Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke - Walter  Benjamin


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Trauer Satan schrickt, versucht er. Als Initiator leitet er zu einem Wissen, das da zum Grund des sträflichen Verhaltens liegt. Wenn Sokrates’ Belehrung darin irren mag, daß Wissen um das Gute Gutes tun macht, so gilt für Wissen um das Böse dies weit eher. Und es ist nicht das innere Licht, kein lumen naturale, das in der Nacht der Traurigkeit als dieses Wissen sich auftut, sondern ein unterirdisches Leuchten dämmert aus dem Erdschoß hervor. Der rebellische Tiefblick des Satan entzündet sich im Grübler an ihm. Von neuem bestätigt sich die Bedeutung barocker Vielwisserei für die Trauerspieldichtung. Denn nur für den Wissenden kann etwas sich allegorisch darstellen. Andererseits aber ist es gerade das Sinnen, dem, wenn es nicht sowohl geduldig auf Wahrheit, denn unbedingt und zwangshaft mit unmittelbarem Tiefsinn aufs absolute Wissen geht, Dinge nach ihrem schlichten Wesen sich entziehen, um als rätselhafte allegorische Verweisungen und weiterhin als Staub vor ihm zu liegen. Die Intention der Allegorie ist so sehr der auf Wahrheit widerstreitend, daß deutlicher in ihr als irgend sonst die Einheit einer puren, auf das bloße Wissen abgezweckten Neugier mit der hochmütigen Absonderung des Menschen zutage tritt. »Der greuliche Alchimist der erschreckliche Todt«810 – diese tiefsinnige Metapher von Hallmann hat nicht allein in dem Verwesungsvorgang ihren Grund. Das magische Wissen, dem die Alchimie beizählt, droht dem Adepten mit Vereinsamung und geistigem Tode. Wie Alchimie und Rosenkreuzerei, wie die Beschwörungen in den Trauerspielen es beweisen, war diese Zeit nicht minder als die Renaissance der Magie ergeben. Was immer sie ergreift, verwandelt ihre Midashand in ein Bedeutendes. Verwandlung aller Art, das war ihr Element; und deren Schema war Allegorie. Je weniger diese Leidenschaft auf die Periode des Barock beschränkt geblieben ist, um so geeigneter ist sie, in spätern eindeutig ein Barockes aufzuzeigen. An ihr legitimiert sich denn ein jüngerer Sprachgebrauch, der eine barocke Geberde beim späten Goethe wie beim späten Hölderlin erkennen will. – Wissen, nicht Handeln ist die eigenste Daseinsform des Bösen. Und demgemäß ist physische Verführung, als Wollust, Völlerei und Trägheit, sinnlich nur begriffen, bei weitem nicht sein einziger, ja streng genommen gar kein letzter und genauer Seinsgrund. Dieser vielmehr eröffnet sich mit der Fata morgana eines Reiches der absoluten, das ist gottlosen, Geistigkeit, wie es, als Gegenstück dem Materialischen verbunden, das Böse erst konkret erfahren läßt. Der in ihm herrschende Gemütszustand ist die Trauer, zugleich die Mutter der Allegorien und ihr Gehalt. Und ihm entstammen drei ursprüngliche satanische Verheißungen. Sie sind geistiger Art. In der Gestalt bald des Tyrannen, bald des Intriganten zeigt immerfort das Trauerspiel sie wirksam. Was lockt, ist der Schein der Freiheit – im Ergründen des Verbotnen; der Schein der Selbständigkeit – in der Sezession aus der Gemeinschaft der Frommen; der Schein der Unendlichkeit – in dem leeren Abgrund des Bösen. Denn es eignet aller Tugend, ein Ende – ihr Vorbild nämlich, in Gott – vor sich zu haben; so wie alle Verworfenheit einen unendlichen Progreß in die Tiefe eröffnet. Die Theologie des Bösen ist somit dem Sturze Satans, in dem die genannten Motive sich bestätigen, weit eher zu entnehmen, als den Verwarnungen, in denen die kirchliche Lehre den Seelenfänger darzustellen pflegt. Die absolute Geistigkeit, die im Satan gemeint ist, bringt in der Emanzipation vom Heiligen sich um das Leben. Die – hier allein entseelte – Stofflichkeit wird ihre Heimat. Das schlechthin Materialische und jenes absolute Geistige sind Pole des satanischen Bereichs: und das Bewußtsein ihre gauklerische Synthesis, mit welcher sie die echte, die des Lebens, äfft. Sein lebensfremdes Spekulieren aber, das an der Dingwelt der Embleme haftet, trifft schließlich auf das Wissen der Dämonen. »Sie werden«, heißt es im »Gottesstaate« Augustins, »Δαίμονες genannt, weil dieses griechische Wort ausdrückt, daß sie Wissenschaften besitzen.«811 Und höchst spirituell ging das Verdikt fanatischer Spiritualität vom Munde des Franciscus von Assisi. Es weist von seinen Jüngern einem, der in allzu tiefes Studium sich verschloß, den rechten Weg: »Unus solus daimon plus scit quam tu.«

      Als Wissen führt der Trieb in den leeren Abgrund des Bösen hinab, um dort der Unendlichkeit sich zu versichern. Es ist aber auch der Abgrund des bodenlosen Tiefsinns. Dessen Daten sind unvermögend, in philosophische Konstellationen zu treten. So liegen sie als bloßer Fundus düstrer Prachtentfaltung in den Emblemenbüchern des Barock. Das Trauerspiel vor allen andern Formen arbeitet mit diesem Fundus. Unermüdlich verwandelnd, deutend und vertiefend vertauscht es seine Bilder miteinander. Vor allem herrscht dabei der Gegensatz. Und dennoch wäre es verfehlt, zumindest oberflächlich, auf Lust an bloßer Antithetik jene zahllosen Effekte zu beziehen, in welchen der Thronsaal in den Kerker, das Lustgemach in eine Totengruft, die Krone in den Kranz aus blutigen Zypressen anschaulich, oder sprachlich nur, verwandelt wird. Sogar der Gegensatz von Schein und Sein trifft diese Technik der Metaphern und Apotheosen nicht genau. Zugrunde liegt das Schema des Emblems, aus welchem mittels eines Kunstgriffs, der stets von neuem überwältigen mußte, sinnfällig das Bedeutete hervorspringt. Die Krone – sie bedeutet den Zypressenkranz. Unter den unabsehbar vielen Dokumenten dieses emblematischen Furors – längst hat man sich Belege eingesammelt812 – ist es an stolzer Kraßheit nicht zu überbieten, wenn Hallmann »wann der Politische Himmel blitzet« eine Harfe sich ins »Mordbeil«813 wandeln läßt. Ebendahin gehört diese Exposition seiner »Leichreden«: »Denn betrachtet man die unzählbahren Leichen/ womit theils die raasende Pest/ theils die Kriegerischen Waffen nicht nur unser Teutschland/ sondern fast gantz Europam erfüllet/ so müssen wir bekennen/ daß unsere Rosen in Dornen/ unsre Lilgen in Neßeln/ unsre Paradise in Kirchhöfe/ ja unser gantzes Wesen in ein Bildnüß deß Todes verwandelt worden. Dannenhero wird mir hoffentlich nicht ungütig gedeutet werden/ daß ich auf dieser allgemeinen Schaubühne deß Todes auch meinen papirenen Kirchhoff zu eröffnen mich unterwunden.«814 Auch in den Reyen sind solche Verwandlungen angesiedelt.815 Wie Stürzende im Fallen sich überschlagen, so fiele von Sinnbild zu Sinnbild die allegorische Intention dem Schwindel ihrer grundlosen Tiefe anheim, müßte nicht gerade im äußersten unter ihnen so sie umspringen, daß all ihre Finsternis, Hoffart und Gottferne nichts als Selbsttäuschung scheint. Heißt es doch ganz das Allegorische verkennen, den Bilderschatz, in welchem dieser Umschwung in das Heil der Rettung sich vollzieht, von jenem düstern, welcher Tod und Hölle meint, zu sondern. Denn gerade in Visionen des Vernichtungsrausches, in welchen alles Irdische zum Trümmerfeld zusammenstürzt, enthüllt sich weniger das Ideal der allegorischen Versenkung denn ihre Grenze. Die trostlose Verworrenheit der Schädelstätte, wie sie als Schema allegorischer Figuren aus tausend Kupfern und Beschreibungen der Zeit herauszulesen ist, ist nicht allein das Sinnbild von der Öde aller Menschenexistenz. Vergänglichkeit ist in ihr nicht sowohl bedeutet, allegorisch dargestellt, denn, selbst bedeutend, dargeboten als Allegorie. Als die Allegorie der Auferstehung. Zuletzt springt in den Todesmalen des Barock – nun erst im rückgewandten größten Bogen und erlösend – die allegorische Betrachtung um. Die sieben Jahre ihrer Versenkung sind nur ein Tag. Denn auch diese Zeit der Hölle wird im Raume säkularisiert und jene Welt, die sich dem tiefen Geist des Satan preisgab und verriet, ist Gottes. In Gottes Welt erwacht der Allegoriker. »Ja/ wenn der Höchste wird vom Kirch-Hof erndten ein/ | So werd ich Todten-Kopff ein Englisch Antlitz seyn.«816 Das löst die Chiffer des Zerstückeltsten, Erstorbensten, Zerstreutesten. Damit freilich geht der Allegorie alles verloren, was ihr als Eigenstes zugehörte: das geheime, privilegierte Wissen, die Willkürherrschaft im Bereich der toten Dinge, die vermeintliche Unendlichkeit der Hoffnungsleere. All das zerstiebt mit jenem einen Umschwung, in dem die allegorische Versenkung die letzte Phantasmagorie des Objektiven räumen muß und, gänzlich auf sich selbst gestellt, nicht mehr spielerisch in erdhafter Dingwelt sondern ernsthaft unterm Himmel sich wiederfindet. Das eben ist das Wesen melancholischer Versenkung, daß ihre letzten Gegenstände, in denen des Verworfnen sie am völligsten sich zu versichern glaubt, in Allegorien umschlagen, daß sie das Nichts, in dem sie sich darstellen, erfüllen und verleugnen, so wie die Intention zuletzt im Anblick der Gebeine nicht treu verharrt, sondern zur Auferstehung treulos überspringt.

      »Mit Weinen streuten wir den Samen in die Brachen | und giengen traurig aus.«817 Leer aus geht die Allegorie. Das schlechthin Böse, das als bleibende Tiefe sie hegte, existiert nur in ihr, ist einzig und allein Allegorie, bedeutet etwas anderes als es ist. Und zwar bedeutet es genau das Nichtsein dessen, was es vorstellt. Die absoluten Laster, wie Tyrannen und Intriganten sie vertreten, sind Allegorien. Sie sind nicht wirklich und sie haben das, als was sie dastehn, nur vor dem subjektiven Blick der Melancholie; sind dieser Blick, den seine Ausgeburten vernichten, weil sie nur seine Blindheit bedeuten. Sie weisen


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