Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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eine Höhe mit dem Dichter stellt.«638 So fällt das schlicht Erbauliche vielleicht noch radikaler als in dem Barock vom Allegorischen ab.

      Je weiter die Entwickelung der Emblematik sich verzweigte, desto undurchdringlicher wurde dieser Ausdruck. Ägyptische, griechische, christliche Bildersprache durchdrangen sich. Für die Bereitwilligkeit, mit der die Theologie dem entgegenkam, ist ein Werk wie der »Polyhistor symbolicus«639 bezeichnend, verfaßt durch ebenden Jesuiten Caussinus, dessen lateinische »Felicitas« Gryphius übertragen hat. Auch konnte keine geeigneter erscheinen als solche nur den Gebildeten faßliche Rätselschrift, die hochpolitischen Maximen echter Lebensweisheit zu verschließen. Herder hat in seinem Aufsatz über Johann Valentin Andreä sogar gemutmaßt, daß sie für manchen Gedanken, den man vor Fürsten klar nicht habe nennen wollen, ein Asyl gewesen sei. Paradoxer hört Opitz sich an. Denn einerseits faßt er zwar die theologische Esoterik dieser Ausdrucksform als die Erhärtung einer vornehmen Abstammung der Poesie, andererseits aber meint er, um der Allgemeinverständlichkeit willen sei sie eingeführt worden. Dem Satze der »Art poétique« des Delbene: »La poésie n’était au premier âge qu’une théologie allégorique« hat er eine bekannte Formulierung des zweiten Kapitels der »Deutschen Poeterey« nachgebildet. »Die Poeterey ist anfangs nichts anderes gewesen als eine verborgene Theologie.« Aber andererseits: »Weil die erste und rawe weit gröber und ungeschlachter war/ als das sie hetten die lehren von weißheit und himmlischen dingen recht fassen und verstehen können/ so haben weise Männer/ was sie zu erbawung der gottesfurcht/ guter sitten und wandels erfunden/ in Reime und Fabeln/ welche sonderlich der gemeine Pöfel zu hören geneiget ist/ verstecken und verbergen müssen.«640 Diese Auffassung blieb maßgebend und begründet auch bei Harsdörffer, vielleicht dem konsequentesten Allegoriker, die Theorie dieser Ausdrucksform. Wie sie in alle weitesten und beschränktesten Geistesbezirke sich eingenistet hatte, von der Theologie, Naturbetrachtung und Moral bis hinab zu Heraldik, Festpoem und Liebessprache, so unbeschränkt ist der Fundus ihrer anschaulichen Requisiten. Für jeden Einfall trifft der Augenblick des Ausdrucks zusammen mit einer wahren Bilderuption, als deren Niederschlag die Menge der Metaphern chaotisch ausgestreut liegt. So stellt in diesem Stile das Erhabne sich dar. »Universa rerum natura materiam praebet huic philosophiae (sc. imaginum) nee qvicqvam ista protulit, qvod non in emblema abire possit, ex cujus contemplatione utilem virtutum doctrinam in vita civili capere liceat: adeo ut qvemadmodum Historiae ex Numismatibus, ita Morali philosophiae ex Emblematis lux inferatur.«641 Dieser Vergleich ist besonders glücklich. Haftet doch der Natur, die da geschichtlich geprägt, nämlich Schauplatz ist, durchaus etwas Numismatisches an. Derselbe Autor – ein Referent der »Acta eruditorum« – sagt an anderer Stelle: »Quamvis rem symbolis et emblematibus praebere materiam, nee quic quam in hoc universo existere, quod non idoneum iis argumentum suppeditet, supra in Actis … fuit monitum; cum primum philosophiae imaginum tomum superiori anno editum enarraremus. Cujus assertionis alter hie tomus,642 qui hoc anno prodiit, egregia praebet documenta; a naturalibus et artificialibus rebus, elementis, igne, montibus ignivomis, tormentis pulverariis et aliis machinis bellicis, chymicis item instrumentis, subterraneis cuniculis, fumo luminaribus, igne sacro, aere et variis avium generibus depromta symbola et apposita lemmata exhibens.«643 Ein einziger Beleg mag zur Genüge erweisen, wie weit man in dieser Richtung ging. In Böcklers »Ars heraldica« steht zu lesen: »Von Blättern. Man findet selten Blätter in den Wappen/ wo sie aber gefunden werden/ so führen sie die Deutung der Warheit/ weilen sie etlicher Massen der Zungen und dem Hertzen gleichen.«644 »Von Wolcken. Gleichwie die Wolcken sich übersich (!) in die Höhe schwingen/ hernach fruchtbaren Regen herab giessen/ davon das Feld/ Frucht und Menschen erfrischet und erquicket werden/ also soll auch ein Adeliches Gemüth/ in Tugend-Sachen gleichsam in die Höhe aufsteigen/ alsdenn mit seinen Gaben/ dem Vatterland zu dienen/ beflissen seyn.«645 »Die weise (!) Pferde bedeuten den obsiegenden Frieden/ nach geendigtem Krieg/ und zugleich auch die Geschwindigkeit.«646 Das Erstaunlichste ist eine komplette Farbenhieroglyphik, zu der, als Kombinatorik von je zwei Farben, dieses Buch anweist. »Roth zu Silber/ Verlangen sich zu rächen«,647 »Blau … zu Roth/ Unhöflichkeit«,648 »Schwartz … zu Purpur/ beständige Andacht«,649 um nur so viel zu nennen. »Die vielfachen Dunkelheiten des Zusammenhanges zwischen Bedeutung und Zeichen … schreckten nicht ab sondern reizten vielmehr dazu, immer entfernter liegende Eigenschaften des darstellenden Gegenstandes zu Sinnbildern zu verwerthen, um durch neue Klügeleien sogar die Ägypter zu übertreffen. Dazu kam die dogmatische Kraft der von den Alten überlieferten Bedeutungen, sodaß ein und dieselbe Sache ebenso gut eine Tugend wie ein Laster, also schließlich Alles versinnbildlichen kann.«650

      Dieser Umstand führt auf die Antinomien des Allegorischen, deren dialektische Abhandlung sich nicht umgehen läßt, wenn anders das Bild der Trauerspiele beschworen sein will. Jede Person, jedwedes Ding, jedes Verhältnis kann ein beliebiges anderes bedeuten. Diese Möglichkeit spricht der profanen Welt ein vernichtendes doch gerechtes Urteil: sie wird gekennzeichnet als eine Welt, in der es aufs Detail so streng nicht ankommt. Doch wird, und dem zumal, dem allegorische Schriftexegese gegenwärtig ist, ganz unverkennbar, daß jene Requisiten des Bedeutens alle mit eben ihrem Weisen auf ein anderes eine Mächtigkeit gewinnen, die den profanen Dingen inkommensurabel sie erscheinen läßt und sie in eine höhere Ebene hebt, ja heiligen kann. Demnach wird die profane Welt in allegorischer Betrachtung sowohl im Rang erhoben wie entwertet. Von dieser religiösen Dialektik des Gehalts ist die von Konvention und Ausdruck das formale Korrelat. Denn die Allegorie ist beides, Konvention und Ausdruck; und beide sind von Haus aus widerstreitend. Doch so wie die barocke Lehre überhaupt Geschichte als erschaffenes Geschehn begriff, gilt insbesondere die Allegorie, wennschon als Konvention wie jede Schrift, so doch als geschaffene wie die heilige. Die Allegorie des XVII. Jahrhunderts ist nicht Konvention des Ausdrucks sondern Ausdruck der Konvention. Ausdruck der Autorität mithin, geheim der Würde ihres Ursprungs nach und öffentlich nach dem Bereiche ihrer Geltung. Und wiederum die gleiche Antinomik ist’s, die bildnerisch begegnet im Konflikt der kalten schnellfertigen Technik mit dem eruptiven Ausdruck der Allegorese. Auch hier eine dialektische Lösung. Sie liegt im Wesen der Schrift selber. Von der offenbarten Sprache nämlich läßt ohne Widerspruch ein lebendiger, freier Gebrauch, in welchem sie nichts von ihrer Würde verlöre, sich denken. Nicht so von deren Schrift, als welche die Allegorie sich zu geben suchte. Die Heiligkeit der Schrift ist vom Gedanken ihrer strengen Kodifikation untrennbar. Denn alle sakrale Schrift fixiert sich in Komplexen, die zuletzt einen einzigen und unveränderlichen ausmachen oder doch zu bilden trachten. Daher entfernt sich die Buchstabenschrift als eine Kombination von Schriftatomen am weitesten von der Schrift sakraler Komplexe. Diese prägen in der Hieroglyphik sich aus. Will die Schrift sich ihres sakralen Charakters versichern – immer wieder wird der Konflikt von sakraler Geltung und profaner Verständlichkeit sie betreffen – so drängt sie zu Komplexen, zur Hieroglyphik. Das geschieht im Barock. Äußerlich und stilistisch – in der Drastik des Schriftsatzes wie in der überladenen Metapher – drängt das Geschriebene zum Bilde. Kein härterer Gegensatz zum Kunstsymbol, dein plastischen Symbol, dem Bilde der organischen Totalität ist denkbar als dies amorphe Bruchstück, als welches das allegorische Schriftbild sich zeigt. In ihm erweist sich das Barock als souveränes Gegenspiel der Klassik, wie man bisher in der Romantik nur es anerkennen wollte. Und es ist die Versuchung nicht abzuweisen, in beiden die Konstante zu ergründen. In beiden: in Romantik wie Barock handelt es sich nicht sowohl um ein Korrektiv der Klassik als um eines der Kunst selbst. Und jenem kontrastierenden Präludium der Klassik, dem Barock, ist eine höhere Konkretion, ja bessere Autorität und dauerndere Geltung dieser Korrektur kaum abzusprechen. Wo die Romantik in dem Namen der Unendlichkeit, der Form und der Idee das vollendete Gebilde kritisch potenziert,651 da verwandelt mit einem Schlage der allegorische Tiefblick Dinge und Werke in erregende Schrift. Eindringlich ist ein solcher Blick noch in Winckelmanns »Beschreibung des Torso des Hercules im Belvedere zu Rom«:652: wie er Stück für Stück, Glied für Glied in unklassischem Sinne ihn durchgeht. Nicht umsonst vollzieht sich das am Torso. Das Bild im Feld der allegorischen Intuition ist Bruchstück, Rune. Seine symbolische Schönheit verflüchtigt sich, da das Licht der Gottesgelahrtheit drauf trifft. Der falsche Schein der Totalität geht aus. Denn das Eidos verlischt, das Gleichnis geht ein, der Kosmos darinnen vertrocknet. In den dürren rebus, die bleiben, liegt Einsicht, die noch dem verworrenen Grübler greifbar ist. Unfreiheit, Unvollendung


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