Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs. Charles Dickens

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Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs - Charles Dickens


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in tiefen Schlaf verfiel.

      Am nächsten Morgen hatte es kaum sieben geschlagen, als Herrn Pickwicks reger Geist aus dem Zustande der Bewußtlosigkeit, in den er von dem Schlummer gewiegt worden war, durch ein lautes Pochen an seiner Zimmertür geweckt wurde.

      »Wer ist da?« rief Herr Pickwick, von seinem Kissen auffahrend.

      »Der Hausknecht, Sir.«

      »Was wollt Ihr?«

      »Verzeihen Sie, Sir, können Sie mir nicht sagen, welcher Herr von Ihrer Gesellschaft einen blauen Frack mit vergoldeten Knöpfen trägt, auf denen die Buchstaben P. K. stehen?«

      »Der Rock wird zum Ausbürsten hinausgegeben sein,« dachte Herr Pickwick, »und der Mann hat vergessen, wem er angehört. – Herr Winkle«, rief er laut: »im dritten Zimmer rechts.«

      »Danke, Sir«, versetzte der Hausknecht und entfernte sich.

      »Was gibt's?« rief Herr Tupman, als ein lautes Klopfen an seiner Tür ihn aus seiner tiefen Ruhe aufschreckte.

      »Kann ich mit Herrn Winkle sprechen, Sir?« entgegnete der Hausknecht von außen.

      »Winkle – Winkle!« rief Herr Tupman ins Nebenzimmer.

      »Holla!« antwortete eine matte Stimme unter der Bettdecke hervor.

      »Es ist jemand an der Tür, der zu Ihnen will.«

      Nachdem sich Herr Tracy Tupman soweit angestrengt hatte, legte er sich wieder aufs Ohr und fiel aufs neue in tiefen Schlaf.

      »Zu mir?« sagte Herr Winkle, rasch aus seinem Bett springend und einige Kleidungsstücke anziehend. »Zu mir? in so weiter Entfernung von der Stadt? Wer um Himmels willen kann denn etwas von mir wollen?«

      »Ein Herr im Gastzimmer, Sir«, versetzte der Hausknecht, als Herr Winkle die Tür öffnete, um den Anklopfenden hereinzulassen. »Der Herr sagte, er wolle Sie keinen Augenblick aufhalten, Sir; er könne aber durchaus keine Abweisung annehmen.«

      »Höchst sonderbar!« sagte Herr Winkle. »Nun, ich will gleich hinunterkommen.«

      Er hüllte sich rasch in einen Reiseschal, zog seinen Schlafrock an und ging die Stiege hinunter. Eine alte Frau und ein paar Kellner scheuerten das Gastzimmer, und ein Offizier in Halbuniform blickte aus dem Fenster. Er wandte sich mit einer steifen Kopfverbeugung an den eintretenden Winkle, hieß das Dienstpersonal sich entfernen und schloß sorgfältig die Tür.

      »Herr Winkle, wie ich vermute?« begann der Offizier.

      »So heiße ich allerdings, Sir.«

      »Es wird Sie nicht überraschen, Sir, wenn ich Ihnen mitteile, daß ich diesen Morgen Sie in der Angelegenheit eines Freundes – des Doktors Slammer vom Siebenundneunzigsten besuche.«

      »Doktor Slammer?« sagte Herr Winkle.

      »Doktor Slammer. Er bat mich, Ihnen in seinem Namen zu sagen, daß Ihr Benehmen an dem gestrigen Abend von der Art war, wie kein Mann von Ehre es sich gefallen lassen kann, und (fügte er bei) wie kein Mann von Ehre es sich gegen einen andern erlauben würde.«

      Herrn Winkles Erstaunen war zu echt empfunden und zu augenfällig, um der Wahrnehmung von Herrn Slammers Freund zu entgehen; der letztere fuhr daher fort:

      »Mein Freund, Doktor Slammer, ersuchte mich, hinzuzufügen, daß er fest überzeugt sei, Sie wären einen großen Teil des gestrigen Abends betrunken gewesen und wüßten daher vielleicht nichts mehr von dem Umfang der Beleidigung, die Sie sich zuschulden kommen ließen. Er trug mir daher auf, Ihnen zu sagen, daß er, wenn Sie diesen Umstand als eine Entschuldigung Ihres Benehmens geltend machen wollten, sich mit einer schriftlichen Abbitte, wie ich sie Ihnen in die Feder diktiere, begnüge.«

      »Eine schriftliche Abbitte?« wiederholte Herr Winkle mit dem nachdrücklichsten Tone des Staunens.

      »Sie kennen natürlich die andere Wahl, die Ihnen übrigbleibt«, versetzte der Offizier ruhig.

      »Wurde Ihnen dieser Auftrag auf meinen Namen an mich übergeben?« fragte Herr Winkle, dem ob dem Gehörten der Verstand stillstand.

      »Ich war nicht anwesend,« entgegnete der Besuch, »und infolge Ihrer entschiedenen Weigerung, Doktor Slammer Ihre Karte zu geben, hat mich besagter Gentleman gebeten, mir über die Identität des Besitzers eines höchst ungewöhnlichen Rocks – eines blauen Fracks mit vergoldeten Knöpfen, auf denen sich ein Brustbild und die Buchstaben P.K. befinden – Gewißheit zu verschaffen,«

      Herr Winkle wäre vor Entsetzen beinahe zur Erde gesunken, als er seine eigene Tracht so genau beschreiben hörte. Doktor Slammers Freund fuhr fort:

      »Der im Gasthause eben angestellten Nachfrage zufolge bin ich überzeugt, daß der Eigentümer des fraglichen Kleidungsstücks gestern nachmittag mit drei Herren hier angekommen ist. Ich sandte sogleich zu dem Herrn, der mir als mutmaßliche Hauptperson dieser Gesellschaft beschrieben wurde, und dieser hat mich an Sie verwiesen.«

      Wenn es dem Hauptturm von Rochester-Castle plötzlich eingefallen wäre, seinen festen Standpunkt zu verlassen und sich gerade dem Gasthofe gegenüber aufzupflanzen, so hätte Herrn Winkles Überraschung lange nicht die Höhe erreichen können, die die gegenwärtige Anrede in ihm veranlaßte. Sein erster Gedanke war, sein Frack möchte ihm gestohlen worden sein.

      »Nur einen Augenblick Verzug, wenn ich bitten darf«, sagte er.

      »Recht gerne«, versetzte der unwillkommene Besuch.

      Herr Winkle eilte hastig die Treppe hinauf und öffnete mit zitternden Händen seinen Reisesack. Aber das Kleidungsstück lag an seinem gewohnten Platze! eine genauere Besichtigung zeigte jedoch deutliche Spuren, daß es in der letzten Nacht getragen worden war. »Es muß doch seine Richtigkeit haben«, sagte Herr Winkle, indem ihm der Frack aus den Händen glitt. »Ich habe nach dem Mittagessen zuviel Wein getrunken und entsinne mich noch halb und halb, daß ich nachher auf der Straße spazieren ging und eine Zigarre rauchte, 's ist schon so; ich war sehr betrunken – muß mich anders angekleidet – und jemand beleidigt haben, 's ist wohl keine Zweifel – und meinem Rausche habe ich diese schrecklichen Folgen zu danken.«

      Herr Winkle lenkte nun wieder seine Schritte nach der Richtung des Gastzimmers, mit dem düsteren und schrecklichen Entschlusse, die Herausforderung des kampflustigen Doktors Slammer anzunehmen und das Schlimmste, was daraus folgen konnte, über sich ergehen zu lassen.

      Verschiedene Rücksichten drängten Herrn Winkle zu diesem verzweifelten Entschlusse, unter denen sein Ansehen im Klub nicht die geringste war. Er hatte bei Angelegenheiten offensiver, defensiver und inoffensiver Art, wenn sich's dabei um Kraft und Gewandtheit handelte, stets als hohe Autorität gegolten: und wenn er bei dem ersten Anlasse, wo es galt, einen ritterlichen Sinn zu zeigen, unter den Augen seines Meisters scheu zurückbebte, so war sein Prestige für immer verloren. Außerdem erinnerte er sich, von Leuten, die in derlei Dingen Erfahrung hatten, gehört zu haben, daß vermöge eines geheimen Einverständnisses unter den Sekundanten die Pistolen selten mit Kugeln geladen würden; und dann zog er auch noch weiter in Betracht, daß Herr Snodgraß, wenn er denselben zum Sekundanten wählte und ihm die Gefahr in recht glühenden Farben schilderte, vielleicht Herrn Pickwick in Kenntnis setzen würde. Dieser würde dann ohne Zweifel keinen Augenblick säumen, den Beistand der Lokalbehörden aufzubieten, um auf diese Weise den Tod eines seiner Jünger zu verhindern.

      Unter solchen Gedanken kehrte er in das Gastzimmer zurück und gab daselbst seine Absicht kund, die Herausforderung des Doktors anzunehmen.

      »Wollen Sie mir einen Freund namhaft machen, mit dem ich Ort und Stunde der Zusammenkunft verabreden kann?« sagte der Offizier.

      »Ganz unnötig«, versetzte Herr Winkle. »Sie können beides mir namhaft machen; für eine Begleitung werde ich sodann schon Sorge tragen.«

      »Was meinen Sie – diesen Abend um Sonnenuntergang?« fragte der Offizier in gleichgültigem Tone.

      »Sehr gut,« entgegnete Herr Winkle, meinte jedoch in seinem Innern, »sehr schlimm.«

      »Sie


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