APEX. Ramez Naam

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APEX - Ramez  Naam


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      »Kuba ist immer noch scheißarm«, sagte Oscar. »Die liegen ganz weit hinter den USA, was die Industrie betrifft. Die sind nicht groß genug, um wie China oder wie Mexiko zu werden. Aber wenn sie Ja sagen können zu einer Technologie, zu der die USA und alle anderen reichen Länder Nein sagen … dann gibt es denen vielleicht einen Vorsprung. Lässt sie in einer Art und Weise vorankommen, in der wir es nicht können. Es gibt eine Menge an abgefahrener Biotechnologie da unten. Und jetzt vielleicht sogar auch Neurotechnologie.«

      Das brachte Rangan zum Grübeln.

      »Außerdem gefällt denen vielleicht die Idee von amerikanischen Flüchtlingen, die sich auf den Weg nach Havanna machen. Das ist gute Propaganda«, lachte Oscar.

      Dann änderte sich der Ton des Mannes. »Scheiße.«

      »Was?«, fragte Rangan und sein Körper spannte sich plötzlich an.

      »Verdammter Stockton«, sagte Oscar. »Er wird verdammt noch mal gewinnen.«

      Rangan atmete auf und spürte, wie er sich wieder entspannte. Es waren also nicht die Bullen.

      Eine weibliche Stimme drang durch den Wagen. Eine Nachrichtensendung.

      »… das ANN bestätigt, dass Präsident John Stockton in den Schlüsselstaaten Ohio und Illinois in Führung liegt. Diese kommen dann zu New York, Pennsylvania und Florida hinzu.«

      »Das ist richtig, Jane«, sagte eine andere Frauenstimme. »Wir können auf dieser Karte sehen, dass die einzigen Staaten, die Stanley Kim bislang anführt, Massachusetts, Rhode Island, Maryland und Vermont sind. Ungeachtet Senator Kims deutlichem Vorsprung bei den heute abgegebenen Stimmen hat Präsident Stockton zweiundzwanzig von den sechsundzwanzig Staaten für sich gewonnen, in denen die Wahlen bereits abgeschlossen sind.

      Damit hat er die Stimmen von fast hundertneunzig der zweihundertsiebzig Wahlmännern gesammelt, die er braucht, um das Weiße Haus behalten zu können …«

      »Verficktes Stück Scheiße«, rief Oscar und schaltete die Nachrichten aus.

      Rangan sagte nichts. Es ist nicht mehr mein Land, dachte er sich selbst.

      Sie fuhren schweigend weiter. Dann spürte Rangan, wie das Auto plötzlich langsamer wurde, und Oscar fluchte erneut.

      »Was?«, fragte er, während sich sein Körper aufs Neue anspannte. Ein schlechter Wahlausgang konnte die Bremsen nicht betätigt haben.

      »Stau«, sagte Oscar. »Da vorne ist ein Unfall.«

      »Unfall?«, fragte Rangan skeptisch.

      »Zur Hölle noch mal«, sagte Oscar. »Ich fahre jetzt ab von diesem verdammten Freeway. Jemand hat ein gottverdammtes Auto in die Luft gejagt.«

      »Was?« Rangan wollte sich aufsetzen, wollte sehen, was zur Hölle da vor sich ging. Aber Oscars Ermahnung kam ihm in den Sinn. Wenn du rausgucken kannst, dann können dich die Kameras auch sehen.

      Aber … jemand hatte ein Auto in die Luft gesprengt?

      Er fühlte, wie der Wagen scharf nach rechts ausscherte, abbremste und dann zügig beschleunigte, als er quer über die Fahrspuren in Richtung einer Ausfahrt fuhr. Dann bewegten sie sich wieder flüssig fort, bogen auf etwas ab, von dem er sicher war, dass es sich um eine Ausfahrt handelte, und bogen wieder und wieder ab.

      »Wir sind jetzt am Stadtrand von DC«, sagte Oscar.

      »Wir nehmen die Umgehungsstraßen um den Unfall herum und fahren dann wieder auf den Freeway.«

      Rangan knurrte. Er konnte die Stadtstraßen durch das Bewegungsmuster des Wagens spüren. Fahren. Anhalten an Ampeln. Abbiegen. Fahren. Halten. Abbiegen.

      Und dann hörte er Oscar wieder rufen: »Was zum Teufel?«

      Das Auto hielt plötzlich an.

      »Oh Gott«, sagte Oscar. »Da ist ein verdammter Aufstand.«

      

      

       22| KEINE ZUGESTÄNDNISSE

      

      Dienstag, 06.11.2040 Pryce lächelte und begab sich backstage auf John Stocktons Wiederwahl-Feier unter die Leute.

      Sie wäre lieber überall, nur nicht hier.

      Sie war ein Mitglied der Regierung, nicht Mitglied der Kampagne. Aber der Präsident hatte darauf bestanden, dass sie auf dieser Reise mit ihm kam. Wie auf so vielen anderen zuvor.

      Sie hoffte, dass Miles Jameson vielleicht hier sein würde. Dass sie ein paar Worte mit dem Ex-Präsidenten wechseln könnte. Aber der Mann, der John Stockton als seinen Vizepräsidenten auserwählt hatte und Stockton im Grunde die erste Amtsperiode als Präsident übergeben hatte, war nicht anwesend. Und seine Leute antworteten auf keine ihrer Nachrichten.

      Zumindest waren die Wahlen gut verlaufen. Texas hatte sie an die Spitze gebracht. In Wahrheit hätte es jeder der Dutzend Staaten sein können, deren Wahllokale um 21 Uhr östlicher Zeit schlossen, aber der Präsident entschloss sich, Texas zu benennen.

      Immerhin waren sie nun hier. John Stockton hatte seiner Kampagne befohlen, alles umzuorganisieren. Seine Wahlsiegfeier nach Houston zu verlegen, um sich hier in Solidarität mit der Stadt zu zeigen. Pryce konnte sich nur zu gut vorstellen, dass die Kosten dafür ruinierend hoch waren und dass Miami brüskiert reagierte angesichts dieser Entscheidung.

      Aber dann es war Stockton gewesen, der zu diesem Sieg vorgeprescht war und er hatte nicht vor, danach jemals wieder zu kandidieren.

      »Wir haben es geschafft!«, rief der Kampagnenmanager Larry Cline. »Dreihundertachtundfünfzig Wahlmänner! Und die ganze Westküste ist noch nicht einmal inbegriffen. Das ist ein Erdrutschsieg!«

      Das löste einen Jubel unter den erlesenen Mitgliedern und der Familie im privaten Zimmer backstage aus.

      Pryce beobachtete vom anderen Ende des Raumes, wie der Präsident seine Frau, seine Tochter und seinen Schwiegersohn Steve, einen Air-Force-Captain, dessen Karriere sie schon seit Längerem still beobachtet hatte, küsste und umarmte. Sogar sein Enkel Liam war noch hellwach, und der Präsident hob den Einjährigen unter dem offenen Beifall der kleinen Runde hoch in die Luft. Enkel und Großvater schienen ihre helle Freude an dem Spiel zu haben, bei dem der Präsident den Jungen quer durch den Raum trug und »Flugzeug« spielte.

      Und Pryce fragte die Bedienung nach einem weiteren Glas Perrier.

      Das Protokoll besagte, dass der Verlierer einen anerkennenden Anruf tätigen musste. Doch der Stolz und das Bedürfnis, seine Anhängerschaft wissen zu lassen, dass es ein enges Rennen gewesen war – auch wenn es das nicht war – ließen diesen Anruf üblicherweise erst erfolgen, wenn der Ausgang lange feststand.

      Also warteten sie. Pryce beobachtete und beobachtete den Präsidenten, während die Stunden vergingen. Die Resultate der Westküste kamen herein. Kalifornien hatte sich für Stockton entschieden. Washington hatte sich für Stockton entschieden. Es war ein offizieller Erdrutschsieg.

      Jedes Netzwerk, jeder Blog, jeder Wahlanalyst, jedes Expertensystem, jedes maschinelle Zählsystem und jeder Idiot, der rechnen konnte, bestätigte das.

      Und doch rief Stan Kim nicht an.

      Stocktons Enkel schlief ein. Der Präsident selbst mischte sich, sobald sich die Aufregung erst mal gelegt hatte, unter seine Mitarbeiter, dankte ihnen, machte Scherze, verteilte Umarmungen und High-Fives und hakte in Gedanken die Liste derer ab, die seinen speziellen Dank verdient hatten.

      Schließlich bemerkte Pryce, wie Larry Cline sich mit einem Grinsen im Gesicht seinen Weg zum Präsidenten bahnte, vermischt mit dem unmissverständlichen Ausdruck »Es gibt Arbeit«. Er sagte etwas zum Präsidenten und Stockton nickte. Sie wusste, was das bedeutete. Wenn Kim nicht anrufen würde, um seine Anerkennung auszusprechen, dann würde der


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