Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
Читать онлайн книгу.ihre Texte gelesen wie als Trauerspieltexte. Wieweit das möglich war und möglich blieb, davon geben die Hölderlinschen Sophoklesübersetzungen aus der von Hellingrath nicht umsonst ›barock‹ genannten Spätzeit des Dichters den rechten Begriff.
—————
Allegorie und Trauerspiel
(Zweiter Teil)
Ihr kraft beraubte Wort’, ihr seid zerstückte Stück’,
Und seichte schattenstreif, allein, entweicht zu rük;
Vermehlet mit Gemähl ihr werdet zu gelassen,
Wenn ein tief Sinnebild hilft das verborgne fassen.
Franz Julius von dem Knesebeck: Dreyständige Sinnbilder682
Die philosophische Erkenntnis der Allegorie allein, die dialektische von ihrer Grenzform insbesondere, ist der Grund, auf dem das Bild des Trauerspiels mit lebendigen – und, wenn das ausgesprochen werden darf, mit schönen – Farben sich abhebt, der einzige, auf dem das Grau der Retuschen nicht haftet. In Chor und Zwischenspiel tritt allegorische Struktur am Trauerspiel so aufdringlich heraus, daß sie ganz nie den Betrachtern entgehen konnte. Aber eben darum blieben das die kritischen Einfallsstellen, durch die man in den Bau, der so vermessen als Griechentempel sich behaupten wollte, eindrang, um ihn zu zerstören. So Wackernagel: »Der Chor ist Erbe und Eigenthum der griechischen Bühne: er ist auch nur auf ihr die organische Folge historischer Prämissen. Bei uns war nirgend ein Anlaß auf den sich ein solcher hätte bilden können, und so haben denn auch die Versuche die von den deutschen Dramatikern des XVI. und XVII. Jahrhunderts … sind gemacht worden ihn auch auf die deutsche Bühne überzuleiten, nur verunglücken können.«683 Unbezweifelbar ist die nationelle Bedingtheit des griechischen Chordramas, ebenso unbezweifelbar aber, daß eine gleiche sich in der scheinbaren Griechennachahmung des XVII. Jahrhunderts auswirkt. Der Chor im Barockdrama ist nichts Äußerliches. Er ist im gleichen Sinn sein Inneres, wie das gotische Schnitzwerk eines Altars als Inneres hinter den aufgeklappten, mit Historien bemalten Flügeln, sich zeigt. Im Chor, beziehungsweise in dem Zwischenspiel, ist die Allegorie nicht mehr bunt, geschichtsbezogen, sondern rein und streng. Am Schluß des IV. Akts der Lohensteinschen »Sophonisbe« treten Wollust und Tugend im Streit auf. Zuletzt wird die Wollust entlarvt und läßt von der Tugend sich sagen: »Wol! wir wolln bald des Engels Schönheit sehn! | Ich muß dir den geborgten Rock ausziehen. | Kan sich ein Bettler in was ärgers nehn? | Wer wollte nicht für dieser Sclavin fliehen? | Wirff aber auch den Bettler-Mantel weg. | Schaut/ ist ein Schwein besudelter zu schauen? | Diß ist ein Krebs- und diß ein Aussatz-Fleck. | Muß dir nicht selbst für Schwer- und Eyter grauen? | Der Wollust Kopff ist Schwan/ der Leib ein Schwein. | Laßt uns die Schminck’ im Antlitz auch vertilgen. | Hier fault das Fleisch/ dort frißt die Lauß sich ein/ | So wandeln sich in Koth der Wollust Liljen. | Noch nicht genug! zeuch auch die Lumpen aus; | Was zeigt sich nun? Ein Aaß/ ein todt Gerippe. | Besieh’ itzt auch der Wollust innres Haus: | Daß man sie in die Schinder-Grube schippe!«684 Das ist das alte allegorische Motiv von der Frau Welt. Aus dergleichen markanten Stellen ist hin und wieder auch den Autoren des vorigen Jahrhunderts eine Vorstellung von dem gekommen, worum es hier geht. »In den Reyen«, heißt es bei Conrad Müller, »wird der Druck der geschraubten Natur Lohensteins auf sein Sprachgenie geringer, weil das Schnörkelwerk seiner Worte, das sich seltsam an dem stilvollen Tempel der Tragödie ausnimmt, eigen mit dem Gaukelputz der Allegorie zusammenstimmt.«685 Und wie im Wort manifestiert das Allegorische sich auch im Figuralen und im Szenischen. Das erreicht in den Zwischenspielen mit ihren personifizierten Eigenschaften, den fleischgewordenen Tugenden und Lastern, seinen Höhepunkt, ohne irgendwie auf sie beschränkt zu sein. Denn es erhellt, daß eine Typenreihe, wie König, Höfling, Narr sie bilden, von allegorischer Bedeutung ist. Hier gelten wieder die Divinationen des Novalis: »Eigentliche Schauszenen, nur die gehören aufs Theater. Allegorische Personen, die meisten sehn nur solche um sich. Kinder sind Hoffnungen, Mädchen sind Wünsche und Bitten.«686 Einsichtsvoll weist das auf Zusammenhänge eigentlicher Schaustellung mit Allegorie. Deren Figurinen waren freilich im Barock andere und – christlich und höfisch – bestimmtere als Novalis sie ausmalt. Wie selten und wie schwankend sich die Fabel auf deren eigentümliche Moralität bezieht, darin verraten die Figuren sich als allegorisch. Im »Leo Armenius« bleibt ganz dunkel, ob Balbus einen Schuldigen oder einen Schuldlosen trifft. Genug daß es der König ist. Auch läßt sich anders nicht verstehn, daß nahezu beliebige Personen in das lebende Bild einer allegorischen Apotheose einrücken können. Die »Tugend« preist den Masinissa,687 einen erbärmlichen Wicht. Nie hat das deutsche Trauerspiel vermocht, die Züge der Person so geheim in tausend Falten einer allegorischen Gewandfigur, wie Calderon es konnte, zu verteilen. Nicht besser hat ihm Shakespeares große Interpretation der allegorischen Gestalt in neuen einzigartigen Rollen glücken wollen. »Gewisse Figuren Shakespeare’s haben den physiognomischen Zug der Moral- Play-Allegorie an sich; doch nur für das geübteste Auge erkennbar; sie gehen, hinsichtlich dieses Zuges, gleichsam in der allegorischen Tarnkappe, umher. Derartige Figuren sind Rosenkranz und Güldenstern.«688 Dem deutschen Trauerspiel blieb die Unscheinbarkeit des Allegorischen dank der Vergaffung in den Ernst versagt. Das Bürgerrecht in dem profanen Drama leiht Allegorischem allein die Komik, wo sie jedoch im Ernst den Einzug hält, da ist es unversehens der tödliche.
Die wachsende Bedeutung des Zwischenspiels, das schon in der mittleren Periode des Gryphius vor der dramatischen Katastrophe die Stelle des Chores einnimmt,689 fällt mit der zunehmenden Aufdringlichkeit seiner allegorischen Prachtentfaltung zusammen. Sie erreicht bei Hallmann den Höhepunkt. »Wie das Ornamentale der Rede das Konstruktive, den logischen Sinn überwuchert … und sich zu Katachresen verzerrt, so … verdeckt das aus dem Redestil geborgte Ornamentale als inszeniertes Exemplum, inszenierte Antithese und inszenierte Metapher die Struktur des ganzen Dramas.«690 Sinnfällig geben diese Zwischenspiele den Ertrag aus den Prämissen allegorischer Betrachtung, um welche das Vorangeschickte sich bemühte. Ob nach dem Beispiel des jesuitischen Schuldramas ein allegorisch, ›spiritualiter‹ zutreffendes Exemplum aus der antiken Geschichte abgehandelt wird – Hallmann: der Dido-Reyen aus »Adonis und Rosibella«, der Callisto-Reyen aus »Catharina«691 –, ob die Chöre, wie Lohenstein es bevorzugt, eine erbauliche Psychologie der Leidenschaften entwickeln, oder, wie bei Gryphius, die religiöse Reflexion in ihnen vorwaltet – mehr oder minder ist in allen diesen Typen der dramatische Vorfall nicht als einmaliger, vielmehr als die naturnotwendige, im Weltlauf angelegte Katastrophe aufgefaßt. Aber selbst die allegorische Nutzanwendung ist nicht Zuspitzung des dramatischen Verlaufs, sondern breites, exegetisches Zwischenspiel. Nicht einer aus dem andern schießen die Akte empor, sie staffeln sich vielmehr terrassenartig. In breiten Ebnen simultaner Umschau ist das dramatische Gefüge abgesetzt, wobei der Stufenbau des Zwischenspiels zum Standort einer ausladenden Statuarik wurde. »Es geht mit der Erwähnung des Exemplums in der Rede seine szenische Darstellung als lebendes Bild parallel (Adonis); es stehen solche Exempla sogar bis auf drei, vier und sieben gehäuft nebeneinander auf der Bühne (Adonis). Dieselbe szenische Umsetzung hat auch die rhetorische Apostrophe: Schau, wie … in den prophetischen Geisterreden erfahren.«692 Mit aller Macht holt in der ›stillen Vorstellung‹ der Wille zur Allegorie das verklingende Wort in den Raum zurück, um es der phantasielosen Anschauung zugänglich zu machen. Der, sozusagen, atmosphärische Ausgleich zwischen dem Raum einer visionären Wahrnehmung der dramatischen Person und der profanen des Zuschauers – ein theatralisches Wagnis, das selbst Shakespeare kaum je unternimmt – läßt, je weniger es diesen geringern Meistern gelungen ist desto deutlicher, seine Tendenz hervortreten. Die visionäre Beschreibung des lebenden Bildes ist ein Triumph barocker Drastik und barocker Antithetik – »Handlung und Reyen sind zwei getrennte Welten, sie unterscheiden sich wie Traum und Wirklichkeit«.693 »So ist die dramatische Technik des Andreas Gryphius, daß in Handlung und Reyen die reale Welt der Dinge und Geschehnisse sehr scharf getrennt ist von einer idealen Welt der Bedeutungen und Ursachen.«694 Ist es erlaubt, dieser beiden Aussagen als zweier Prämissen sich zu bedienen, so ist der Schluß nicht weit, daß die im Reyen vernehmbar sich machende Welt die der Träume und Bedeutungen sei. Erfahrung von der Einheit dieser beiden ist eigenster Besitz des Melancholikers. Doch auch die radikale Trennung von