Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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Zwangsvorstellung.

      Der Gedanke der ewigen Wiederkunft macht das historische Geschehen selbst zum Massenartikel. Diese Konzeption trägt aber auch noch in anderer Hinsicht – man könnte sagen: auf ihrer Rückseite — die Spur der ökonomischen Umstände, (Jenen sie ihre plötzliche Aktualität verdankt. Diese meldete sich in dem Augenblicke an, da die Sicherheit der Lebensverhältnisse durch die beschleunigte Abfolge der Krisen sich sehr verminderte. Der Gedanke der ewigen Wiederkunft hatte seinen Glanz davon, daß mit einer Wiederkunft von Verhältnissen in kleineren Fristen, als sie die Ewigkeit zur Verfügung stellte, nicht unter allen Umständen mehr zu rechnen war. Die Wiederkunft alltäglicher Konstellationen wurde ganz allmählich ein wenig seltener und es konnte sich damit 〈die〉 dumpfe Ahnung regen, man würde sich mit den kosmischen Konstellationen begnügen müssen. Kurz, die Gewohnheit schickte sich an, einiger ihrer Rechte sich zu begeben. Nietzsche sagt: »Ich liebe die kurzen Gewohnheiten« und schon Baudelaire war sein Lebtag unfähig, feste Gewohnheiten zu entwickeln.

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      Auf dem Passionswege des Melancholikers sind die Allegorien die Stationen. Stelle des Skeletts in der Erotologie von Baudelaire? »L’élégance sans nom de l’humaine armature.«

      Die Impotenz ist die Grundlage des Passionsweges der männlichen Sexualität. Historischer Standindex dieser Impotenz. Aus dieser Impotenz geht ebensowohl seine Bindung an das seraphische Frauenbild wie sein Fetischismus hervor. Hinzuweisen ist auf Bestimmtheit und Präzision der Frauenerscheinung bei Baudelaire. Die Kellersche »Dichtersünde«, »Süße Frauenbilder zu erfinden | Wie die bittere Erde sie nicht hegt«, ist sicherlich nicht die seine. Kellers Frauenbilder haben die Süßigkeit der Chimären, weil er ihnen die eigene Impotenz eingebildet hat. Baudelaire bleibt in seinen Frauengestalten präziser und mit einem Worte französischer, weil das fetischistische und das seraphische Element bei ihm fast nie, wie bei Keller, zusammentreten.

      Gesellschaftliche Gründe für die Impotenz: die Phantasie der Bürgerklasse hörte auf, sich mit der Zukunft der von ihr entbundenen Produktivkräfte zu beschäftigen. (Vergleich zwischen ihren klassischen Utopien und denen des mittleren neunzehnten Jahrhunderts.) Die Bürgerklasse hätte, um sich mit dieser Zukunft ferner beschäftigen zu können, in der Tat zunächst auf die Vorstellung von der Rente verzichten müssen. In der Fuchsarbeit habe ich gezeigt, wie die spezifische »Gemütlichkeit« der Jahrhundertmitte mit diesem wohlbegründeten Erlahmen der gesellschaftlichen Phantasie zusammenhängt. Im Vergleich zu den Zukunftsbildern dieser gesellschaftlichen Phantasie ist der Wunsch, Kinder zu bekommen, vielleicht nur ein schwächerer Stimulans der Potenz. Immerhin ist Baudelaires Lehre von den Kindern als den dem péché original nächsten Wesen hier ziemlich verräterisch.

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      Baudelaires Verhalten auf dem literarischen Markt: Baudelaire war – durch seine tiefe Erfahrung von der Natur der Ware – befähigt oder genötigt, den Markt als objektive Instanz anzuerkennen (vgl seine conseils aux jeunes littérateurs). Durch seine Verhandlungen mit Redaktionen stand er in ununterbrochenem Kontakt mit dem Markt. Seine Prozeduren – die Diffamierung (Musset), die contrefaçon (Hugo)⁠〈.〉 Baudelaire hat vielleicht als erster die Vorstellung von einer marktgerechten Originalität gehabt, die eben dadurch damals origineller war als jede andere (créer un poncif). Diese création schloß eine gewisse Intoleranz ein. Baudelaire wollte für seine Gedichte Platz schaffen und mußte zu diesem Zweck andere verdrängen. Er entwertete gewisse poetische Freiheiten der Romantiker durch seine klassische Handhabung des Alexandriners und die klassizistische Poetik durch die ihm eignen Bruchstellen und Ausfallserscheinungen im klassischen Verse selbst. Kurz seine Gedichte enthielten besondere Vorkehrungen zur Verdrängung der mit ihnen konkurrierenden.

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      Die Figur Baudelaires geht in einem entscheidenden Sinne in seinen Ruhm ein. Seine Geschichte ist für die kleinbürgerliche Masse der Leser eine image d’Epinal, der bebilderte »Lebenslauf eines Wollüstlings« gewesen. Dieses Bild hat zu Baudelaires Ruhm viel beigetragen – mochten die, die es verbreiteten, noch so wenig zu seinen Freunden zählen. Über dieses Bild legte sich ein anderes, das viel weniger in die Breite, dafür aber vielleicht nachhaltiger in der Zeit gewirkt hat: darauf erscheint Baudelaire als Träger einer ästhetischen Passion, wie sie um dieselbe Zeit (in »Entweder-Oder«) Kierkegaard konzipierte. Keine in die Kraft der Sache eingehende Betrachtung Baudelaires kann es geben, die sich mit dem Bild seines Lebens nicht auseinandersetzt. In Wahrheit wird dieses Bild dadurch bestimmt, daß er zuerst und auf die folgenreichste Art der Tatsache inne ward, daß das Bürgertum im Begriffe stand, seinen Auftrag an den Dichter zurückzuziehn. Welcher gesellschaftliche Auftrag konnte an seine Stelle treten? Er war bei keiner Klasse zu erfragen; er war am ehesten dem Markt und seinen Krisen zu entnehmen. Nicht die offenkundige kurzfristige sondern die latente und langfristige Nachfrage beschäftigte Baudelaire. Die Fleurs du mal beweisen, daß er sie richtig einschätzte. Aber das Medium des Marktes, in dem sie sich ihm zu erkennen gab, bedingte eine Produktions- und auch eine Lebensweise, die von der früherer Poeten sehr unterschieden war. Baudelaire war genötigt, die Würde des Dichters in einer Gesellschaft zu beanspruchen, die keinerlei Würde mehr zu vergeben hatte. Daher die bouffonnerie seines Auftretens.

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      In Baudelaire meldet der Dichter zum ersten Mal seinen Anspruch auf einen Ausstellungswert an. Baudelaire ist sein eigener Impresario gewesen. Die perte d’auréole betrifft zu allererst den Poeten. Daher seine Mythomanie.

      Die umständlichen Theoreme, mit denen das l’art pour l’art nicht nur von seinen damaligen Verfechtern sondern vor allem von der Literaturgeschichte (nicht zu reden von seinen heutigen) bedacht wurde, laufen schlicht und recht auf den Satz hinaus: die Sensibilität ist das wahre Sujet der Poesie. Die Sensibilität ist ihrer Natur nach leidend. Wenn sie ihre höchste Konkretion, ihre gehaltvollste Bestimmung in der Erotik erfährt, so findet sie ihre absolute Vollendung, die mit ihrer Verklärung zusammenfällt, in der Passion. Die Poetik des l’art pour l’art ging bruchlos in die poetische Passion der »Fleurs du mal« ein.

      Blumen schmücken die einzelnen Stationen dieses Kalvarienbergs. Es sind die Blumen des Bösen.

      Das von der allegorischen Intention Betroffene wird aus den Zusammenhängen des Lebens ausgesondert: es wird zerschlagen und konserviert zugleich. Die Allegorie hält an den Trümmern fest. Sie bietet das Bild der erstarrten Unruhe. Dem destruktiven Impuls Baudelaire⁠〈s〉 ist nirgends an der Abschaffung dessen interessiert, was ihm verfällt.

      Die Schilderung des Verwirrten ist nicht dasselbe wie eine verwirrte Schilderung.

      Victor Hugos »Attendre c’est la vie« – die Weisheit des Exils.

      Die neue Trostlosigkeit von Paris (vgl die Stelle über croque-morts) geht als ein wesentliches Moment i⁠〈n〉 das Bild der Modern⁠〈e〉 ein (vgl Veuillot D 2, 2)⁠〈.〉

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      Die Figur der lesbischen Frau gehört im genauen Sinn zu den heroischen Leitbildern Baudelaires. In der Sprache seines Satanismus bringt er das selbst zum Ausdruck. Es bleibt ebensowohl in einer unmetaphysischen, kritischen faßlich, die sein Bekenntnis zur »Moderne« in seine⁠〈r〉 politischen Bedeutung aufgreift. Das neunzehnte Jahrhundert begann, die Frau rückhaltlos in den Prozeß der Warenproduktion einzubeziehen. Alle Theoretiker waren sich darin einig, daß ihre spezifische Weiblichkeit so gefährdet wurde, männliche Züge mußten im Laufe der Zeit notwendig an der Frau in Erscheinung treten. Baudelaire bejaht diese Züge; gleichzeitig aber will er 〈sie〉 der ökonomischen Botmäßigkeit streitig machen. So kommt er dazu, dieser Entwicklungstendenz der Frau den


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