Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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Teufel« heißen die Heidengötter bei Birken793 und geradezu frappant klingt die Denkweise einer tausend Jahre zurückliegenden Vergangenheit aus einer Stelle Hallmanns, die gewiß nicht der Bemühung um das historische Kolorit zu danken ist. Da heißt es in dem Religionsdisput zwischen Sophia und dem Kaiser Honorius: »Beschützt nicht Jupiter den Kaiserlichen Thron?« »Vielmehr als Jupiter ist Gottes wahrer Sohn!« erwidert Sophia.794Geradenwegs aus barocker Einstellung kommt diese archaische Schlagfertigkeit. Denn wieder stand die Antike in jener Gestalt, in welcher sie zuletzt der neuen Lehre mit gesammelter Kraft, und nicht erfolglos, sich hatte aufnötigen wollen, drohend dem Christentum nahe: als Gnosis. Mit der Renaissance und begünstigt zumal durch neuplatonische Studien erstarkten okkultistische Strömungen. Rosenkreuzerei und Alchimie traten neben die Astrologie, den alten abendländischen Rückstand des orientalischen Heidentums. Die europäische Antike war gespalten und an ihrem strahlenden Nach-Bilde im Humanismus belebte neu sich ihre dunkle Nach-Wirkung im Mittelalter. Warburg hat aus wahlverwandter Stimmung faszinierend entwickelt, wie in der Renaissance »die Himmelserscheinungen menschlich umfaßt wurden, um ihre dämonische Macht wenigstens bildhaft zu begrenzen«.795 Die Renaissance belebt das Bildgedächtnis – wie sehr, das zeigen auch die Beschwörungsszenen der Trauerspiele –, zugleich aber erwacht eine Bilderspekulation, die für die Stilgestaltung vielleicht noch entscheidender ist. Und deren Emblematik verbindet sich mit der mittelalterlichen Welt. Keine noch so barocke Ausgeburt allegorischer Phantasien, die nicht in ihr ein Gegenstück fände. Die Allegoriker unter den Mythographen, denen schon das Interesse der frühchristlichen Apologetik sich zuwandte, leben wieder auf. Sechzehnjährig gibt Grotius den Martianus Capella heraus. Ganz im altchristlichen Sinne stehen im Chore des Trauerspiels die antiken Götter mit Allegorien auf ein und derselben Stufe. Und weil durch die Dämonenangst die verdächtigte Leiblichkeit ganz besonders beklemmend erscheinen muß, so ist man schon im Mittelalter radikal an ihre emblematische Bewältigung gegangen. ›Nacktheit als Emblem‹ – so dürfte man die folgende Darstellung bei Bezold überschreiben. »Erst im Jenseits sollten die Seligen einer unverweslichen Körperlichkeit und eines gegenseitigen Genusses ihrer Schönheit in voller Reine teilhaftig werden. (Augustinus, de civitate dei, XXII, 24.) Bis dahin blieb die Nacktheit ein Zeichen des Unreinen, wie es sich allenfalls für griechische Götter, also für höllische Dämonen, schickte. Dementsprechend suchte auch die mittelalterliche Wissenschaft, wo sie auf unbekleidete Figuren stieß, diese Ungehörigkeit durch eine oft weit hergeholte, meist unfreundliche Symbolik zu deuten. Man lese nur die Erklärungen des Fulgentius und seiner Nachfolger, warum Venus, Cupido, Bacchus nackt gemalt werden, Venus z. B., weil sie ihre Verehrer nackt und bloß heimschickt oder weil das Verbrechen der Wollust sich nicht verhüllen läßt, Bacchus, weil die Trinker sich ihres Besitzes entäußern oder weil der Berauschte seine heimlichsten Gedanken nicht bei sich behalten kann … Bis zum Überdruß ausgeklügelt sind die Beziehungen, die ein karolingischer Dichter, Walahfrid Strabo, in seiner höchst unklaren Beschreibung einer nackten Skulptur zu entdecken strebt. Es handelt sich um eine Nebenfigur der vergoldeten Reiterstatue Theoderichs … Daß … der schwarze, nicht vergoldete ›Begleiter‹ seine bloße Haut zur Schau trug, verleitet den Poeten zu dem Gedankenspiel, der Nackte gereiche so dem auch Nackten, d. h. dem jeder Tugend baren arianischen Tyrannen, zum besonderen Schimpf.«796Wie hieraus zu entnehmen ist, wies die allegorische Exegese vor allem in zwei Richtungen: sie war bestimmt, die wahre, die dämonische Natur antiker Götter christlich festzulegen und galt der frommen Mortifikation des Leibes. Daher gefielen Mittelalter und Barock sich nicht von ungefähr in sinnreichen Zusammenstellungen von Götzenbildern mit Gebeinen Toter. Eusebius weiß in der »Vita Constantini« von Schädeln und von Knochen in den Götterstatuen zu berichten, und Männling gibt vor, die »Egyptier« hätten »in höltzernen Bildern Leichen begraben«.

      Gerecht kann der Begriff des Allegorischen dem Trauerspiele nur in der Bestimmtheit werden, in der er nicht allein vom theologischen Symbol sondern gleich deutlich von dem bloßen Schmuckwort sich abhebt. Entsprungen ist die Allegorie ja nicht als scholastische Arabeske zur antiken Göttervorstellung. Von dem Spielerischen, Unbeteiligten und Überlegenen, das man mit Rücksicht auf ihre spätesten Ausgeburten ihr zu leihen pflegt, eignet ursprünglich ihr nichts als das Gegenteil. Hätte die Kirche kurzerhand die Götter aus dem Gedächtnis ihrer Gläubigen verdrängen können, so wäre die Allegorese nie entstanden. Denn sie ist nicht epigonales Denkmal eines Sieges; viel eher das Wort, das einen ungebrochenen Rest antiken Lebens bannen soll. Freilich haben in den ersten Jahrhunderten der christlichen Ära die Götter selbst sehr häufig einen Zug in das Abstrakte angenommen. »In dem maaße als der glaube an die götter der classischen zeit seine kraft verlor, wurden auch die göttervorstellungen, wie dichtung und kunst sie gestaltet hatte, frei und verfügbar als bequeme mittel dichterischer darstellung. Von den Dichtern der Neronischen zeit, ja von Horatius und Ovidius an können wir diesen vorgang verfolgen, der in der jüngeren Alexandrinischen schule seinen höhepunkt erreichte: der bedeutendste und für die folgezeit maaßgebende Vertreter ist Nonnos, in der lateinischen litteratur der zu Alexandreia geborene Claudius Claudianus. Alles, jede handlung, jedes ereigniss, setzt sich bei ihnen zu einem spiel göttlicher kräfte um. Daß bei diesen dichtern auch abstracten begriffen breiter raum gewährt wird, ist kein wunder; die persönlichen götter haben für sie keine tiefere bedeutung als jene begriffe, sie sind beide gleich sehr bewegliche vorstellungsformen dichterischer einbildungskraft geworden.«797 So Usener. Dies alles ist freilich intensive Vorbereitung der Allegorie. Wenn anders sie selbst aber mehr ist als die wie immer abstrakte Verflüchtigung theologischer Wesenheiten, nämlich deren Fortleben in einer ihnen ungemäßen, ja feindlichen Umwelt, so ist nicht diese spätrömische die eigentliche allegorische Auffassung. Im Verfolg einer solchen Dichtung hätte die antike Götterwelt aussterben müssen und gerade die Allegorie hat sie gerettet. Ist doch die Einsicht ins Vergängliche der Dinge und jene Sorge, sie ins Ewige zu retten, im Allegorischen eins der stärksten Motive. In Kunst sowie in Wissenschaft und Staat gab es im frühen Mittelalter nichts, was den Trümmern, welche in allen diesen Bereichen die Antike hinterlassen hatte, an die Seite gestellt werden konnte. Damals entsprang das Wissen um Vergänglichkeit unentrinnbarer Anschauung, so wie einige Jahrhunderte später zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges das gleiche sich der europäischen Menschheit vor Augen stellte. Dabei ist zu bemerken, daß vielleicht die sinnfälligsten Verheerungen diese Erfahrung nicht bittrer den Menschen aufdringen, als der Wandel der mit dem Anspruch des Ewigen ausgestatteten Rechtsnormen, wie er in jenen Zeitwenden sich besonders sichtbar vollzog. Die Allegorie ist am bleibendsten dort angesiedelt, wo Vergänglichkeit und Ewigkeit am nächsten zusammenstoßen. Usener selbst hat in den »Götternamen« die Handhabe gegeben, genau die geschichtsphilosophische Demarkationslinie zwischen der nur »scheinbar abstracten« Natur gewisser antiker Gottheiten und der allegorischen Abstraktion zu ziehen. »Wir müssen uns also in die tatsache finden, daß die erregbare religiöse empfindung des alterthums auch abstracte begriffe ohne weiteres zu göttlichem rang zu erheben vermochte. Daß sie fast durchweg schattenhaft und gleichsam blutleer blieben, hatte keinen andern grund als daß auch die sondergötter vor den persönlichen erblassen mußten: die durchsichtigkeit des worts.«798 Durch diese religiösen Improvisationen ward wohl der Boden der Antike für die Aufnahme der Allegorie bearbeitet: diese selbst aber ist christliche Saat. Denn durchaus entscheidend für die Ausgestaltung dieser Denkart war, daß im Bezirk der Götzen wie der Leiber nicht die Vergänglichkeit allein, sondern die Schuld sinnfällig angesiedelt scheinen mußte. Dem allegorisch Bedeutenden ist es durch Schuld versagt, seine Sinnerfüllung in sich selbst zu finden. Schuld wohnt nicht nur dem allegorisch Betrachtenden bei, der die Welt um des Wissens willen verrät, sondern auch dem Gegenstande seiner Kontemplation. Diese Anschauung, begründet in der Lehre von dem Fall der Kreatur, die die Natur mit sich herabzog, macht das Ferment der tiefen abendländischen Allegorese, die von der orientalischen Rhetorik dieses Ausdrucks sich scheidet. Weil sie stumm ist, trauert die gefallene Natur. Doch noch tiefer führt in das Wesen der Natur die Umkehrung dieses Satzes ein: ihre Traurigkeit macht sie verstummen. Es ist in aller Trauer der Hang zur Sprachlosigkeit und das ist unendlich viel mehr als Unfähigkeit oder Unlust zur Mitteilung. Das Traurige fühlt sich so durch und durch erkannt vom Unerkennbaren. Benannt zu sein – selbst wenn der Nennende ein Göttergleicher und Seliger ist – bleibt vielleicht immer eine Ahnung von Trauer. Wie viel mehr aber, nicht benannt, sondern nur gelesen, unsicher durch den Allegoriker gelesen und hochbedeutend nur durch ihn geworden zu sein.


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