Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
Читать онлайн книгу.Nirgends bezeichnenderweise schöner und eindringlicher, als durch die Person eines Schlafenden, wie das Intermezzo nach dem IV. Akt des »Papinian« in dem Kaiser Bassian ihn vorstellt. Während seines Schlummers führt ein Reyen sein bedeutendes Spiel auf. »Der Käyser erwachet und gehet traurig ab.«695 »Wie sich übrigens der Dichter, dem Gespenster Realitäten waren, die Verbindung dieser mit Allegorien vorgestellt hat, bleibt eine müßige Frage«,696 bemerkt Steinberg mit Unrecht. Gespenster wie die tief bedeutenden Allegorien sind Erscheinungen aus dem Reiche der Trauer; durch den Trauernden, den Grübler über Zeichen und Zukunft, werden sie angezogen. Nicht gleich klar liegen die Zusammenhänge für das eigentümliche Auftreten der Geister von Lebenden. »Die Seele der Sophonisbe« tritt in dem ersten Reyen jenes Lohensteinschen Trauerspiels ihren Leidenschaften gegenüber,697 während im Hallmannschen Szenar zur »Liberata«698] und in »Adonis und Rosibella«699 es nur um die Verkleidung ins Gespenst sich handelt. Wenn Gryphius einen Geist in der Gestalt Olympiens kommen läßt,700, so ist das eine neue Wendung des Motivs. Das alles bedeutet natürlich nicht reinen »Unsinn«,701, wie Kerckhoffs bemerkt, gibt vielmehr ein absonderliches Zeugnis von dem Fanatismus, der auch das schlechthin Singulare, die Person, im Allegorischen vervielfältigt. Um eine noch weit mehr bizarre Allegorisierung handelt es sich vielleicht in einer Vorschrift, die sich in der »Sophia« Hallmanns findet: wenn nämlich, wie man fast vermuten muß, es nicht zwei Tote, vielmehr Erscheinungen des Todes sind, die als »zwey Todte mit Pfeilen … ein höchst trauriges Ballet nebst untergemischten grausamen Geberden gegen die Sophie tantzen«.702 Dergleichen ist gewissen emblematischen Darstellungen verwandt. Die »Emblemata selectiora« etwa haben eine Tafel,703 die eine Rose gleichzeitig halb blühend, halb verwelkt, die Sonne in der gleichen Landschaft auf- und untergehend zeigt. »Das Wesen des Barock ist die Gleichzeitigkeit seiner Handlungen«,704, heißt es ziemlich grobschlächtig, doch in einer Ahnung des Sachverhaltes bei Hausenstein. Denn fürs Vergegenwärtigen der Zeit im Raume – und was ist deren Säkularisierung anderes, als in die strikte Gegenwart sie wandeln? – ist Simultaneisierung des Geschehens das gründlichste Verfahren. – Die Zweiheit von Bedeutung und von Wirklichkeit hat in der Einrichtung der Bühne sich gespiegelt. Der Zwischenvorhang ließ ein Spiel auf der Vorderbühne mit Szenen, welche in die ganze Tiefe sich erstreckten, wechseln. Und »der Prunk, den man zu entfalten nicht zögerte, konnte … nur auf der Hinterbühne recht vorgeführt werden«.705 Da nun die Auflösung der Situation nicht tunlich ohne die Apotheose des Schlusses war, so konnten sich die Verwicklungen im beschränkten Raume der Vorderbühne nur schürzen, die Lösung fand in der allegorischen Fülle statt. Die gleiche Teilung geht durch die tektonische Struktur des Ganzen. Es wurde angedeutet, daß ein klassizistisches Gerüst zum Ausdrucksstil in diesen Dramen kontrastierend steht. Auf ein entsprechendes Faktum stieß Hausenstein und behauptet, das Mathematische bestimme die Gestaltung des Außenbaus bei Schloß und Haus, bis zu einem gewissen Grade selbst bei der Kirche, der Innenstil sei das Feld der wuchernden Einbildungskraft.706. Wenn anders Überraschung, ja Verschlingung im Aufbau dieser Dramen für etwas steht und gegen eine klassizistische Durchsichtigkeit des Handlungslaufes zu betonen ist, so ist der Exotismus in der Stoffwahl ihm nicht fremd. Das Trauerspiel veranlaßt zur Erfindung der dichterischen Fabel nachdrücklicher als die Tragödie. Und wurde hier aufs bürgerliche Trauerspiel verwiesen, so könnte man in diesem Sinne weit gehen und an den ersten Titel über Klingers »Sturm und Drang« erinnern wollen. »Der Wirrwarr« hatte der Dichter dies Drama genannt. Verwicklung sucht schon das barocke Trauerspiel mit seinen Wechselfällen und Intrigen. Greifbar deutlich ist gerade hier, wie genau die Allegorie es betrifft. In einer komplizierten Konfiguration setzt sich der Sinn von seiner Handlung wie Lettern im Monogramm durch. Birken nennt eine Art der Singspiele ein Ballett, »damit andeutend, daß die Stellung und Anordnung der Figuren, und die Pracht des äußern Aufzuges dabei das Wesentlichste ist. Ein solches Ballett ist weiter Nichts als ein allegorisches Gemälde mit lebenden Figuren ausgeführt, und in seinen Scenen wechselnd. Das Gesprochene will Nichts weniger als ein Dialog sein; es ist nur eine Erklärung der Bilder, von ihnen selbst hergesagt.«707
Diese Erklärungen betreffen, wenn anders man auf die forcierte Anwendung verzichtet, auch Trauerspiele. Daß es in ihnen um die Schaustellung einer allegorischen Typik sich handelt, erhellt allein aus der Gepflogenheit der Doppeltitel. Es lohnte wohl der Mühe, nachzuforschen, warum nur Lohenstein nichts von ihr weiß. Von solchen Titeln geht der eine auf die Sache, der andere auf das Allegorische daran. In Anlehnung an mittelalterlichen Sprachgebrauch erscheint das allegorische Gebilde triumphierend. »Wie nun Catharine den sieg der heiligen liebe über den tod vorhin gewiesen, so zeigen diese den triumph oder das sieges-gepränge des todes über die irdische liebe«,708 heißt es in der Inhaltsangabe von »Cardenio und Celinde«. »Der Hauptzweck dieses Hirtenspieles«, bemerkt Hallmann zu »Adonis und Rosibella«, »ist die Sinnreiche und über den Todt triumphierende Liebe.«709 »Obsiegende Tugend« übertitelt Haugwitz den »Soliman«. Die neuere Mode dieser Ausdrucksform kam aus Italien, wo die trionfi in den Prozessionen herrschten. Die eindrucksvolle Übersetzung der »Trionfi«,710 die 1643 in Köthen erschien, mag für die Geltung dieses Schemas förderlich gewesen sein. Von jeher war Italien, das Ursprungsland der Emblematik, in diesen Dingen tonangebend gewesen. Oder wie Hallmann sagt: »Die Italiäner gleich wie sie in allen Erfindungen excelliren: also haben sie nichts weniger in Emblematischer Entschattung« der »Menschlichen Unglückseeligkeit … ihre Kunst erwiesen.«711 Nicht selten ist die Rede in den Dialogen nur die an allegorischen Konstellationen, in welchen die Figuren zueinander sich befinden, hervorgezauberte Unterschrift. Kurz: die Sentenz erklärt das Szenenbild als seine Unterschrift für allegorisch. In diesem Sinne können denn Sentenzen sehr passend »schöne eingemengte Sprüche«712 heißen, wie Klai in der Vorrede des Herodesdramas sie nennt. Bestimmte Weisungen sind noch von Scaliger her für ihre Anordnung im Umlauf. »Die Lehr- und Dancksprüche (lies: Denksprüche) sind gleichsam des Trauerspiels Grundseulen; Solche aber müssen nicht von Dienern und geringen Leuten/ sondern von den fürnemsten und ältsten Personen angeführet … werden.«713 Aber nicht nur eigentlich emblematische Aussprüche,714 sondern ganze Reden klingen hin und wieder, als stünden sie von Haus aus unter einem allegorischen Kupfer. So die Eingangsverse des Helden im »Papinian«. »Wer über alle steigt und von der stoltzen höh | Der reichen ehre schaut, wie schlecht der pövel geh, | Wie unter ihm ein reich in lichten flammen krache, | Wie dort der wellen schaum sich in die felder mache | Und hier der himmel zorn, mit blitz und knall vermischt, | In thürm und tempel fahr, und was die nacht erfrischt, | Der heiße tag verbrenn, und seine sieges-zeichen | Sieht hier und dar verschränckt mit vielmahl tausend leichen, | Hat wol (ich geb es nach) viel über die gemein. | Ach! aber ach! wie leicht nimmt ihn der schwindel ein.«715 Was in barocker Malerei der Lichteffekt, ist hier Sentenz: grell blitzt sie in dem Dunkel allegorischer Verschlingung auf. Wiederum schwingt sich eine Brücke zu älterem Ausdruck hinüber. Wenn Wilken in seiner Schrift »Über die kritische Behandlung der geistlichen Spiele« die Rollen solcher Spiele mit Spruchbändern, die »auf alten gemälden zu den bildern der personen, denen sie aus dem Munde gehen … beigefügt sind«.716 verglichen hat, so kann das gleiche von vielen Stellen der Trauerspieltexte gelten. »Uns stört es«, konnte vor fünfundzwanzig Jahren R. M. Meyer noch schreiben, »wenn auf den Gemälden alter Meister den Figuren Spruchbänder aus dem Munde hingen … und wir schaudern fast bei der Vorstellung, daß einmal jegliche von Künstlerhänden gefertigte Gestalt gleichsam ein solches Band im Munde trug, das der Beschauer lesen sollte wie einen Brief, um den Boten dann wieder zu vergessen. Dennoch dürfen wir … nicht übersehen: daß dieser fast kindlichen Auffassung des Einzelnen eine großartige Gesamtauffassung zu Grunde lag.«717 Freilich wird deren kritische Betrachtung aus dem Stegreif sie nicht nur halbherzig beschönigen sondern auch von ihrem Verständnis sich so weit entfernen müssen, wie der Verfasser es mit der Erklärung tut, aus der »Urzeit« da »alles belebt« war, sei diese Anschauungsweise herzuleiten. Vielmehr – und das wird darzulegen sein – ist im Verhältnis zum Symbol die abendländische Allegorie ein spätes, auf sehr prägnanten kulturellen Auseinandersetzungen beruhendes Gebilde. Dem Spruchband ist die allegorische Sentenz vergleichbar. Und wieder anders ließe sie als Rahmen, als obligater Ausschnitt sich bezeichnen, in den die Handlung, stets verändert, stoßweise einrückt, um sich als emblematisches Süjet darin zu zeigen. Was