Neuland unter den Sandalen. Christoph Müller

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Neuland unter den Sandalen - Christoph Müller


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Olivensteinen und Joghurtbechern, den Resten meiner einfachen Mahlzeit, befand ich mich plötzlich mitten in einer Hochzeitsgesellschaft, die feierlich in das Kirchlein einzog. Ich hätte in den Boden versinken mögen vor Scham. Es blieb mir nur die Hoffnung, dass mich das Brautpaar für eine Art schmutzigen Kaminfeger hielt, der ihnen Glück für ihren Lebensweg mitgeben wollte.

      Nun öffnete sich das weite Tal der Garonne. Ganz in der Ferne, im Dunst des späten Nachmittags, konnte ich andeutungsweise eine Bergkette ausmachen: die Pyrenäen. Welch magisches Wort! Von nun an ging es spielend vorwärts. Ein leichter Rückenwind machte meine Freude vollkommen und animierte mich zu lautem Gesang.

      Bei der Vorbereitung meiner Pilgerreise war ich immer wieder auf Ortsnamen gestoßen, die seit dem Mittelalter das Herz eines jeden Pilgers höher schlagen lassen: Le Puy, Conques, Moissac. Le Puy lag schon weit hinter mir. Nun näherte ich mich Moissac. Ich freute mich sehr, diese berühmte Pilgerstätte besuchen zu dürfen.

      Bisher war ich nur wenigen Jakobspilgern begegnet, da diese die geteerten Straßen meiden. Doch vor Moissac überholte ich Dutzende von ihnen. Schritt für Schritt quälten sie sich ab. Mit ihren schwer beladenen Rucksäcken, an denen allerhand baumelte, glichen sie Hausierern, wie sie früher von Tür zu Tür zogen, um ihre Schuhbändel und Klamotten feilzubieten.

      Während ich auf dem Rad mühelos an ihnen vorbeizog, taten mir die Fußpilger aufrichtig leid. Ich wusste aber sehr wohl: Bald würde auch ich einer von ihnen sein, und dann würden andere mitleidig auf mich herabschauen.

      Zwar war mir noch nicht klar, wie die baldige Umstellung vom Rad auf die Füße gelingen würde, doch ich freute mich unbändig auf den Augenblick, da ich mein Rad (und mit ihm die Technik) auf die Seite legen konnte, um als einfacher Fußpilger weiterzuziehen.

      Moissac beeindruckte mich sehr. Leider fand in der Basilika eine Trauung statt, sodass mir ein Türsteher den Eintritt verwehrte. Immerhin durfte ich rasch einen Blick ins Innere der Kirche werfen.

      Glücklicherweise war um 19.30 Uhr ein Gottesdienst angesagt. Nach längerer Zeit konnte ich nun endlich wieder einmal mit einer Gemeinde Eucharistie feiern. Ich versteckte mich in der hintersten Bankreihe, denn als einziges „liturgisches“ Gewand hatte ich nur eine abgetragene Trainingshose, die mir nachts bei kühler Witterung als Pyjama diente.

      Ich hatte mich sehr auf diese Messe gefreut. Aber kaum in der Kirche, überkam mich eine solche Müdigkeit, dass ich die ganze Messe hindurch gegen den Schlaf ankämpfen und unaufhörlich gähnen musste. Das störte die Kirchgänger von Moissac aber nicht. Sie waren wohl schon an müde Pilger gewöhnt.

      Beim Hinausgehen nahm ich ein herumliegendes Pfarrblatt mit, um am Abend noch etwas geistliche Lektüre zu haben. Gerade als ich aufs Rad steigen wollte, kam ein betrunkener Mann auf mich zu. Er freute sich offensichtlich, in mir einen Kollegen anzutreffen. Wieder und wieder bot er mir seine halbleere Bierflasche an. Mir graute vor ihrem Inhalt. Ich machte immer neue Gründe geltend, warum ich im Moment überhaupt keinen Durst hätte, obwohl mir die Zunge am Gaumen klebte!

      Die Enttäuschung über meine Absage stand ihm ins Gesicht geschrieben. Es ging ja nicht um Durst oder nicht Durst, sondern um Gastfreundschaft. Nach langem Hin und Her nahm ich schließlich die Flasche in die Hand, allerdings so, dass ich den Daumen fest auf die unappetitliche Flaschenöffnung presste. Ich führte die Flasche zum Mund und tat so, als ob ich trinken würde. Etwas Bierschaum floss meinen Arm hinunter. Der Landstreicher nahm nun seinerseits einen großen Schluck, sichtlich stolz, einen Pilger mehr zu seinen Freunden zählen zu dürfen.

      Beim Zeltplatz angekommen, merkte ich, dass ich meine Sonnenbrille in der Kirche vergessen hatte. Ein schlimmer Verlust! Aber es war schon spät, und ich wollte noch vor Anbruch der Dunkelheit mein Zelt aufschlagen.

      Der Campingbesitzer führte mich im Halbdunkel an eine abgelegene Stelle. Ich musste mit dem Schlimmsten rechnen. Doch der Platz entpuppte sich als etwas vom Schönsten, was mir je begegnet war. Direkt am Fluss Tarn gelegen, hatte ich gleichsam einen kleinen Garten für mich allein. Im Dunkeln nahm ich ein Bad und legte mich zur verdienten Ruhe nieder. Ich hätte allen Grund gehabt, gut zu schlafen, doch es sollte nicht sein. In ca. 300 Meter Entfernung befand sich eine speziell für den TGV gebaute Strecke mit Eisenbahnbrücke. Die ganze Nacht über donnerten da in regelmäßigen Abständen diese eleganten Zugskompositionen vorbei. Der Fluss trug den Lärm weiter, sodass ich meinte, direkt neben den Bahngeleisen zu liegen. Zudem hatte ich nach meiner Begegnung mit dem Trinkkollegen heimlich und hastig einen ganzen Liter Cola hinuntergeleert. Das ausgeschlagene Gratisbier hätte mir ganz sicher besser getan.

      Ich konnte und konnte nicht einschlafen. Trotzdem, ich war rundum zufrieden. Ich fühlte mich in meinen vier „Wänden“ wie in einem Schloss. Wenn ich abends nach einem anstrengenden Tag ins Zelt kroch und hinter mir den Reißverschluss zuzog, kam ich mir vor wie ein Burgherr, der nach Überquerung des Burggrabens hinter sich die Zugbrücke hochzieht.

      Und wenn ein Heer von Stechmücken, durch das engmaschige Innenzelt nur wenige Zentimeter von mir getrennt, geduldig, aber vergeblich auf eine blutige Mahlzeit wartete, konnte ich einen Anflug von Schadenfreude nicht verbergen. Dann schlief ich ein mit den Worten von Psalm 27: „Mag ein Heer mich belagern, ich habe keinen Grund, mich zu fürchten. Denn der Herr beschirmt mich im Schutz seines Zeltes.“

       WIE EIN KAMEL NACH EINER LANGEN WÜSTENWANDERUNG

      13. Juli

      Ich war froh, als die Sonne endlich aufging. Ich hatte schlecht geschlafen, dennoch war ich guter Dinge. Das konnte man von den Stechmücken, die immer noch über meinem Kopf lauerten, nicht behaupten. Beim ersten Sonnenstrahl flogen sie hungrig und frustriert davon.

      Auf ein Bad im Tarn verzichtete ich gern, da sich das Wasser, in welchem ich mich gestern bei Dunkelheit erfrischt hatte, nun als eine schmutzige Brühe entpuppte, die von öligen Streifen durchzogen war.

      Dafür war der träge dahinfließende Fluss für mein Morgengebet ideal. Eine geistliche Lektüre lag auch bereit, denn ich hatte ja am Vorabend das Pfarrblatt mitgenommen. Es sah schon etwas mitgenommen aus, denn ich hatte im Zelt ein nasses Wäschestück daraufgelegt. Aber lesbar war es allemal. Als ich es gerade entsorgen wollte, traf mich fast der Schlag. Das Pfarrblatt war persönlich angeschrieben! Es gehörte einem Pfarrkind, das sein Eigentum vermutlich schon bald in der Kirche abholen wollte. Ich rückte und drückte das Blatt zurecht, so gut es ging. Dann legte ich es auf eine ebene Fläche und setzte mich einen Moment darauf, um ihm die nötige Glätte zu verleihen. Schließlich hängte ich Seite für Seite zum Trocknen an eine Wäscheleine, bündelte sie wieder zusammen und machte mich nochmals auf den Weg zur Kirche, um das Entwendete heimlich zurückzulegen. Ich hoffte natürlich, dass ich dabei auch meine Brille wieder finden würde. Aber leider – es gab keinen wunderbaren Tausch. So legte ich das Pfarrblatt an seinen Platz zurück und verließ die Kirche ohne Brille.

      Einmal mehr nahm ich mir vor, besser auf meine Habseligkeiten zu achten. Denn auf dem Jakobsweg werden einem alle Dinge zu kleinen, treuen Begleitern. Im Laufe der Pilgerreise werden sie einem lieb und vertraut, auch wenn es sich nur um eine Schnur oder einen Kugelschreiber handelt. Erst recht gilt das für eine Brille, durch die hindurch man schon so viel gesehen hat.

      Natürlich konnte ich mir eine neue kaufen. Aber das war nicht das Gleiche. Der neuen Brille würde das gewisse Etwas fehlen, nämlich das, was meine Augen durch die alte Brille hindurch und mit ihr gemeinsam auf der bisherigen Wegstrecke gesehen hatten.

      Mit einiger Verspätung fuhr ich wieder los. Ein heißer Tag kündigte sich an. Das mitgeführte Wasser wurde immer wärmer und weniger, und schließlich ging es ganz aus. Links und rechts waren nur vertrocknete Felder zu sehen. Der prallen Sonne ausgesetzt, stand da und dort ein einsames Pferd, das resigniert vor sich hinstarrte.

      Endlich tauchte ein Dorf auf. Wenn da auch mit keinem Brunnen zu rechnen war, so erhoffte ich mir wenigstens ein kleines Wirtshaus. Am Dorfeingang wies eine Tafel auf ein stattliches Restaurant hin. Doch es war geschlossen. Ich war empört. Da sitzen die Wirtsleute irgendwo am Meeresstrand und sonnen sich, jetzt, wo ein Pater aus Einsiedeln am Verdursten ist und ihre Hilfe dringend


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