mit ihren rund 19 Jahren eine glühende Verehrerin Leo Trotzkis war, stritt ich mich besonders gern.

      Der Aufstand der Kronstädter Matrosen erhält hier so viel Platz, weil die Russischen Revolution für die Geschichte der Menschheit wichtig war, indem sie zeigte, dass eine sozialistische Revolution möglich war und den Weg für zahlreiche Befreiungsbewegungen in der sogenannt Dritten Welt bereitete. Aber die Pervertierung der Russischen Revolution, die nicht erst mit Stalins Aufstieg zum Diktator, sondern viel früher begann, zeigte auch, dass nicht nur das Ziel, sondern auch der Weg dahin so wichtig ist, dass er gut geprüft werden muss.

      In meinen jugendlichen Disputen über den Aufstand von Kronstadt schälten sich auch ein paar Erkenntnisse meiner frühen politischen Bildung heraus, die für mich noch heute gelten:

      1 Geschichte ist machbar.

      2 Um die Welt zu verändern, braucht es ein Ziel und einen Plan.

      3 Der Zweck heiligt nicht die Mittel.

      4 Das Menschenrecht geht vor. Immer.

      5 Eine künftige, emanzipatorische Revolution muss eine weltweite sein.

      Während ich die Zeche für meine politische Einstellung und mein politisches Engagement später durch ein faktisches Berufsverbot bezahlte – dazu komme ich noch – machte meine damalige trotzkistische Diskussionspartnerin nach dem Gymnasium eine solide bürgerliche Karriere.

      Ich war also nie Kommunist, schon gar kein Parteikommunist. Ich war aber auch nie ein Antikommunist. Im Gegenteil: Den Antikommunismus betrachte ich als bürgerliches Spiegelbild des Stalinismus. Meine basisdemokratische Grundhaltung hat mich davon abgehalten, auf autoritäre Konzepte zu setzen oder einem Leader hinterherzuhecheln.

      Während ich in politischen Diskussionen auflebte, langweilte ich mich in den Klassenräumen des Gymnasiums. Ausser in den Fächern Deutsch, Geschichte und Englisch mochte mich der Schulstoff selten zu begeistern. Viel lieber steckte ich meine Energie in eine Schüler*innenzeitung, die ich mitbegründete. Im «Kaktus» schrieb ich erstmals einen politischen Kommentar. Mithilfe einer Broschüre der Demokratischen Juristen argumentierte ich gegen die Verschärfung der Strafgesetzordnung, in der öffentliche Aufforderungen zu Gewalt strafbar gemacht werden sollte. Die Vorlage wurde im Juni 1982 schliesslich deutlich angenommen. Später wurde ich persönlich mit dem neuen Gesetz konfrontiert. Und zwar genau in dem Bereich, in dem ich es kritisiert hatte. Es wurde verwendet, um unliebsame Stimmen zu verstummen zu bringen.

      Als in Zürich 1980 die Jugendunruhen ausbrachen, war ich als 18-Jähriger viel mehr an meinen politischen Büchern interessiert, als daran, auf die Strasse zu gehen. Zürich war für mich auch weit entfernt. Es dauerte jedoch nicht mehr lange, bis ich politisch aktiv wurde. Gegen Ende der Schulzeit, die ich Herbst 1982 mit der Matura abschloss, nahm ich erstmals an politischen Sitzungen und Kundgebungen teil.

      Die atomare Aufrüstung verhalf der Friedensbewegung in der Schweiz zu neuem Schwung. Ich begann, mich im Oltner Friedenskomitee zu engagieren. Este Demonstrationserfahrungen brachte ich mit, wuchs ich doch in einer Gegend auf, in der ein Atomkraftwerk geplant war. Anfang der 1970er-Jahre nahm ich als etwa 12-Jähriger erstmals an einer Anti-AKW-Demonstration in Olten teil. Daraus resultierte mein erster Akt des «Widerstands». Ich brachte einen Aufkleber mit dem Spruch «Nein zum AKW Gösgen – das Niederamt will leben» im Liftschacht des Wohnblocks an, in dem wir nun wohnten. Der Kleber war jahrelang sichtbar. Das AKW Gösgen wurde 1981 eingeweiht. Auch das sollte mich später noch beschäftigen.

      Doch zurück zum Friedenskomitee. Als Gruppe von Schüler*innen brachten wir etwas frischen Wind in den trägen Verein. Wir schritten zur Tat und organisierten in einem Vorort Oltens eine Platzkundgebung, mit der wir uns mit den Rothenthumer Landwirten solidarisierten, die verhindern wollten, dass die Armee in ihrer Moorlandschaft einen Waffenplatz mit Panzerpisten baute. Der Widerstand der Innerschweizer Bauern verknüpfte zwei Themen, die uns damals beschäftigten: die Armee und die Umwelt.

      Weil es zu dieser Zeit in der Schweiz noch keinen Zivildienst gab, drohte auch mir die obligatorische Rekrutenschule. Diese kam mir als antiautoritärer Charakter mehr als nur ungelegen. Und der Umweltschutz war mir nicht nur wegen des Engagements gegen das AKW wichtig. Ich kannte den Bericht des Club of Rome zu den Grenzen des Wachstums, der bereits 1972 veröffentlicht wurde.

      1982 eskalierte der Streit in Rothenthurm. Die Bauern zündeten nicht nur Warnfeuer an, auch Baracken der Armee gingen in Flammen auf. Der geplante Waffenplatz war zu einem nationalen Thema geworden. Also organisierten wir auf dem Feld eines fortschrittlichen Bauern in Winznau eine Kundgebung mit einem Warnfeuer, das ein paar Hundert Sympathisant*innen anzog. Obwohl ich einer der federführenden Organisatoren der Demonstration war, tauchte mein erstes aktives politisches Engagement später nicht in meiner Staatsschutz-Akte auf.


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