Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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beständigen Einhaltens, stoßweisen Umschlagens und neuen Erstarrens.

      Je nachdrücklicher ein Vers sich als Sentenz einprägen will, desto reicher pflegt der Dichter ihn mit Namen von Dingen auszustatten, die der emblematischen Schilderei des Gemeinten entsprechen. Das Requisit, dessen Bedeutung im Barocktrauerspiel angelegt ist, bevor sie mit der Befugnis des Schicksalsdramas offenkundig wird, tritt in der Form der emblematischen Metapher im XVII. Jahrhundert schon aus der Latenz. In einer Stilgeschichte dieser Zeit – die Erich Schmidt zwar plante, aber nicht verwirklicht hat719 – wäre mit den Belegen dieser Bildmanier ein stattliches Kapitel anzufüllen. In ihnen allen ist die überwuchernde Metaphorik, der »ausschließlich sinnliche Charakter«720 der Redefiguren einer Neigung zur allegorischen Ausdrucksweise, nicht aber einer viel berufenen ›poetischen Sinnlichkeit‹ zuzurechnen, weil gerade die entwickelte Sprache, und zwar auch die poetische, die ständige Betonung eines Metaphorischen, das ihr zugrunde liegt, vermeidet. Doch auf der andern Seite »das Prinzip …, die Sprache eines Teiles ihres sinnlichen Charakters zu entkleiden, sie abstrakter zu gestalten« als solches, »das sich bei Bestrebungen, die Sprache feinerem geselligen Verkehr dienstbar zu machen, stets offenbart«,721 in jener ›modischen‹ Manier zu reden aufzusuchen, ist ebenso verkehrt und eine irrige Verallgemeinerung von einem Grundsatz ›alamodischer‹ Stutzersprache auf die ›modische‹ der damaligen großen Poesie. Denn das Preziöse dieser, wie überhaupt barocker Ausdrucksweise liegt zum großen Teile in dem extremen Rückgang auf die Worte für Konkreta. Und die Manie, dergleichen einzusetzen einerseits, die elegante Antithetik andrerseits zu zeigen, ist so entschieden, daß dem Abstraktum, wenn es denn schon unvermeidlich scheint, ganz ungemein oft das Konkretum dergestalt beigegeben ist, daß neue Worte Zustandekommen. So: »Verleumbdungs-Blitz«,722 »Hoffahrts-Gifft«,723 »Unschulds-Zedern«,724 »Freundschaffts-Blut«.725 Oder: »So weil auch Mariamn’ als eine Natter beißt | Und mehr die Zwietrachts-Gall’ als Friedens-Zucker liebet.«726 Triumphierend erweist sich das Gegenstück solcher Anschauungsweise, wo die bedeutende Aufteilung eines Lebendigen in die disiecta membra der Allegorie gelingt, so wie in einem Bilde des Hoflebens bei Hallmann. »Es hat Theodoric auch auff dem Meer geschifft/ | Wo statt der Wellen/ Eiß; des Saltzes/ heimlich Gifft/ | Der Ruder/ Schwerd und Beil; der Seegel/ Spinneweben; | Der Ancker/ falsches Bley/ des Nachens Glaß umgeben.«727 »Jeder Einfall«, heißt es sehr treffend bei Cysarz, »wird zum Bild platt gewalzt, sei er auch noch so abstrakt, und dieses Bild wird dann in Worte gestanzt, sei es auch noch so konkret.« Unter den Dramatikern unterliegt keiner dieser Manier wie Hallmann. Sie verdirbt ihm das Konzept seiner Dialoge. Denn kaum stellt irgendeine Kontroverse sich ein, so ist sie auch im Handumdrehen schon vom einen oder anderen Unterredner in ein Gleichnis verwandelt, das durch viele Repliken mehr oder weniger variiert, fortwuchert. Mit der Bemerkung »Der Tugenden Pallast kan Wollust nicht beziehn« beleidigt Sohemus den Herodes schwer: und der, weit entfernt diese Beschimpfung zu ahnden, versinkt bereits in die Allegorie: »Man siehet Eisen-Kraut bey edlen Rosen blühn.«728 So verdunsten vielfach die Gedanken in Bildern.729 Auf einige der ungeheuerlichen Sprachgebilde, zu denen insbesondere diesen Dichter die Jagd nach den ›concetti‹ führte, ist von so manchen Literarhistorikern gewiesen worden.730 »Mund und Gemüthe stehn in einem Meineids-Kasten | Dem hitz’ger Eifer nun die Riegel loß gemacht.«731 »Seht/ wie dem Pheroras das traur’ge Sterbe-Kleid | Im Gifft-Glas wird gereicht.«732 »Imfall die Warheit kan der Greuel-That erhell’n/ | Daß Mariamnens Mund unreine Milch gesogen | Aus Tyridatens Brust/ so werde stracks vollzogen/ | Was Gott und Recht befihlt/ und Rath und König schleußt.«733 Gewisse Worte, bei Hallmann zumal »Comet«, finden groteske allegorische Verwendung. Um Unheilvolles, das im Schlosse zu Jerusalem sich zuträgt, zu kennzeichnen, bemerkt Antipater, daß »die Cometen sich in Salems Schloß begatten«.734 Stellenweise scheint dies Bilderwesen kaum mehr regiert und das Dichten in Gedankenflucht auszuarten. Ein Musterstück dieser Art stellt Hallmann: »Die Frauen-List: Wenn meine Schlang’ in edlen Rosen lieget/ | Und Züngelnd saugt den Weißheits-vollen Safft/ | Wird Simson auch von Delilen besieget/ | Und schnell beraubt der überird’schen Krafft: | Hat Joseph gleich der Juno Fahn getragen/ | Herodes ihn geküßt auff seinem Wagen/ | So schaut doch/ wie ein Molch (möglicherweise für: Dolch) diß Karten-Blat zerritzt/ | Weil ihm sein Eh-Schatz selbst durch List die Bahre schnitzt.«735 In der »Maria Stuarda« des Haugwitz bemerkt – sie spricht von Gott – eine Kammerfrau zur Königin: »Er treibt die See von unsern Hertzen/ | Daß derer Wellen stoltzer Guß | Uns offt erziehlet heisse Schmertzen/ | Doch ist es nur der Wunder-Fluß/ | Durch dessen unbegreifflichs regen/ | Sich unsers Unglücks Kranckheit legen.«736 Das ist ebenso dunkel und ebenso reich an Anspielungen wie die Psalmdichtung von Quirinus Kuhlmann. Die rationalistische Kritik, die diese Dichtungen in Acht und Bann tut, setzt mit Polemik gegen ihre sprachliche Allegorese ein. »Welche hieroglyphische und Rätzelmässige Dunckelheit schwebet über dem gantzen Ausdruck«,737 heißt es von einer Stelle der Lohensteinschen »Cleopatra« in Breitingers »Critischer Abhandlung von der Natur, den Absichten und dem Gebrauche der Gleichnisse«. »Er hüllet die Begriff’ in Gleichniß und Figur | als einen Kerker ein«.738 bemerkt im gleichen Sinne Bodmer gegen Hofmannswaldau.

      Diese Dichtung war in der Tat unfähig, den derart ins bedeutende Schriftbild gebannten Tiefsinn im beseelten Laut zu entbinden. Ihre Sprache ist voll von materialischem Aufwand. Niemals ist unbeschwingter gedichtet worden. Die Umdeutung der antiken Tragödie ist um nichts befremdender als die neue Hymnenform, die dem – wie immer dunklen und barocken – Schwung des Pindar gleichen wollte. Dem deutschen Trauerspiele des Jahrhunderts ist – mit Baader zu reden – nicht gegeben, sein Hieroglyphisches lautbar zu machen. Denn seine Schrift verklärt sich im Laute nicht; vielmehr bleibt dessen Welt ganz selbstgenugsam auf die Entfaltung ihrer eigenen Wucht bedacht. Schrift und Laut stehen in hochgespannter Polarität einander gegenüber. Ihr Verhältnis begründet eine Dialektik, in deren Licht der ›Schwulst‹ als durch und durch planvolle, konstruktive Sprachgeberde sich rechtfertigt. Die Wahrheit zu sagen, fällt diese Ansicht der Sache, als der reichsten und glücklichsten eine, dem, der die Quellenschriften aufgeschlossen vornimmt, in den Schoß. Nur wo ein Schwindel vor der Tiefe ihres Abgrunds die Kraft des forschenden Durchdenkens überwog, konnte der Schwulst zum Popanz der epigonalen Stilistik werden. Die Kluft zwischen bedeutendem Schriftbild und berauschendem Sprachlaut nötigt, wie das gefestete Massiv der Wortbedeutung in ihr aufgerissen wird, den Blick in die Sprachtiefe. Und wiewohl das Barock die philosophische Reflexion über dieses Verhältnis nicht kannte, geben Böhmes Schriften nicht zu mißdeutende Winke. Jakob Böhme, der größten Allegoriker einer, hat, wo er auf Sprache zu reden kommt, den Wert des Lautes dem stummen Tiefsinn gegenüber hochgehalten. Er hat die Lehre von der ›sensualischen‹ oder Natur-Sprache entwickelt. Und zwar ist diese nicht – das ist entscheidend – das Lautwerden der allegorischen Welt, als welche vielmehr ins Schweigen gebannt bleibt. ›Wortbarock‹ und ›Bildbarock‹ – wie Cysarz diese Ausdrucksformen nur eben benannt hat – sind polar ineinander fundiert. Unermeßlich ist im Barock die Spannung zwischen Wort und Schrift. Das Wort, so darf man sagen, ist die Ekstase der Kreatur, ist Bloßstellung, Vermessenheit, Ohnmacht vor Gott; die Schrift ist ihre Sammlung, ist Würde, Überlegenheit, Allmacht über die Dinge der Welt. So wenigstens gilt es im Trauerspiel, während in Böhmes freundlicherer Anschauung ein positiveres Bild der Lautsprache steht. »Das ewige Wort oder Göttliche Hall oder Stimme/ welche ein Geist ist/ das hat sich in Formungen als in ein außgesprochen Wort oder Hall mit der Gebährung des grossen Mysterii eingeführet/ und wie das Freuden-spiel im Geiste der ewigen Gebährung in sich selber ist/ also ist auch der Werckzeug/ als die außgesprochene Form in sich selber/ welches der lebendige Hall führet/ und mit seinem eigenen ewigen Willen-geist schläget/ daß es lautet und hallet/ gleich wie eine Orgel von vielen Stimmen mit einer einigen Lufft getrieben wird/ daß eine jede Stimme/ ja eine jede Pfeiffe ihren Thon gibt.«739 »Alles was von GOtt geredet/ geschrieben oder gelehret wird/ ohne die Erkäntnüß der Signatur, das ist stumm und ohne Verstand/ dann es kommt nur aus einem historischen Wahn/ von einem andern Mund/ daran der Geist ohne Erkäntnüß stumm ist: So ihm aber der Geist die Signatur eröffnet/ so verstehet er des andern Mund/ und versteht ferner/ wie sich der Geist … im Hall mit der Stimme hat offenbahret … Dann an der äusserlichen Gestaltnüß aller Creaturen/ an ihrem Trieb und Begierde/ item, an ihrem


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