Soziale Interventionen in der Psychotherapie. Группа авторов

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Soziale Interventionen in der Psychotherapie - Группа авторов


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(»person-in-environment«; Dorfman, 1996).

      Milne (1999, vgl. Pauls, 2011/2013b) fordert, im Rahmen einer social sensitive therapy das soziale Umfeld grundsätzlich als wesentlichen Wirkfaktor in die therapeutische Behandlung einzubeziehen. Zur Veranschaulichung führt Tabelle 1.1 typische soziale bzw. sozialtherapeutische Person-in-environment-Interventionsstrategien auf (image Tab. 1.1).

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      InterventionsstrategieZieleMethoden

      Die für die psychotherapeutische Perspektive wichtigen Dimensionen des Selbstbildes und der Selbstbewertung (die sich ja wesentlich in Interaktion mit und Abhängigkeit von ihren Mitmenschen entwickeln, destabilisieren oder stabilisieren) werden in den Interventionssettings und -methoden der Klinischen Sozialarbeit insbesondere durch die konkrete Erfahrung eigener Handlungsfähigkeit gefördert, immer auch im Rahmen von Bindung und Halt gebenden helfenden Beziehungen (Gahleitner, 2017). Sozial bzw. psychosozial beratende und behandelnde Maßnahmen Sozialer Arbeit bieten entsprechend Projekte mit einbindungs- und handlungsbezogenen Erfahrungsmöglichkeiten im Rahmen von stabilen – heilsamen – Anerkennungsverhältnissen. Dazu sind geeignete sozialstrukturelle Arbeitsbedingungen nötig (z. B. institutionelle Angebote, Projekte, Werkstätten, Gruppen), welche (a) die sozialemotionale Motivation der Betroffen durch spezifische Handlungsmöglichkeiten fördern und soziale Anerkennung hervorrufen sowie Zugehörigkeit ermöglichen und (b) den Betroffenen Selbsteinbindungsmöglichkeiten und positive Selbstregulationsmöglichkeiten (Selbstwirksamkeitserfahrungen, positive Selbstbewertung) anbieten (Pauls, 2011/2013b).

      Um dem biopsychosozialen Modell in der Praxis gerecht zu werden, schlägt Egger (2005) Simultandiagnostik und kooperative Behandlung vor: Analyseebenen, Datenquellen und jeweilige funktionale Bereiche sollten medizinische ExpertInnen auf der biologischen Ebene, psychologische ExpertInnen auf der psychologischen Ebene und SozialexpertInnen auf der sozialen Ebene abklären bzw. einbringen. Anschließend wird im Rahmen einer ganzheitlichen Diagnostik ein integrativer biopsychosozialer Behandlungsplan entwickelt (image Abb. 1.3).

      Abb. 1.3: Simultandiagnostik und -therapie (aus Egger, 2005, S. 10)

      1.5 Zur Verantwortung multiprofessioneller Behandlung

      Die Perspektive einer Manifestationsebene allein fokussiert nur einen Teilbereich des Menschen (seine Körperlichkeit, seine Persönlichkeit bzw. seine sozialen Bezüge). Bei mehreren Perspektiven gemeinsam lassen sich nicht nur die Einzelperspektiven kumulieren, sondern es sollten auch neue Integrationsebenen entstehen. Interventionen auf der sozialen Ebene bleiben in der Regel erfolglos, wenn es sich primär um eine Störung auf der psychischen Ebene handelt, die spezifischer psychotherapeutischer Maßnahmen bedarf. Diese psychologischen und psychotherapeutischen Maßnahmen müssen dann zunächst oder begleitend zu sozialen Interventionsmaßnahmen durchgeführt werden. Die soziale Intervention erfolgt somit auf sehr komplexem Niveau und muss sicherstellen, dass die biologisch-medizinische und die psychologisch-psychotherapeutische Manifestationsebene in Diagnostik und Therapie berücksichtigt und integriert werden. Allerdings sind auch Medizin und Psychotherapie aufgerufen, die soziale Manifestationsebene verantwortlich einzubeziehen. So erfolgen nicht selten medizinisch-medikamentöse Fehlbehandlungen bei sozial bedingten Störungen aufgrund ausbleibender psychosozialer Diagnostik und klinisch-sozialer Behandlungskompetenz. Ebenso sind bei vielen Störungen psychotherapeutische Interventionen mit ihrem Fokus auf innerpsychische Dysfunktionen bei »Multi-Problem-Fällen« völlig unzureichend oder gar nicht indiziert, da aufsuchende, strukturbildend-stützende und vernetzte aktive soziale Hilfen und soziotherapeutisch-beratend-begleitende Maßnahmen notwendig sind.

      Biopsychosoziale Gesundheitsprobleme sind Passungsprobleme im Sinne von Diskrepanzen bzw. Inkongruenzen zwischen verschiedenen Dimensionen des menschlichen Lebens. Deshalb werden die beteiligten Behandlungsperspektiven bzw. Integrationsebenen in ihren jeweiligen Möglichkeiten und Grenzen benötigt. »Bei einem umfassenden bio-psycho-sozialen Verständnis sind biologische Konstitution, psychische Potentiale (Dispositionen, Bewältigungskompetenzen usw.), Entwicklungsanforderungen und Belastungen (z. B. familiär, schulisch, Arbeitsfeld, subkulturelles Umfeld und alters-, geschlechts-, funktions- und bereichsspezifische Standards), Entwicklungsziele und (Selbst-)Einschätzungen des Individuums, Entwicklungs- und Unterstützungsangebote in der Umwelt, die soziale Chancenstruktur (soziale und materielle Ressourcen und Mittel) immer mehr oder weniger günstig aufeinander abgestimmt. Im günstigen Falle bilden sie ein System fördernder Anregungen und Unterstützungen, die für die Entwicklung optimale Diskrepanzen aufweisen, so dass die Person durch Mobilisierung eigener Bewältigungskompetenzen neue, reifere Lösungen entwickeln und in einem hinreichend kohärenten Bild vom Selbst-in-der-Welt in gesundheitsfördernder Weise integrieren kann. Im ungünstigen Fall wirken diese Dimensionen aber gegeneinander, so dass eine Blockierung der Entwicklung erfolgt und problematische Bewältigungsversuche« (Pauls, 2011/2013b, S. 117) bzw. Erkrankungen die Folge sind. Das inzwischen durch beeindruckende empirische Evidenz der Wechselwirkungen der drei Integrationsebenen gestützte biopsychosoziale Modell stößt die Disziplinen und Berufe der Gesundheitsarbeit, hier speziell die Psychotherapie und die Klinische Sozialarbeit (wie auch die Psychiatrie), auf ihre Verantwortung gegenüber ihren PatientInnen und KlientInnen, in angemessener Weise miteinander zu kooperieren. Es ist Zeit, ein multiprofessionelles biopsychosoziales Gesundheitsförderungs- und Krankenbehandlungskonzept zu etablieren, in dem Medizin, Psychiatrie, (Klinische) Sozialarbeit und Psychotherapie (last but not least auch die Pflege) einen selbstverständlichen Platz einnehmen.

      Literatur

      Ansen, H. (2001). Klinisch-methodische Kompetenzen der Sozialen Arbeit in der Beratung von Patienten. Forum Krankenhaussozialarbeit, 5, 1, 2–9.

      Applegate, J. S. & Shapiro, J. R. (2005). Neurobiology for clinical social work. Theory and practice (Reihe: Norton Series on Interpersonal Neurobiology). New York: Norton.

      Bateson, G. (1972). Steps to an ecology of mind. Collected essays in anthropology, psychiatry, evolution, and epistemology (Reihe: Chandler publications for health sciences). San Francisco, CA: Chandler.

      Baumann, U. & Perrez, M. (2005). Grundbegriffe – Einleitung. In M. Perrez & U. Baumann (Hrsg.), Lehrbuch Klinische Psychologie – Psychotherapie (Reihe: Psychologie-Lehrbuch; 3., vollständig überarbeitete Auflage; S. 31–51). Bern: Huber.

      Borrell-Carrió, F., Suchman, A. L. & Epstein, R. M. (2004). The biopsychosocial model 25 years later. Principles, practice, and scientific inquiry. Annals of Family Medicine, 2, 6, 576–582. Zugriff am 09.02.2018 unter http://www.annfammed.org/content/2/6/576.full.pdf+html.

      DIMDI (2005). ICF-Version 2005. Zugriff am 15.08.2019 unter https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icf/icfhtml2005/zusatz-02-vor-einfuehrung.htm

      Dorfman, R. A. (1996). Clinical social work. Definition, practice and vision. New York: Brunner/Mazel.

      Egger, J. W. (2005). Das biopsychosoziale Krankheitsmodell. Grundzüge eines wissenschaftlich begründeten ganzheitlichen Verständnisses von Krankheit. Psychologische Medizin, 16, 2, 3–12. Zugriff am 09.02.2018


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