Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
Читать онлайн книгу.Betonung vor. Eine gründliche Ahnung von der Problematik der Kunst – es war durchaus nicht nur ständische Ziererei, sondern religiöser Skrupel, der die Beschäftigung mit ihr den ›Nebenstunden‹ zuweist – tritt als Rückschlag ihrer renaissancistischen Selbstherrlichkeit auf. Wenn die Künstler und Denker des Klassizismus sich nicht mit dem, was ihnen Fratze war, beschäftigt haben, so geben Sätze der neukantischen Ästhetik einen Begriff von der Schärfe der Kontroverse. Die Dialektik dieses Ausdrucks wird verkannt und als Zweideutigkeit verdächtigt. »Zweideutigkeit aber, Mehrdeutigkeit ist der Grundzug der Allegorie; auf den Reichtum von Bedeutungen ist die Allegorie, ist der Barock stolz. Diese Zweideutigkeit aber ist der Reichtum der Verschwendung; die Natur hingegen ist nach den alten Regeln der Metaphysik, wie nicht minder auch nach denen der Mechanik, nicht zuletzt an das Gesetz der Sparsamkeit gebunden. Zweideutigkeit ist daher überall der Widerspruch zur Reinheit und Einheit der Bedeutung.«653 Nicht weniger doktrinär Erörterungen von einem Schüler Hermann Cohens, Carl Horst, der durch das Thema der »Barockprobleme« zu einer konkreteren Betrachtung gehalten war. Dem ungeachtet heißt’s von der Allegorie, daß sie »immer ein ›Überschreiten der Grenzen der anderen Art‹, ein Übertreten der bildenden Künste ins Darstellungsgebiet der ›redenden‹ zu erkennen gibt. Und solche Grenzverletzung«, fährt der Autor fort, »rächt sich nirgends unnachsichtiger als in der reinen Gefühlskultur, die den rein gehaltenen bildenden Künsten‹ mehr obliegt als den ›redenden‹, und jene so der Musik näher stellt … In dem kaltsinnigen Durchdringen der verschiedenartigsten menschlichen Äußerungsweisen mit herrschsüchtigen Gedanken … wird … Kunstgefühl und -Verständnis abgelenkt und vergewaltigt werden. Das verrichtet die Allegorie im Felde der ›bildenden‹ Künste. Man könnte ihr Eindringen deshalb als groben Unfug gegen Ruhe und Ordnung künstlerischer Gesetzmäßigkeit bezeichnen. Und doch hat sie niemals in ihrem Reiche gefehlt, und größte Bildner haben ihr große Werke gewidmet.«654 Dieses Faktum allein hätte selbstverständlich eine andere Betrachtungsweise der Allegorie veranlassen müssen. Die undialektische Denkweise der neukantischen Schule ist nicht befähigt, die Synthese zu fassen, die in der allegorischen Schrift aus dem Kampf von theologischer und künstlerischer Intention im Sinne nicht sowohl eines Friedens als einer treuga dei zwischen den widerstreitenden Meinungen sich ergibt.
Wenn mit dem Trauerspiel die Geschichte in den Schauplatz hineinwandert, so tut sie es als Schrift. Auf dem Antlitz der Natur steht ›Geschichte‹ in der Zeichenschrift der Vergängnis. Die allegorische Physiognomie der Natur-Geschichte, die auf der Bühne durch das Trauerspiel gestellt wird, ist wirklich gegenwärtig als Ruine. Mit ihr hat sinnlich die Geschichte in den Schauplatz sich verzogen. Und zwar prägt, so gestaltet, die Geschichte nicht als Prozeß eines ewigen Lebens, vielmehr als Vorgang unaufhaltsamen Verfalls sich aus. Damit bekennt die Allegorie sich jenseits von Schönheit. Allegorien sind im Reiche der Gedanken was Ruinen im Reiche der Dinge. Daher denn der barocke Kultus der Ruine. Von ihm weiß, weniger erschöpfend im Begründen als treffend im Bericht von dem Tatsächlichen, Borinski. »Der gebrochene Giebel, die zertrümmerten Säulen sollen das Wunder bezeugen, daß das heilige Bauwerk selbst den elementarsten Kräften der Zerstörung, Blitz, Erdbeben, standgehalten. Das künstlich Ruinöse dabei erscheint als das letzte Erbe des nur noch tatsächlich, als malerisches Trümmerfeld, auf modernem Boden angesehenen Altertums.«655 Eine Anmerkung sagt: »Man verfolge das Ansteigen dieser Tendenz an dem sinnreichen Brauche der Renaissancekünstler, die Geburt und Anbetung Christi statt in den mittelalterlichen Stall, in die Ruinen eines antiken Tempels zu verlegen. Diese bei einem D. Ghirlandaio (Florenz, Accademia) noch aus lauter tadellos erhaltenen Musterprunkstücken bestehend, erreichen jetzt ihren Selbstzweck, als malerische Kulisse vergänglicher Pracht zu dienen, in den plastisch farbigen Krippendarstellungen.«656 Weit über die antikischen Reminiszenzen setzt aktualstes Stilgefühl sich darin durch. Was da in Trümmern abgeschlagen liegt, das hochbedeutende Fragment, das Bruchstück: es ist die edelste Materie der barocken Schöpfung. Denn jenen Dichtungen ist es gemein, ohne strenge Vorstellung eines Ziels Bruchstücke ganz unausgesetzt zu häufen und in der unablässigen Erwartung eines Wunders Stereotypien für Steigerung zu nehmen. Als ein Wunder in diesem Sinne müssen die barocken Literaten das Kunstwerk betrachtet haben. Und wenn es andererseits als das errechenbare Resultat der Häufung ihnen winkte, ist beides um nichts weniger vereinbar, als das ersehnte wunderbare ›Werk‹ mit den subtilen theoretischen Rezepten in dem Bewußtsein eines Alchimisten. Der Praktik der Adepten ähnelt das Experimentieren der barocken Dichter. Was die Antike hinterlassen hat, sind ihnen Stück für Stück die Elemente, aus welchen sich das neue Ganze mischt. Nein: baut. Denn die vollendete Vision von diesem Neuen war: Ruine. Der überschwänglichen Bewältigung antiker Elemente in einem Bau, der, ohne sie zum Ganzen zu vereinen, in der Zerstörung noch antiken Harmonien überlegen wäre, gilt jene Technik, die im einzelnen ostentativ auf die Realien, Redeblumen, Regeln sich bezieht. ›Ars inveniendi‹ muß die Dichtung heißen. Die Vorstellung von dem genialen Menschen, dem Meister artis inveniendi, ist die eines Mannes gewesen, der souverän mit Mustern schalten konnte. Die ›Phantasie‹, das schöpferische Vermögen im Sinne der Neueren, war unbekannt als Maßstab einer Hierarchie der Geister. »Daß bishero unsern Opitius niemand in der teutschen Poeterey nur gleichkommen, viel weniger überlegen sein können (welches auch ins künftige nicht geschehen wird), ist die vornehmste Ursache, daß neben der sonderbaren Geschicklichkeit der trefflichen Natur, so in ihm ist, er in der Latiner und Griechen Schriften sowohl (!) belesen und selbe so artig auszudrücken und inventieren weiß.«657 Die deutsche Sprache aber, wie die Grammatiker der Zeit sie sahen, ist in diesem Sinne nur eine andere ›Natur‹ neben der der antiken Muster. »Die Sprachnatur«, so erläutert Hankamer deren Auffassung, »enthält schon alle Geheimnisse wie die materielle Natur.« Der Dichter »führt ihr keine Kräfte zu, schafft keine neue Wahrheit aus der eigenschöpferischen Seele, die sich ausspricht«.658 Sein Kombinieren darf der Dichter nicht vertuschen, wenn anders nicht sowohl das bloße Ganze, denn dessen offenbare Konstruktion das Zentrum aller intentionierten Wirkungen war. Daher die Ostentation der Faktur, die, bei Calderon zumal, hervorbricht wie die aufgemauerte Wand am Gebäude, dessen Verputz sich gelöst hat. So ist, wenn man will, die Natur auch den Dichtern dieser Periode die große Lehrmeisterin geblieben. Aber ihnen erscheint sie nicht in der Knospe und Blüte sondern in Überreife und Verfall ihrer Geschöpfe. Natur schwebt ihnen vor als ewige Vergängnis, in der allein der saturnische Blick jener Generationen die Geschichte erkannte. In ihren Denkmälern, den Ruinen, hausen, nach Agrippa von Nettesheim, die Saturntiere. Mit dem Verfall, und einzig und allein mit ihm, schrumpft das historische Geschehen und geht ein in den Schauplatz. Der Inbegriff jener verfallenden Dinge ist der extreme Gegensatz zum Begriff der verklärten Natur, den die Frührenaissance faßte. Von diesem hat Burdach gezeigt, daß er »keineswegs der unsrige« war. »Er bleibt noch lange abhängig vom Sprachgebrauch und Denken des Mittelalters, mag auch die Wertung des Worts und der Vorstellung ›Natur‹ sichtlich steigen. Unter Naturnachahmung jedesfalls versteht die Kunsttheorie des 14. bis 16. Jahrhunderts die Nachahmung der von Gott gestalteten Natur.«659 Diejenige Natur aber, in welche das Bild des Geschichtsverlaufes sich eindrückt, ist die gefallene. Die Neigung des Barock zur Apotheose ist Widerspiel von der ihm eigenen Betrachtungsart der Dinge. Sie tragen auf der Vollmacht ihres allegorischen Bedeutens das Siegelbild des Allzu-Irdischen. Niemals verklären sie sich von innen. Daher ihre Bestrahlung im Rampenlicht der Apotheose. Kaum je war eine Dichtung, deren virtuoser Illusionismus gründlicher ihren Werken jenen Schein ausgetrieben hätte, der da verklärt und durch den mit Recht man einst das Wesen künstlerischer Bildung zu bestimmen strebte. Von der Scheinlosigkeit aller barocken Lyrik läßt sich als einem ihrer strengsten Charakteristika sprechen. Im Drama ist es nicht anders. »So muß man durch den Tod in jenes Leben dringen/| Das uns Aegyptens Nacht in Gosems Tag verkehrt/| Und den beperlten Rock der Ewigkeit gewehrt!«660 – so malt, vom Standpunkt des Theaterfundus, Hallmann das ewige Leben. Das verstockte Haften am Requisit vereitelte die Darstellung der Liebe. Weltfremde, in die Vorstellung verlorene Geilheit hat das Wort. »Ein schönes Weib ist ja, die tausend Zierden mahlen,| Ein unverzehrlich Tisch, der ihrer viel macht satt.| Ein unverseigend Quell, das allzeit Wasser hat,| Ja süsse Libes-Milch; Wenn gleich in hundert Röhre| Der linde Zukker rinnt. Es ist der Unhold Lehre,| Des schelen Neides Art, wenn andern man verwehrt| Die Speise, die sie labt, sich aber nicht verzehrt.«661 Jede zulängliche Verhüllung im Gehalt fehlt den typischen Barockwerken. Ihr Anspruch, selbst in