Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
Читать онлайн книгу.Zufall wird Mariamne, des Herodes Gattin, der Fetzen eines Briefes ansichtig, in welchem ihr Gemahl, für den Fall seines eigenen Todes, sie, seine vermeintlich gefährdete Ehre zu wahren, zu töten befiehlt. Diese Fetzen nimmt sie vom Boden auf und von ihrem Inhalt gibt sie in höchst prägnanten Versen sich Rechenschaft. »Was enthalten denn die Blätter? | Tod ist gleich das erste Wort, | Das ich finde; hier steht: Ehre, | Und dort les’ ich: Mariamne. | Was ist dieses? Himmel, rette! | Denn sehr viel sagt in drei Worten | Mariamne, Tod und Ehre, | Hier steht: in der Stille; hier: | Würde; hier: heischt; und hier: Streben; | Und hier: sterb’ ich, fährt es fort, | Doch was zweifl’ ich? Schon belehren | Mich die Falten des Papiers, | Die, entfaltend solchen Frevel, | Auf einander sich beziehen, | Flur, auf deinem grünem Teppich, | Laß mich sie zusammen fügen!«757 Die Worte erweisen sich noch in ihrer Vereinzelung verhängnisvoll. Ja man ist versucht zu sagen, schon die Tatsache, daß sie, so vereinzelt, noch etwas bedeuten, gibt dem Bedeutungsrest, der ihnen verblieb, etwas Drohendes. Dergestalt wird die Sprache zerbrochen, um in ihren Bruchstücken sich einem veränderten und gesteigerten Ausdruck zu leihen. Das Barock hat in die deutsche Rechtschreibung die Majuskel eingebürgert. Nicht nur der Anspruch auf Pomp sondern zugleich das zerstückelnde, dissoziierende Prinzip der allegorischen Anschauung kommt darin zur Geltung. Zweifellos haben zunächst von den großgeschriebenen Worten viele für den Leser einen Einschlag ins Allegorische gewonnen. Die zertrümmerte Sprache hat in ihren Stücken aufgehört, bloßer Mitteilung zu dienen und stellt als neugeborner Gegenstand seine Würde neben die der Götter, Flüsse, Tugenden und ähnlicher, ins Allegorische hinüberschillernder Naturgestalten. So ganz besonders drastisch, wie gesagt, beim Jüngern Gryphius. Läßt ein Gegenstück zu der unvergleichlichen Calderonstelle dem Deutschen sich auch weder hier noch sonst entnehmen, so tritt denn doch neben die Feinheit des Spaniers die Wucht des Andreas Gryphius nicht unrühmlich. Denn ganz erstaunlich meistert er die Kunst, Personen wie mit ausgebrochenen Redestücken einander im Disput entgegnen zu lassen. So in der »zweiten Abhandlung« des »Leo Armenius«. »Leo: Diß hauß wird stehn, dafern des hauses feinde fallen, | Theodosia: Wo nicht ihr fall verletzt, die dieses hauß umwallen. | Leo: Umwallen mit dem schwerdt. Theodosia: Mit dem sie uns beschützt. | Leo: Das sie auf uns gezuckt. Theodosia: Die unsern stuhl gestützt.«758 Wo die Entgegnungen böse und heftig werden, finden sich Häufungen zerstückter Redeteile mit Vorliebe. Sie sind bei Gryphius zahlreicher als bei den Spätern759 und fügen nebst den schroffen Lakonismen sich gut in das stilistische Gesamtbild seiner Dramen: denn beide rufen sie den Eindruck des Zerbrochenen und Chaotischen hervor. So glücklich diese Technik der Darstellung theatralischer Erregungen sich bietet, so wenig ist sie auf das Drama angewiesen. Als pastoralen Kunstgriff weiß sie sich in der folgenden Äußerung bei Schiebel: »Noch heutiges Tages bekömmt manchmal ein andächtiger Christ ein Tröpfflein Trostes/ (auch wohl ein Wörtgen nur / aus einem geistreichen Liede oder erbaulichen Predigt/) das schlingt er (gleichsam) so appetitlich hinunter/ daß es ihm wohl gedeyet/ inniglich afficiret/ und dermassen erquicket/ daß er bekennen muß/ es stecke was Göttliches darunter.«760 Nicht umsonst stellt solch eine Redewendung die Aufnahme der Worte gleichsam dem Geschmackssinn anheim. Lautliches ist und bleibt dem Barock ein rein Sinnliches; die Bedeutung ist in der Schrift zu Hause. Und das verlautbarte Wort wird nur gleichwie von einer unentrinnbaren Krankheit von ihr heimgesucht; im Austönen bricht es ab und eine Stauung des Gefühls, das sich zu ergießen bereit war, weckt die Trauer. Bedeutung begegnet hier und wird noch weiterhin begegnen als der Grund der Traurigkeit. Ihre äußerste Schärfe müßte die Antithetik von Laut und Bedeutung erhalten, wo es gelänge, beide in einem zu geben, ohne daß im Sinne des organischen Sprachbaus sie sich zusammenfänden. Diese deduzierbare Aufgabe ist mit einer Szene gelöst, die als Meisterstück in einer übrigens uninteressanten wiener Haupt- und Staatsaktion prangt. In der »Glorreichen Marter Joannes von Nepomuck« zeigt im ersten Akt die vierzehnte Szene einen der Intriganten (Zytho) als Echo bei den mythologischen Reden seines Opfers (Quido) fungieren, wie er mit todverheißenden Bedeutungen ihnen Antwort gibt.761 Das Umschlagen des rein Lautlichen der kreatürlichen Sprache in die bedeutungsschwangere Ironie, die aus dem Munde des Intriganten zurücktönt, ist für das Verhältnis dieser Charge zur Sprache höchst kennzeichnend. Der Intrigant ist der Herr der Bedeutungen. Im harmlosen Erguß einer onomatopoetischen Natursprache sind sie die Hemmung und Ursprung einer Trauer, an welcher mit ihnen der Intrigant schuld ist. Wenn nun gerade das Echo, die eigentliche Domäne eines freien Lautspiels, von Bedeutung sozusagen befallen wird, so mußte vollends dies als eine Offenbarung des Sprachlichen, wie jene Zeit es fühlte, sich erweisen. Dafür war denn auch eine Form vorgesehn. »Etwas sehr ›artiges‹ und Beliebtes ist das Echo, das die letzten zwei oder drei Silben einer Strophe wiederholt, und zwar oft durch Weglassung eines Buchstabens so, daß es wie Antwort, Warnung oder Prophezeihung klingt.« Dies Spiel wie andre seinesgleichen, die man so leicht für Allotria nahm, redet also zur Sache selber. In ihnen verleugnet sich die Sprachgeberde des Schwulstes so wenig, daß sie sehr wohl seine Formel illustrieren könnten. Die Sprache, die einerseits in der Klangfülle kreatürlich ihr Recht sich zu nehmen sucht, ist andererseits im Verlauf der Alexandriner unausgesetzt an eine forcierte Logizität gebunden. Dies das stilistische Gesetz des Schwulstes, die Formel von »Asiatischen Worten«762 der Trauerspiele. Die Geste, welche dergestalt sich die Bedeutung einzukörpern sucht, ist eins mit der gewaltsamen Verformung der Geschichte. In der Sprache wie im Leben allein die Typik kreatürlicher Bewegung anzunehmen und doch das Ganze der Kulturwelt von der Antike bis zum christlichen Europa auszusprechen – das ist die außerordentliche Gesinnung, die auch im Trauerspiel sich nie verleugnet. Seiner ungeheuer gekünstelten Ausdrucksweise liegt also dieselbe extreme Natursehnsucht zum Grunde wie den Schäferspielen. Andererseits ist gerade diese Ausdrucksweise, welche nur repräsentiert – nämlich die Natur der Sprache repräsentiert – und die profane Mitteilung tunlichst umgeht, höfisch, vornehm. Von einer wahren Überwindung des Barock, einer Versöhnung von Laut und Bedeutung, kann man vielleicht nicht früher als bei Klopstock dank der, von A. W. Schlegel so genannten, gleichsam ›grammatischen‹ Tendenz seiner Oden reden. Sein Schwulst beruht viel weniger auf Klang und Bild als auf der Wortzusammensetzung, der Wortstellung.
Die phonetische Spannung in der Sprache des XVII. Jahrhunderts führt geradezu auf die Musik als Widerpart der sinnbeschwerten Rede. Wie alle Wurzeln des Trauerspiels sich mit denen des Pastorale versdfilingen, so auch diese. Was als tänzerischer ›Reyen‹ von Beginn an, als oratorischer Sprechchor je länger je mehr im Trauerspiel sich ansiedelt, bekennt sich im Schäferspiel ohne weiteres als opernhaft. Die »Leidenschaft für das Organische«,763 von der man längst beim bildlichen Barock gesprochen hat, ist nicht so leicht im dichterischen zu umreißen. Und immer wird dabei zu merken sein, daß nicht so sehr der äußeren Gestalt als der geheimnisvollen Innenräume des Organischen in solchen Worten zu gedenken ist. Aus diesen Innenräumen dringt die Stimme und recht betrachtet liegt in ihrer Herrschaft in der Tat ein, wenn man will, organisches Moment der Dichtung, wie es zumal bei Hallmann in oratorienhaften Einlagen zu studieren ist. Er schreibt: »Palladius: Der zuckersüsse Tantz ist Göttern selbst geweiht! | Antonius: Der zuckersüsse Tantz verzuckert alles Leid! | Svetonius: Der zuckersüsse Tantz beweget Stein’ und Eisen! | Julianius: Den zuckersüssen Tantz muß Plato selber preisen! | Septitius: Der zuckersüsse Tantz besieget alle Lust! | Honorius: Der zuckersüsse Tantz erquicket Seel’ und Brust!«764 Aus stilistischen Gründen wird man annehmen können, daß solche Stellen im Chore gesprochen wurden.765 So auch Flemming bei Gelegenheit des Gryphius: »Den Nebenrollen allzuviel zuzumuten ging nicht an. Drum läßt er sie wenig sprechen, faßt sie viel lieber zum Chor zusammen, und erreicht auf diese Weise wichtige künstlerische Wirkungen, die durch ein naturalistisches Sprechen der einzelnen nie sich hätten erreichen lassen. So wendet der Künstler den Zwang des Materiales zum Nutzen der künstlerischen Wirkung.«766 Man hat an die Richter, Verschworenen und Trabanten im »Leo Armenius«, an den Hofstaat der Catharina, die Jungfrauen der Julia zu denken. Zur Oper drängte ferner die musikalische Ouvertüre, die dem Schauspiel bei Jesuiten und Protestanten voranging. Auch die choreographischen Einlagen wie der im tieferen Sinn choreographische Stil der Intrige sind dieser Entwicklung, welche zu Ende des Jahrhunderts die Auflösung des Trauerspiels in die Oper brachte, nicht fremd. – Die Zusammenhänge, auf welche diese Erinnerungen es abstellen, sind von Nietzsche in der »Geburt der Tragödie« entwickelt worden. Ihm war daran gelegen, Wagners ›tragisches‹ Gesamtkunstwerk gegen die spielerische