Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
Читать онлайн книгу.wenn das Wetter feucht ist«,599 so möchte man kaum einhalten, um in diesen Worten einer besonderen Bedeutung nachzugehen. Aber das Bild ändert sich, wenn in der Hallmannschen Leichenrede auf Herrn Samuel von Butschky der Satz begegnet: »Er war von Natur tieffsinnig und Melancholischer Complexion, welche Gemüther einer Sache beständiger nachdencken/ und in allen Actionibus behuttsam verfahren. Das Schlangenvolle Medusen Haupt/ wie auch das Africanische Monstrum, nebst dem weinenden Crocodille dieser Welt konten seine Augen nicht verführen/ viel weniger seine Glieder in einen unarthigen Stein verwandeln.«600 Und zum dritten Male der Stein in Filidors schönem Zwiegespräch zwischen der Melancholei und der Freude: »Melankoley. Freude. Jene ist ein altes Weib/ in verächtlichen Lumpen gekleidet/ mit verhülleten (!) Haupt/ sitzet auff einem Stein/ unter einem dürren Baum/ den Kopff in den Schooß legend/ Neben ihr stehet eine Nacht-Eule … Melankoley: Der harte Stein/ der dürre Baum/| Der abgestorbenen Zypressen/| Giebt meiner Schwermuth sichern Raum | und macht der Scheelsucht mich vergessen … Freude: Wer ist diß Murmelthier| hier an den dürren Ast gekrümmet?| Der tieffen Augen röthe | straalt/ wie ein Blut Comete/| der zum Verderb und Schrecken glimmet … | Jetzt kenn ich dich/ du Feindin meiner Freuden/| Melanckoley/ erzeugt im Tartarschlund | vom drey geköpfften Hund’. | O! sollt’ ich dich in meiner Gegend leiden?| Nein/ warlich/ nein! | der kalte Stein/| der Blätterlose Strauch/| muß außgerottet seyn | und du/ Unholdin/ auch.«601
Es mag sein, daß unter dem Sinnbild des Steins nur die augenfälligste Gestalt des kalten, trocknen Erdreichs zu sehen ist. Aber denkbar ist es sehr wohl, ja angesichts der Stelle bei Albertinus nicht unwahrscheinlich, daß mit der trägen Masse auf den eigentlich theologischen Begriff des Melancholikers angespielt ist, der in dem einer Todsünde vorliegt. Das ist die Acedia, die Trägheit des Herzens. Von ihr stellte der schleichende Umlauf des matten Saturnlichts zu dem Melancholiker eine Beziehung her, die – sei’s nun auf astrologischer Grundlage oder auf anderer – bereits in einer Handschrift des XIII. Jahrhunderts bezeugt ist. »Von der tracheit. Du vierde houbet sunde ist. tracheit. an gottes dienste. Du ist so ich mich kere. von eime erbeitsamen. unt sweren guoten werke, zuo einer itelen ruowe. So ich mih kere. von deme guoten werke, wande ez mir svere ist. da von kumet bitterkeit des hercen.«602 Bei Dante ist die Acedia das fünfte Glied in der Ordnung der Hauptsünden. In ihrem Höllenkreise herrscht die eisige Kälte und das weist auf die Daten der Humoralpathologie, die kalte trockene Beschaffenheit der Erde zurück. Als Acedia rückt die Melancholie des Tyrannen in neue, geschärfte Beleuchtung. Ausdrücklich ordnet Albertinus den Symptomenkomplex des Melancholischen der Acedia zu: »Artlich wirdt die Accidia oder Trägheit dem Biß eines wütigen Hundts verglichen/ dann wer von demselbigen gebissen wird/ dervberkompt alsbaldt ersdiröckliche Träum/ er förchtet sich im Schlaf/ wird Wütig/ Vnsinnig/ verwirfft alles Getranck/ förchtet das Wasser/ bellet wie ein Hund/ vnd wirdt dermassen forchtsamb/ daß er auß forcht niderfellt. Dergleichen Leut sterben auch bald/ wann jhnen nicht geholfen wirdt.«603 Zumal die Unentschlossenheit des Fürsten ist nichts als saturnische Acedia. Saturn macht »apathisch, unentschlossen, langsam«.604 An der Trägheit des Herzens geht der Tyrann zugrunde. Wie hierin die Gestalt des Tyrannen, so ist durch die Treulosigkeit – einen anderen Zug des Saturnmenschen – die Figur des Höflings betroffen. Nichts Schwankenderes ist vorstellbar als der Sinn des Hofmanns, wie die Trauerspiele ihn malen: der Verrat ist sein Element. Es ist nicht Flüchtigkeit noch unbeholfene Charakterzeichnung der Autoren, wenn in den kritischen Augenblicken die Schranzen, kaum daß sie Zeit zur Besinnung sich gönnen, den Herrscher verlassen, zur Gegenpartei übertreten. Vielmehr trägt ihr Handeln eine Gesinnungslosigkeit zur Schau, die zum Teil bewußte Geste des Machiavellismus, zu einem anderen aber trostloser und schwermütiger Anheimfall an eine für undurchdringlich erachtete Ordnung unheilvoller Konstellationen ist, welche einen geradezu dinglichen Charakter annimmt. Krone, Purpur, Szepter sind ja im letzten Grunde doch Requisiten im Sinne des Schicksalsdramas, und sie haben ein Fatum an sich, dem der Höfling als sein Augur am ersten sich unterwirft. Seine Untreue gegen den Menschen entspricht einer in kontemplativer Ergebenheit geradezu versunkenen Treue gegen diese Dinge. Mit dieser hoffnungslosen Treue zum Kreatürlichen und zu dem Schuldgesetze seines Lebens steht der Begriff dieses Verhaltens selbst erst am Orte seiner adäquaten Erfüllung. Alle wesentlichen Entscheidungen vor Menschen nämlich können gegen die Treue verstoßen, in ihnen walten höhere Gesetze. Restlos angemessen ist sie einzig dem Verhältnis des Menschen zur Dingwelt. Sie kennt kein höheres Gesetz und die Treue keinen Gegenstand, dem sie ausschließlicher gehörte als der Dingwelt. Diese ruft sie denn auch immer um sich hervor, und jedes Geloben oder Gedenken aus Treue umgibt sich mit den Bruchstücken der Dingwelt als ihren eigensten, sie nicht überfordernden Gegenständen. Unbeholfen, ja unberechtigt spricht sie auf ihre Weise eine Wahrheit aus, um derentwillen sie freilich die Welt verrät. Die Melancholie verrät die Welt um des Wissens willen. Aber ihre ausdauernde Versunkenheit nimmt die toten Dinge in ihre Kontemplation auf, um sie zu retten. Der Dichter, von dem das Folgende überliefert wird, spricht aus dem Geiste der Schwermut. »Péguy parlait de cette inaptitude des choses à être sauvées, de cette résistance, de cette pesanteur des choses, des êtres mêmes, qui ne laisse subsister enfin qu’un peu de cendre de l’effort des héros et des saints.«605 Die Beharrlichkeit, die in der Intention der Trauer sich ausprägt, ist aus ihrer Treue zur Dingwelt geboren. So ist ebensowohl die Untreue zu verstehen, welche die Kalender dem Saturnmenschen zusprechen, wie auch die ganz vereinzelte dialektische Gegensetzung, das »treu in der Liebe«, das Abû Ma sar dem Saturnmenschen nachsagt,606, umzudeuten. Die Treue ist der Rhythmus der emanatistisch absteigenden Intentionsstufen, in welcher die aufsteigenden der neuplatonischen Theosophie beziehungsvoll verwandelt sich abspiegeln.
Mit der charakteristischen Haltung gegenreformatorischer Reaktion folgt die Typenbildung im deutschen Trauerspiele überall dem mittelalterlichen Schulbild der Melancholie. Doch die von dieser Typik grundverschiedene Gesamtform dieses Dramas: Stil und Sprache, sind nicht zu denken ohne jene kühne Wendung, mit der die Renaissancespekulationen in den Zügen der weinenden Betrachtung607] den Widerschein eines fernen Lichtes gewahrten, das aus dem Grunde der Versenkung ihr entgegenschimmerte. Einmal zumindest ist dem Zeitalter gelungen, die menschliche Gestalt zu beschwören, die dem Zwiespalt neuantiker und medievaler Beleuchtung entsprach, in welchem das Barock den Melancholiker gesehen hat. Aber nicht Deutschland hat das vermocht. Es ist der Hamlet. Das Geheimnis seiner Person ist beschlossen im spielerischen eben dadurch aber gemessenen Durchgang durch alle Stationen dieses intentionalen Raums, wie das Geheimnis seines Schicksals beschlossen ist in einem Geschehen, das diesem seinem Blick ganz homogen ist. Hamlet allein ist für das Trauerspiel Zuschauer von Gottes Gnaden; aber nicht was sie ihm spielen, sondern einzig und allein sein eigenes Schicksal kann ihm genügen. Sein Leben, als vorbildlich seiner Trauer dargeliehener Gegenstand, weist vor dem Erlöschen auf die christliche Vorsehung, in deren Schoß seine traurigen Bilder sich in seliges Dasein verkehren. Nur in einem Leben von der Art dieses fürstlichen löst Melancholie, indem sie sich begegnet, sich ein. Der Rest ist Schweigen. Denn alles nicht Gelebte verfällt unrettbar in diesem Raume, in dem das Wort der Weisheit nur trügerisch geistert. Shakespeare allein vermochte aus der barocken, unstoischen wie unchristlichen, pseudoantiken wie pseudopietistischen Starre des Melancholikers den christlichen Funken zu schlagen. Wenn anders der Tiefblick, mit dem Rochus von Liliencron Saturnkindschaft und Male der Acedia in Hamlets Zügen las,608 um seinen besten Gegenstand nicht betrogen sein soll, wird er in diesem Drama das einzigartige Schauspiel ihrer Überwindung im christlichen Geiste erblicken. Nur in diesem Prinzen kommt die melancholische Versenkung zur Christlichkeit. Das deutsche Trauerspiel hat sich nie zu beseelen, den Silberblick der Selbstbesinnung in seinem Inneren nie zu erwecken vermocht. Es ist sich selbst erstaunlich dunkel geblieben und hat den Melancholiker nur mit den grellen und verbrauchten Farben der mittelalterlichen Komplexionenbücher zu malen gewußt. Warum also dieser Exkurs? Die Bilder und Figuren, die es stellt, widmet es dem Dürerschen Genius der geflügelten Melancholie. Seine rohe Bühne beginnt vor ihm ihr inniges Leben.
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Allegorie und Trauerspiel
(Erster Teil)
Wer diese gebrechliche Hüten/ wo das Elend alle Ecken zieret/ mit einem vernünftigen Wortschlusse wolte begläntzen/ der würde keinen unförmlichen Ausspruch machen/ noch