Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke - Walter  Benjamin


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anderes als die Theorie des satanischen Gelächters. Baudelaire geht in ihr soweit, selbst das Lächeln vom Standpunkt des satanischen Gelächters aus einzuschätzen. Zeitgenossen haben oft auf das Erschreckende hingewiesen, das in seiner Art zu lachen gelegen hat.

      Dialektik der Warenproduktion: die Neuheit des Produkts bekommt (als Stimulanz der Nachfrage) eine bisher unbekannte Bedeutung; das Immerwiedergleiche erscheint sinnfällig in der Massenproduktion zum ersten Mal.

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      Das Andenken ist die säkularisierte Reliquie.

      Das Andenken ist das Komplement des »Erlebnisses«. In ihm hat die zunehmende Selbstentfremdung des Menschen, der seine Vergangenheit als tote Habe inventarisiert, sich niedergeschlagen. Die Allegorie hat im neunzehnten Jahrhundert die Umwelt geräumt, um sich in der Innenwelt anzusiedeln. Die Reliquie kommt von der Leiche, das Andenken von der abgestorbenen Erfahrung her, welche sich, euphemistisch, Erlebnis nennt.

      Die fleurs du mal sind das letzte Gedichtbuch von gesamteuropäischer Wirkung gewesen. Vor ihnen etwa: Ossian, das Buch der Lieder?

      Die Embleme kommen als Waren wieder⁠〈.〉

      Die Allegorie ist die Armatur der Moderne⁠〈.〉

      Es gibt bei Baudelaire eine Scheu, das Echo zu wecken – sei es in der Seele, sei es im Raum. Er ist bisweilen kraß, niemals ist er sonor. Seine Redeweise löst sich von seiner Erfahrung so geringfügig ab wie der Gestus eines vollkommnen Prälaten von seiner Person.

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      Der Jugendstil erscheint als das produktive Mißverständnis, kraft dessen das »Neue« zum »Modernen« geworden ist. Natürlich ist dieses Mißverständnis bei Baudelaire angelegt.

      Das Moderne steht in Opposition zum Antiken, das Neue in Opposition zum Immergleichen. (Die Modern⁠〈e〉: die Masse; die Antike: die Stadt Paris.)

      Meryons pariser Straßen: Abgründe, über denen hoch oben die Wolken dahinziehen.

      Das dialektische Bild ist ein aufblitzendes. So, als ein im Jetzt der Erkennbarkeit aufblitzendes Bild, ist das des Gewesenen, in diesem Falle das von Baudelaire, festzuhalten. Die Rettung, die dergestalt, und nur dergestalt, vollzogen wird, läßt sich immer nur als auf der Wahrnehmung von dem unrettbar sich verlierenden gewinnen. Die metaphorische Stelle aus der Einleitung zum Jochmann ist hier heranzuziehen.

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      Der Begriff des Originalbeitrags war zu Baudelaires Zeit nicht entfernt so geläufig und maßgebend wie er es heute ist. Oft hat Baudelaire seine Gedichte ohne daß jemand Anstoß daran genommen hatte zum Zweit- oder Drittdruck abgegeben. Auf Schwierigkeiten stieß er damit erst, gegen Ende seines Lebens, bei den petits poèmes en prose.

      Inspiration Hugo’s: die Worte bieten sich ihm, gleich den Bildern, als eine wogende Masse dar. Inspiration Baudelaire’s: die Worte erscheinen, dank einer höchst studierten Prozedur an der Stelle, an der sie auftauchen, hingezaubert. Das Bild spielt bei dieser Prozedur eine entscheidende Rolle.

      Die Bedeutung der heroischen Melancholie für den Rausch und die bildliche Inspiration ist klarzustellen.

      Im Gähnen tut sich der Mensch selber als Abgrund auf; er macht sich der langen Weile ähnlich, die ihn umgibt.

      Was soll das: einer Welt, die in Totenstarre versinkt, von Fortschritt reden. Die Erfahrung einer in die Totenstarre eintretenden Welt fand Baudelaire mit unvergleichlicher Kraft von Poe festgehalten. Dies machte Poe für ihn unersetzlich; daß der die Welt beschrieb, in der Baudelaires Dichten und Trachten sein Recht hatte. Vergleiche das Medusenhaupt bei Nietzsche.

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      Die ewige Wiederkunft ist ein Versuch, die beiden antinomischen Prinzipien des Glücks mit einander zu verbinden: nämlich das der Ewigkeit und das des: noch einmal. – Die Idee der ewigen Wiederkunft zaubert aus der Misere der Zeit die spekulative Idee (oder die Phantasmagorie) des Glücks hervor. Nietzsches Heroismus ist ein Gegenstück zum Heroismus von Baudelaire, der aus der Misere des Philisteriums die Phantasmagorie der Moderne hervorzaubert.

      Der Begriff des Fortschritts ist in der Idee der Katastrophe zu fundieren. Daß es »so weiter« geht, ist die Katastrophe. Sie ist nicht das jeweils Bevorstehende sondern das jeweils Gegebene. Strindbergs Gedanke: die Hölle ist nichts, was uns bevorstünde – sondern dieses Leben hier.

      Die Rettung hält sich an den kleinen Sprung in der kontinuierlichen Katastrophe.

      Der reaktionäre Versuch, technisch bedingte Formen, das heißt abhängige Variable zu Konstanten zu machen, tritt ähnlich wie im Jugendstil im Futurismus auf.

      Die Entwicklung die Maeterlinck im Laufe eines langen Lebens zu einer extrem reaktionären Haltung führte, ist logisch.

      Der Frage ist nachzugehen, wieweit die in der Rettung zu erfassenden Extreme die des »zu Frühen« und des »zu Späten« sind.

      Daß Baudelaire dem Fortschritt feindlich gegenüberstand, ist die unerläßliche Bedingung dafür gewesen, daß er Paris in seiner Dichtung bewältigen konnte. Mit der seinen verglichen, steht die spätere Großstadtdichtung im Zeichen der Schwäche und sie tut das nicht zum wenigsten, w⁠〈o〉 sie in der Großstadt den Thron des Fortschritts sah. Aber Walt Whitman??

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      Es sind die triftigen gesellschaftlichen Gründe der männlichen Impotenz, die den von Baudelaire beschrittenen Passionsweg in der Tat zu einem gesellschaftlich vorgezeichneten machen. Nur so ist es zu verstehen, daß er als Zehrpfennig eine kostbare alte Münze aus dem angesammelten Schatz dieser europäischen Gesellschaft auf den Weg mitbekam. Sie wies auf der Kopfseite eine⁠〈n〉 Knochenmann, auf der Wappenseite die in Grübelei versunkene Melencolia auf. Diese Münze war die Allegorie.

      Die Passion Baudelaires als image d’Epinal im Stile der üblichen Baudelaireliteratur.

      Der Rêve parisien – die Phantasie von den stillgelegten Produktivkräften.

      Die Maschinerie wird bei Baudelaire zur Chiffre der zerstörenden Kräfte. Solche Maschinerie ist nicht zum wenigsten das menschliche Skelett.

      Die wohnhausähnliche Beschaffenheit der frühen Fabrikationsräume hat bei aller Barbarei und Unzweckmäßigkeit doch dies Eigentümliche, daß der Fabrikbesitzer darinnen, gleichsam als Staffagefigur zu denken ist, wie er in den Anblick seiner Maschinen versunken, nicht nur von seiner sondern auch von ihrer künftigen Größe träumt. Fünfzig Jahre nach Baudelaires Tode war dieser Traum ausgeträumt.

      Die barocke Allegorie sieht die Leiche nur von außen. Baudelaire sieht sie auch von innen.

      Daß die Sterne bei Baudelaire ausfallen, gibt von der Tendenz seiner Lyrik zur Scheinlosigkeit den schlüssigsten Begriff.

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      Daß Baudelaire sich zum Spätlateinischen hingezogen fühlte, dürfte mit der Kraft seiner allegorischen Intention zusammenhängen.

      Es ist bei der Bedeutung, die die verfemten Erscheinungsformen der Sexualität im Leben und im Werk von Baudelaire haben, bemerkenswert, daß weder in privaten Dokumenten noch im Werk das Bordell die geringste Rolle spielt. Es gibt aus dessen Sphäre kein Gegenstück zu einem Gedicht wie »Le jeu«. (vgl aber deux bonnes sœurs)

      Die


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