Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
Читать онлайн книгу.offenbahret.«740 Die Lautsprache ist demnach der Bereich der freien, ursprünglichen Äußerung der Kreatur, wogegen das allegorische Schriftbild die Dinge in den exzentrischen Verschränkungen der Bedeutung versklavt. Diese Sprache, wie sie bei Böhme die der seligen, im Vers der Trauerspiele der gefallenen Kreaturen ist, wird als natürlich nicht nur ihrem Ausdruck, vielmehr selbst ihrer Genesis nach angesetzt. »Von den Wörtern ist diese alte Streitfrage/ ob dieselbige(!)/ als äusserliche Anzeigungen unsers inwendigen Sinnbegriffs/ weren von Natur oder Chur/ natürlich oder willkührlich/ φύσει oder ϑέσει: Und wird von den Gelahrten/ was die Wörter in den Hauptsprachen betrifft/ dieses einer sonderbaren natürlichen Wirckung zugeschrieben.«741 Selbstverständlich ging unter den »Hauptsprachen« die »deutsche Haupt- und Heldensprache« – so zum ersten Male in Fischarts »Geschichtklitterung« 1575 – voran. Ihre unmittelbare Abstammung vom Hebräischen war weitverbreitete Theorie und nicht die radikalste. Andere führten das Hebräische, Griechische, Lateinische sogar aufs Deutsche zurück. Man »bewies«, sagt Borinski, »in Deutschland historisch aus der Bibel, daß ursprünglich die ganze Welt, also auch die des klassischen Altertums, deutsch sei«.742 So suchte man einerseits die entlegensten Bildungsgehalte sich anzueignen, andererseits war man darauf bedacht, das Erkünstelte dieser Haltung zu vertuschen und bemühte sich um eine heftige Verkürzung der historischen Perspektive. Im gleichen atmosphärenlosen Raum ist alles aufgestellt. Was aber die gänzliche Angleichung aller Lautphänomene an einen Urständ der Sprache betrifft, so wurde die bald spiritualistisch, bald ins Naturalistische gewendet. Die Theorie von Böhme und die Praxis der Nürnberger bezeichnen die Extreme. Für beides lag bei Scaliger ein, gewiß nur sachlicher, Ausgangspunkt. Die fragliche Stelle der »Poetik« lautet merkwürdig genug. »In A, latitudo. In I, longitudo. In E, profunditas. In O, coarctatio … Multum potest ad animi suspensionem, quae in Voto, in Religione: praesertim cum producitur, vt dij. etiam cum corripitur: Pij. Et ad tractum omnen denique designandum, Littora, Lites, Lituus, It, Ira, Mitis, Diues, Ciere, Dicere, Diripiunt … Dij, Pij, Iit: non sine manifestissima Spiritus profectione. Lituus non sine soni, quem significat, similitudine … P, tarnen quandam quaerit firmitatem. Agnosco enim in Piget, pudet, poenitet, pax, pugna, pes, paruus, pono, pauor, piger, aliquam fictionem. Parce metu, constantiam quandam insinuat. Et Pastor plenius, quam Castor. sie Plenum ipsum, et Purum, Posco, et alia eiusmodi. T, vero plurimum sese ostentat: Est enim litera sonitus explicatrix, fit namque sonus aut per S, aut per R, aut per T. Tuba, tonitru, tundo. Sed in fine tametsi maximam verborum claudit apud Latinos partem, tarnen in iis, quae sonum afferunt, affert ipsum quoque soni non minus. Rupit enim plus rumpit, quam Rumpo.«743 Analog, unabhängig von Scaliger selbstverständlich, hat Böhme seine Lautspekulationen verfolgt. »Nicht als ein Reich der Wörter, sondern … in ihre Laute und Klänge aufgelöst«,744 steht die Sprache der Kreaturen ihm im Gemüt. »A war ihm der erste Buchstabe, der aus dem Herzen dringt, i das Zentrum der höchsten Liebe, das r weil es ›schnarrt, prasselt und rasselt‹, hat den Charakter des Feuerquelles, s war ihm heiliges Feuer.«745 Man darf annehmen: die Evidenz, welche solche Beschreibungen damals gehabt haben, verdanken sie zum Teil der Lebenskraft der Dialekte, die noch überall in Blüte standen. Denn die Normierungsversuche der Sprachgesellschaften beschränkten sich auf das Schriftdeutsch. – Andrerseits wurde die kreatürliche Sprache naturalistisch als onomatopoetisches Gebilde beschrieben. Buchners Poetik ist dafür bezeichnend und führt darin nur seines Lehrers Opitz Meinung durch.746 Eigentliche Onomatopoetik ist zwar gerade nach Buchner in den Trauerspielen nicht statthaft.747 Aber eben das Pathos ist gewissermaßen der königliche Naturlaut des Trauerspiels. Am weitesten gehen die Nürnberger. Klajus behauptet, »es sei kein Wort im Deutschen, welches nicht Dasjenige, was es bedeute, durch ein ›sonderliches Gleichniß‹ ausdrücke«.748 Umgekehrt wendet Harsdörffer den Satz. »Die Natur redet in allen Dingen/ welche ein Getön von sich geben/ unsere Teutsche Sprache/ und daher haben etliche wähnen wollen/ der erste Mensch Adam habe das Geflügel und alle Thier auf Erden nicht anderst als mit unseren Worten nennen können/ weil er jedes eingeborne selbstlautende Eigenschafft Naturmäßig ausgedruket; und ist sich deswegen nicht zu verwundern/ daß unsere Stammwörter meinsten Theils mit der heiligen Sprache gleichstimmig sind.«749 Daraus leitete er die Aufgabe der deutschen Lyrik ab, »diese Sprache der Natur gleichsam in Worten und Rhythmen aufzufangen. Für ihn wie auch für Birken war eine solche Lyrik sogar eine religiöse Forderung, weil Gott es ist, der sich im Rauschen der Wälder … und im Brausen des Sturmes offenbart.«750] Ähnliches kommt im Sturm und Drang wieder zum Vorschein. »Die allgemeine Sprache der Völker ist Thränen und Seufzer; – ich verstehe auch den hülflosen Hottentotten und werde mit Gott, wenn ich aus Tarent bin, nicht taub sein! … Der Staub hat Willen, das ist mein erhabenster Gedanke an den Schöpfer, und den allmächtigen Trieb zur Freiheit schätz’ ich auch in der sich sträubenden Fliege.«751 Das ist die Philosophie der Kreatur und ihrer Sprache, gelöst aus dem Zusammenhang des Allegorischen.
Die Ableitung des Alexandriners als Versform des barocken Trauerspiels aus jener strengen Unterschiedenheit der beiden Hälften, die oft zur Antithetik führt, reicht nicht ganz hin. Nicht weniger charakteristisch ist, wie mit der logischen – und wenn man will: der klassizistischen – Gestaltung der Fassade die phonetische Wildheit im Innern kontrastiert. Ist doch, mit Omeis zu reden, der »tragische Stilus … mit prächtigen, langtönenden Wörtern angefüllet«.752 Wenn man im Angesicht der kolossalen Proportion barocker Baukunst und barocker Malerei die »Raumerfüllung vortäuschende Eigenschaft«753 von beiden hervorheben konnte, so hat die im Alexandriner malerisch ausladende Sprache des Trauerspiels die gleiche Aufgabe. Die Sentenz muß – so stationär auch die von ihr getroffene Handlung im Moment verharrt – Bewegung wenigstens vortäuschen; darin lag eine technische Notwendigkeit des Pathos. Deutlich wird die Gewalt, die noch Sentenzen, weil überhaupt dem Verse, eignet, von Harsdörffer anschaulich gemacht. »Warum solche Spiele meistentheils in gebundner Rede geschrieben werden? Antwort: weil die Gemüter eifferigst sollen bewegt werden/ ist zu den Trauer- und Hirtenspielen das Reimgebäud bräuchlich/ welches gleich einer Trompeten die Wort/ und Stimme einzwenget/ daß sie so viel grössern Nachdruk haben.«754 Und da die an dem Bilderfundus oftmals unfrei haftende Sentenz das Denken gern in ausgefahrne Gleise schiebt, wird Lautliches um so beachtenswerter. Unvermeidlich war, daß die stilkritische Behandlung auch des Alexandriners dem allgemeinen Irrtum der älteren Philologie verfiel, die antiken Anregungen oder auch Vorwände der Formgebung als die Indizien ihres Wesens hinzunehmen. Typisch ist folgende in ihrem ersten Teile sehr zutreffende Anmerkung aus Richters Untersuchung »Liebeskampf 1630 und Schaubühne 1670«: »Der besondere Kunstwert der großen Dramatiker des 17. Jahrhunderts hängt mit der schöpferischen Ausprägung ihres Wortstiles aufs engste zusammen. Viel mehr als die Charakteristik oder gar die Komposition … behauptet die hohe Tragödie des 17. Jahrhunderts ihre einzige Stellung durch das, was sie mit den rhetorischen Kunstmitteln, die in letzter Linie immer auf die Antike zurückgehen, leistet. Aber die bilderschwere Gedrungenheit und der festgefügte Bau der Perioden und Stilfiguren widerstrebten nicht nur dem Gedächtnis der Schauspieler, sondern sie wurzelten doch in dieser völlig heterogenen Formwelt der Antike so sehr, daß der Abstand von der Volkssprache ein unendlich großer war … Es ist bedauerlich, daß man … keinerlei Dokumente darüber besitzt, wie sich der Durchschnittsmensch mit ihr abfand.«755 Wäre selbst die Sprache dieser Dramen ausschließlich Gelehrtenangelegenheit gewesen, so hätten Ungeschulte immer an den Schaustücken ihre Freude gehabt. Aber der Schwulst entsprach den Ausdrucksimpulsen der Zeit, und diese Impulse pflegen ungleich stärker zu sein, als der verstandesmäßige Anteil an einer bis in die Einzelheiten transparenten Fabel. Die Jesuiten, die sich meisterhaft auf das Publikum verstanden, haben bei ihren Aufführungen kaum ein ausschließlich lateinkundiges Auditorium gehabt.756 Sie durften der alten Wahrheit sich überzeugt halten, daß die Autorität einer Äußerung so wenig von ihrer Faßlichkeit abhängt, daß sie durch Dunkelheit vielmehr gesteigert werden kann.
Die sprachtheoretischen Grundsätze und die Gepflogenheiten dieser Dichter treiben ein Grundmotiv allegorischer Anschauung an einer durchaus überraschenden Stelle hervor. In den Anagrammen, den onomatopoetischen Wendungen und vielen Sprachkunststücken anderer Art stolziert das Wort, die Silbe und der Laut, emanzipiert von jeder hergebrachten Sinnverbindung, als Ding, das allegorisch ausgebeutet werden darf. Die Sprache des Barock ist allezeit erschüttert