Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

Читать онлайн книгу.

Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke - Walter  Benjamin


Скачать книгу
Lust weiß im wahren Kunstwerk sich flüchtig zu machen, im Augenblick zu leben, hinzuschwinden, neuzuwerden. Das barocke Kunstwerk will nichts als dauern und klammert sich mit allen Organen ans Ewige. Mit welcher befreiender Süße den Leser die ersten ›Tändeleyen‹ des neuen Jahrhunderts verführten und wie die Chinoiserie dem Rokoko zum Gegenbilde des hieratischen Byzanz ward, begreift sich nur so. Spricht der barocke Kritiker vom Gesamtkunstwerk als dem Gipfel in der ästhetischen Hierarchie des Zeitalters und als dem Ideal der Trauerspiele selbst,662 so bekräftigt er auf neue Art diesen Geist der Schwere. Harsdörffer als gewiegter Allegoriker ist, unter vielen Theoretikern, am gründlichsten für die Verflechtung aller Künste eingetreten. Denn eben dies diktiert die Herrschaft allegorischer Betrachtung. Winckelmann macht den Zusammenhang, polemisch übertreibend, doch nur deutlich, denn er bemerkt: »Vergebens ist … die Hoffnung derjenigen, welche glauben, es sey die Allegorie so weit zu treiben, daß man so gar eine Ode würde mahlen können.«663 Ein anderes tritt, befremdender, hinzu. Wie führen die Dichtungen des Jahrhunderts sich ein: Widmungen, Vor- und Nachreden, eigene sowohl als fremde, Gutachten, Referenzen vor den Meistern sind die Regel. Als überladenes Rahmenwerk umgeben sie die größeren und die Gesamtausgaben ausnahmslos. Denn der Blick, der an der Sache selbst sich zu genügen gewußt hätte, war selten. Mitten in ihren weltläufigen Beziehungen gedachte man Kunstwerke sich anzueignen und weit weniger als später war die Beschäftigung mit ihnen rechenschaftfreie Privatsache. Die Lektüre war obligat und war bildend. Als Korrelat solcher Verfassung unterm Publikum begreift sich die gedachte Massigkeit, Geheimnislosigkeit und Breite der Produkte. Sie fühlen minder in der Zeit mit Wachstum auszubreiten sich bestimmt als irdisch, gegenwärtig ihren Platz zu füllen. Sie haben in so manchem Sinne ihren Lohn dahin. Doch eben darum liegt mit seltener Deutlichkeit in ihrer ferneren Dauer die Kritik entfaltet. Sie sind von Anbeginn auf jene kritische Zersetzung angelegt, die der Verlauf der Zeit an ihnen übte. Die Schönheit hat nichts Eigenstes für den Unwissenden. Dem ist das deutsche Trauerspiel spröde wie weniges. Sein Schein ist abgestorben, weil es der roheste war. Was dauert, ist das seltsame Detail der allegorischen Verweisungen: ein Gegenstand des Wissens, der in den durchdachten Trümmerbauten nistet. Kritik ist Mortifikation der Werke. Dem kommt das Wesen dieser mehr als jeder andern Produktion entgegen. Mortifikation der Werke: nicht also – romantisch – Erweckung des Bewußtseins in den lebendigen,664 sondern Ansiedlung des Wissens, in ihnen, den abgestorbenen. Schönheit, die dauert, ist ein Gegenstand des Wissens. Und ist es fraglich, ob die Schönheit, welche dauert, so noch heißen dürfe, – fest steht, daß ohne Wissenswürdiges im Innern es kein Schönes gibt. Die Philosophie darf nicht versuchen, es abzustreiten, daß sie das Schöne der Werke wieder erweckt. »Die Wissenschaft kann zum naiven Kunstgenuß nicht anleiten, so wenig die Geologen und Botaniker den Sinn für eine schöne Landschaft erwecken können«;665; diese Behauptung ist so schief, wie das Gleichnis, das sie decken soll, irrig. Sehr wohl vermögen dies der Geologe, der Botaniker. Ja, ohne ein zumindest ahnendes Erfassen vom Leben des Details durch die Struktur bleibt alle Neigung zu dem Schönen Träumerei. Struktur und Detail sind letzten Endes stets historisch geladen. Es ist der Gegenstand der philosophischen Kritik zu erweisen, daß die Funktion der Kunstform eben dies ist: historische Sachgehalte, wie sie jedem bedeutenden Werk zugrunde liegen, zu philosophischen Wahrheitsgehalten zu machen. Diese Umbildung der Sachgehalte zum Wahrheitsgehalt macht den Verfall der Wirkung in dem von Jahrzehnt zu Jahrzehnt das Ansprechende der früheren Reize sich mindert, zum Grund einer Neugeburt, in welcher alle ephemere Schönheit vollends dahinfällt und das Werk als Ruine sich behauptet. Im allegorischen Aufbau des barocken Trauerspiels zeichnen solch trümmerhafte Formen des geretteten Kunstwerks von jeher deutlich sich ab.

      Der Wendung von Geschichte in Natur, die Allegorischem zugrunde liegt, kam selbst die Heilsgeschichte weit entgegen. Wie sehr sie immer weltlich, retardierend ausgelegt ward – nur selten hat sich das so weit verstiegen wie bei Sigmund von Birken. Seine Poetik gibt »als Beispiele für Geburts-, Hochzeits- und Begräbnisgedichte, für Lobgedichte und Siegglückwünschungen Lieder auf die Geburt und den Tod Christi, auf seine geistliche Hochzeit mit der Seele, auf seine Herrlichkeit und seinen Sieg an«.666 Aus dem mystischen ›Nu‹ wird das aktuelle ›Jetzt‹; das Symbolische wird ins Allegorische verzerrt. Aus dem heilsgeschichtlichen Geschehen sondert man das Ewige ab und was bleibt, ist ein allen Korrekturen der Regie erreichbares lebendes Bild. Es entspricht das im Innersten der endlos vorbereitenden, umschweifigen, wollüstig zögernden Art der barocken Formgebung. Zutreffend ist ja, von Hausenstein, bemerkt worden, daß in den malerischen Apotheosen der Vordergrund mit outrierter Realistik pflege behandelt zu werden, um desto verläßlicher die entferntern Visionsgegenstände erscheinen zu lassen. Der drastische Vordergrund sucht in sich alles Weltgeschehen zu sammeln, nicht nur um die Spannweite von Immanenz und Transzendenz zu steigern sondern auch um die denkbar größte Strenge, Ausschließlichkeit und Unerbittlichkeit für diese zu erwirken. Es ist eine Geste von nicht zu überbietender Sinnfälligkeit, wenn dergestalt auch Christus ins Vorläufige, Alltägliche, Unzuverlässige geschoben wird. Schlagkräftig fällt der Sturm und Drang da ein und schreibt mit Merck, daß es »dem großen Manne nichts benehmen kann, wenn man weiß, daß er in einem Stall geboren ist, und zwischen Ochs und Esel in Windeln lag«.667 Und nicht zuletzt ist das Verletzende, das Ausfallende dieser Geberde barock. Wo das Symbol den Menschen in sich zieht, schießt aus dem Seinsgrund Allegorisches der Intention auf ihrem Weg hinab entgegen und schlägt sie dergestalt vors Haupt. Der barocken Lyrik ist die gleiche Bewegung eigentümlich. In ihren Gedichten ist »keine fortschreitende Bewegung, sondern eine Anschwellung von innen her«.668 Um der Versenkung Widerpart zu halten, hat ständig neu und ständig überraschend das Allegorische sich zu entfalten. Das Symbol dagegen bleibt, gemäß der Einsicht der romantischen Mythologen, beharrlich dasselbe. Welch auffallender Kontrast zwischen den einförmigen Verszeilen der Emblemenbücher, dem ›vanitas vanitatum vanitas‹ und dem modischen Betrieb, in welchem von der Jahrhundertmitte an eines das andere jagte! Allegorien veralten, weil das Bestürzende zu ihrem Wesen gehört. Wird der Gegenstand unterm Blick der Melancholie allegorisch, läßt sie das Leben von ihm abfließen, bleibt er als toter, doch in Ewigkeit gesicherter zurück, so liegt er vor dem Allegoriker, auf Gnade und Ungnade ihm überliefert. Das heißt: eine Bedeutung, einen Sinn auszustrahlen, ist er von nun an ganz unfähig; an Bedeutung kommt ihm das zu, was der Allegoriker ihm verleiht. Er legt’s in ihn hinein und langt hinunter: das ist nicht psychologisch sondern ontologisch hier der Sachverhalt. In seiner Hand wird das Ding zu etwas anderem, er redet dadurch von etwas anderem und es wird ihm ein Schlüssel zum Bereiche verborgenen Wissens, als dessen Emblem er es verehrt. Das macht den Schriftcharakter der Allegorie. Ein Schema ist sie, als dieses Schema Gegenstand des Wissens, ihm unverlierbar erst als ein fixiertes: fixiertes Bild und fixierendes Zeichen in einem. Das Wissensideal des Barock, die Magazinierung, deren Denkmal die riesigen Büchersäle waren, wird im Schriftbild erfüllt. Fast gleich sehr wie in China ist es als ein solches Bild nicht Zeichen des zu Wissenden allein sondern wissenswürdiger Gegenstand selbst. Auch über diesen Zug kam die Allegorie mit den Romantikern zum Anfang einer Selbstbesinnung. Zumal mit Baader. In seiner Schrift »Über den Einfluß der Zeichen der Gedanken auf deren Erzeugung und Gestaltung« heißt es: »Bekanntlich hängt es nur von uns ab, irgend einen Naturgegenstand als ein conventionelles Gedankenzeichen zu brauchen, wie wir dieses in der symbolischen und Hieroglyphen-Schrift sehen, und dieser Gegenstand nimmt dann nur einen neuen Charakter an, indem wir nicht seine natürlichen Merkmale, sondern die ihm von uns gleichsam geliehenen, durch ihn kund geben wollen.«669 Den Kommentar gibt eine Anmerkung zu dieser Stelle: »Es hat seinen guten Grund, daß Alles, was wir an der äußern Natur sehen, schon Schrift an uns, sohin eine Art Zeichensprache ist, welcher indeß das Wesentlichste: die Pronunciation, fehlt, die dem Menschen schlechterdings anderswoher gekommen und gegeben sein müßte.«670 ›Anderswoher‹ greift denn der Allegoriker sie auf und meidet darin keinesfalls die Willkür als drastische Bekundung von der Macht des Wissens. Die Chiffernfülle, die derselbe in der historisch tief geprägten Kreaturwelt liegen fand, rechtfertigt Cohens Klagen über ›Verschwendung‹. Sie mag dem Walten der Natur wohl ungemäß sein; die Wollust, mit welcher die Bedeutung als finsterer Sultan im Harem der Dinge herrscht, bringt sie unvergleichlich zum Ausdruck. Es ist ja dem Sadisten eigentümlich, seinen Gegenstand zu entwürdigen und darauf – oder dadurch – zu befriedigen. So tut denn auch der Allegoriker in dieser von erdichteten wie von erfahrenen Grausamkeiten trunkenen Zeit. Bis


Скачать книгу