Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

Читать онлайн книгу.

Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke - Walter  Benjamin


Скачать книгу
schießt hier zusammen mit der theologischen Essenz des Subjektiven. Die Bibel führt das Böse unter dem Begriff des Wissens ein. Zu werden »erkennend Gutes und Böses«818 verheißt den ersten Menschen die Schlange. Von Gott aber ist nach der Schöpfung gesagt: »Und Gott sah alles, was er gemacht, und siehe, es war sehr gut.«819 Also hat das Wissen von dem Bösen gar keinen Gegenstand. Dies ist nicht in der Welt. Es setzt sich mit der Lust am Wissen erst, vielmehr am Urteil, in dem Menschen selber. Das Wissen vom Guten, als Wissen, ist sekundär. Es erfolgt aus der Praxis. Das Wissen vom Bösen – als Wissen ist es primär. Es erfolgt aus der Kontemplation. Wissen um Gut und Böse ist also Gegensatz zu allem sachlichen Wissen. Bezogen auf die Tiefe des Subjektiven, ist es im Grunde nur Wissen vom Bösen. Es ist ›Geschwätz‹ in dem tiefen Sinne, in welchem Kierkegaard dies Wort gefaßt hat. Als der Triumph der Subjektivität und Anbruch einer Willkürherrschaft über Dinge ist Ursprung aller allegorischen Betrachtung jenes Wissen. Im Sündenfall selbst entspringt die Einheit von Schuld und Bedeuten vor dem Baum der ›Erkenntnis‹ als Abstraktion. In Abstraktionen lebt das Allegorische, als Abstraktion, als ein Vermögen des Sprachgeistes selbst, ist es im Sündenfall zu Hause. Denn Gut und Böse stehen unbenennbar, als Namenlose, außerhalb der Namensprache, in welcher der paradiesische Mensch die Dinge benannt hat und die er im Abgrund jener Fragestellung verläßt. Der Name ist für Sprachen nur ein Grund, in welchem die konkreten Elemente wurzeln. Die abstrakten Sprachelemente aber wurzeln im richtenden Wort, dem Urteil. Und während mit dem irdischen Gericht sich tief die schwanke Subjektivität des Urteils mit Strafen in der Wirklichkeit verankert, kommt in dem himmlischen der Schein des Bösen ganz zu seinem Recht. Dort kommt die eingestandene Subjektivität zu dem Triumphe über jede trügerische Objektivität des Rechts und fügt als »Werk der höchsten Weisheit und der ersten Liebe«,820 als Hölle, der göttlichen Allmacht sich ein. Sie ist nicht Schein, ebensowenig aber gesättigtes Sein, sondern die wirkliche Spiegelung der leeren Subjektivität im Guten. Im schlechthin Bösen greift die Subjektivität ihr Wirkliches und sieht es als die bloße Spiegelung ihrer selbst in Gott. Im Weltbild der Allegorie also ist die subjektive Perspektive restlos einbezogen in die Ökonomie des Ganzen. So sind die Säulen eines Bamberger Altans aus dem Barock in Wirklichkeit genau so angeordnet, wie sie, bei einer regulären Konstruktion, von unten aus sich präsentieren würden. Und so wird auch die glühende Ekstase, ohne daß von ihr ein Funke verloren ginge, gerettet, säkularisiert im Nüchternen, wie sie’s bedarf: Die heilige Therese sieht in einer Halluzination, wie die Madonna Rosen auf ihr Bett legt; sie teilt es ihrem Beichtvater mit. »Ich sehe keine«, erwidert der. – »Die Madonna hat sie ja mir gebracht«, gibt die Heilige zur Antwort. In diesem Sinn wird die zur Schau getragene eingestandne Subjektivität zum förmlichen Garanten des Wunders, weil sie die göttliche Aktion selbst ankündigt. Und »keine Wendung, die der barocke Stil nicht mit einem Wunder abschlösse«.821 »Es ist die aristotelische Idee des ϑαυμαστόν, der künstlerische Ausdruck des Wunders (der biblischen σημεῖα), der seit der Gegenreformation und vornehmlich seit dem Tridentinum« auch Architektur und Plastik »beherrscht … Es ist der Eindruck übernatürlicher Kräfte, der im mächtig sich Ausladenden und wie von selbst Gestützten gerade in den Regionen der Höhe erweckt werden soll, gedolmetscht und akzentuiert durch die gefährlich schwebenden Engel der plastischen Dekoration … Diesen Eindruck nur noch zu verstärken, wird auf der anderen Seite – in den unteren Regionen – die Wirklichkeit dieser Gesetze wieder übertrieben in Erinnerung gehalten. Was denn anderes wollen die durchgehenden Hinweise auf die Gewalt der tragenden und lastenden Kräfte, die ungeheuren Sockel, die doppelt und dreifach begleiteten vorgeschobenen Säulen und Pilaster, die Verstärkungen und Sicherungen ihres Zusammenhalts, um einen – Balkon zu tragen, was besagen sie, als durch die Stützschwierigkeiten von unten das schwebende Wunder von oben eindringlich zu machen. Die ›Ponderacion mysteriosa‹, das Eingreifen Gottes ins Kunstwerk wird als möglich vorausgesetzt.«822 Subjektivität, die wie ein Engel in die Tiefe niederstürzt, wird von Allegorien eingeholt und wird am Himmel, wird in Gott durch ›Ponderación misteriosa‹ festgehalten. Allein es ist ja die verklärte Apotheose, wie Calderon sie kennen lehrt, mit dem banalen Fundus des Theaters, den Reyen, Zwischenspiel und stille Vorstellung entfaltet, nicht aufzustellen. Sie bildet zwingend sich aus einer sinnvollen Konstellation des Ganzen, das sie nur mehr, auch minder nachhaltig betont, heraus. Die mangelnde Entwicklung der Intrige, die kaum je die des Spaniers auch von ferne nur erreicht, macht die Insuffizienz des deutschen Trauerspiels. Nur die Intrige wäre vermögend gewesen, die Organisation der Szene zu jener allegorischen Totalität zu führen, mit welcher in dem Bilde der Apotheose ein von den Bildern des Verlaufes Artverschiedenes sich erhebt und der Trauer Einsatz und Ausgang zugleich weist. Der gewaltige Entwurf dieser Form ist zu Ende zu denken; von der Idee des deutschen Trauerspiels kann einzig unter dieser Bedingung gehandelt werden. Weil aus den Trümmern großer Bauten die Idee von ihrem Bauplan eindrucksvoller spricht als aus geringen noch so wohl erhaltenen, hat das deutsche Trauerspiel des Barock den Anspruch auf Deutung. Im Geiste der Allegorie ist es als Trümmer, als Bruchstück konzipiert von Anfang an. Wenn andere herrlich wie am ersten Tag erstrahlen, hält diese Form das Bild des Schönen an dem letzten fest.

      —————

      —————

      1935

      Le vrai est ce qu’il peut; le faux est ce qu’il veut.

      Madame de Duras

      Als Marx die Analyse der kapitalistischen Produktionsweise unternahm, war diese Produktionsweise in den Anfängen. Marx richtete seine Untersuchungen so ein, daß sie prognostischen Wert bekamen. Er ging auf die Grundverhältnisse der kapitalistischen Produktion zurück und stellte sie so dar, daß sich aus ihnen ergab, was man künftighin dem Kapitalismus noch zutrauen könne. Es ergab sich, daß man ihm nicht nur eine zunehmend verschärfte Ausbeutung der Proletarier zutrauen könne sondern schließlich auch die Herstellung von Bedingungen, die die Abschaffung seiner selbst möglich machen.

      Die Umwälzung des Überbaus, die langsamer als die des Unterbaus vor sich geht, hat mehr als ein halbes Jahrhundert gebraucht, um auf allen Kulturgebieten die Veränderung der Produktionsbedingungen zur Geltung zu bringen. In welcher Gestalt das geschah, läßt sich erst heute feststellen. An diese Feststellungen sind gewisse prognostische Anforderungen berechtigt. Es entsprechen ihnen aber weniger Thesen über die Kunst des Proletariats nach der Machtergreifung, geschweige die der klassenlosen Gesellschaft, als Thesen über die Entwicklungstendenzen der Kunst unter den gegenwärtigen Produktionsbedingungen. Deren Dialektik macht sich im Überbau nicht weniger bemerkbar als in der Ökonomie. Darum wäre es falsch, den Kampfwert solcher Thesen zu unterschätzen. Sie setzen eine Anzahl überkommener Begriffe – wie Schöpfertum und Genialität, Ewigkeitswert und Stil, Form und Inhalt – beiseite – Begriffe, deren unkontrollierte (und augenblicklich schwer kontrollierbare) Anwendung zur Verarbeitung des Tatsachenmaterials in faschistischem Sinne führt. Die im folgenden neu in die Kunsttheorie eingeführten Begriffe unterscheiden sich von anderen dadurch, daß sie für die Zwecke des Faschismus vollkommen unbrauchbar sind. Dagegen sind sie zur Formulierung revolutionärer Forderungen in der Kunstpolitik brauchbar.

      —————

      Das Kunstwerk ist grundsätzlich immer reproduzierbar gewesen. Was Menschen gemacht hatten, das konnte immer von Menschen nachgemacht werden. Solche Nachbildung wurde auch ausgeübt von Schülern zur Übung der Kunst, von Meistern zur Verbreitung der Werke, endlich von gewinnlüsternen Dritten. Demgegenüber ist die technische Reproduktion des Kunstwerks etwas Neues, das sich in der Geschichte intermittierend, in weit auseinanderliegenden Schüben, aber mit wachsender Intensität durchsetzt. Mit dem Holzschnitt wurde zum ersten Male die Graphik technisch reproduzierbar; sie war es lange, ehe durch den Druck auch die Schrift es wurde. Die ungeheuren Veränderungen, die der Druck, die technische Reproduzierung


Скачать книгу