Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs. Charles Dickens

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Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs - Charles Dickens


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Gegenpartei und ein Wundarzt, wie ich denke«, sagte Herr Snodgraß. »Nehmen Sie einen Tropfen Branntwein.«

      Herr Winkle ergriff die Feldflasche, die ihm sein Freund hinreichte, und holte sich einen tiefen Schluck von der belebenden Flüssigkeit.

      »Mein Freund, Herr Snodgraß, Sir«, sagte Herr Winkle, als der Offizier herantrat.

      Doktor Slammers Freund verbeugte sich und brachte ein ähnliches Futteral, wie Herr Snodgraß eines bei sich führte, zum Vorschein.

      »Ich denke, wir haben uns nichts weiteres zu sagen«, begann er kaltblütig, als er den Waffenbehälter öffnete, »da eine Abbitte entschieden abgelehnt wurde.«

      »Nichts, Sir«, versetzte Herr Snodgraß, dem es jetzt bei der Sache etwas unwohl zu werden anfing.

      »Wollen Sie vortreten?« sagte der Offizier.

      »O ja«, entgegnete Herr Snodgraß.

      Die Mensur wurde bestimmt und die weiteren Einleitungen getroffen.

      »Sie werden diese besser als Ihre eigenen finden«, sagte der Sekundant der Gegenpartei, indem er seine Pistolen anbot. »Sie haben beim Laden zugesehen. Oder haben Sie etwas gegen deren Benutzung einzuwenden?«

      »Nicht das mindeste«, entgegnete Herr Snodgraß.

      Dieses Anerbieten wälzte ihm einen Stein vom Herzen, denn er hatte nur sehr unbestimmte und mangelhafte Begriffe vom Laden einer Pistole.

      »So können wir, denke ich, jetzt unsere Duellanten aufstellen«, bemerkte der Offizier mit einer Gleichgültigkeit, als wären die beiden Gegner Schachfiguren und die Sekundanten die Spieler.

      »Ich denke es auch«, erwiderte Herr Snodgraß, der, weil er nichts von der ganzen Sache verstand, zu jedem Vorschlage Ja gesagt haben würde.

      Der Offizier verfügte sich zum Doktor Slammer, und Snodgraß trat an Herrn Winkles Seite.

      »Es ist alles im reinen«, sprach er, indem er seinem Freunde die Pistole einhändigte. »Geben Sie mir Ihren Mantel.«

      »Sie haben doch das Paket in treue Verwahrung genommen, mein lieber Freund?« sagte der arme Winkle.

      »Alles in Ordnung«, versetzte Herr Snodgraß. »Zielen Sie ruhig und schießen Sie Ihren Feind in den Arm.«

      Herr Winkle dachte, dieser Rat wäre etwa der gleiche, den man gewöhnlich bei einem Gassengefecht den kleinsten Knaben zu geben pflegt – nämlich: »Geh' hin und prügle ihn tüchtig durch« –, etwas, was sich recht gut hören läßt, wenn man nur wüßte, wie es anzugreifen wäre. Er legte jedoch schweigend seinen Mantel ab – er brauchte eine geraume Weile, bis er damit zustande kam – und ergriff die Pistole. Die Sekundanten traten zurück, der Mann auf dem Feldstuhle tat ein Gleiches, und die Duellanten gingen aufeinander los.

      Herr Winkle stand in dem Rufe einer außerordentlichen Humanität. Vermutlich war auch sein Wunsch, keinen Menschen absichtlich zu verletzen, die einzige Ursache, warum er, sobald er an der verhängnisvollen Stelle angelangt war, die Augen schloß und daher das außerordentliche und unerklärliche Benehmen des Doktor Slammer nicht gewahren konnte. Dieser Herr stutzte nämlich, sah seinen Gegner an, trat zurück, rieb sich die Augen, sah wieder hin und rief endlich: »Halt! Halt!«

      »Was soll das?« sagte Doktor Slammer, als die beiden Sekundanten herzutraten. »Das ist nicht der Mann.«

      »Nicht der Mann?« versetzte Doktor Slammers Freund.

      »Nicht der Mann?« sagte Herr Snodgraß.

      »Nicht der Mann?« rief der Gentleman mit dem Feldstuhle in der Hand.

      »Gewiß nicht«, entgegnete der kleine Doktor. »Das ist nicht die Person, die mich gestern nacht beleidigte.«

      »Höchst sonderbar!« rief der Offizier.

      »Gewiß sonderbar!« sagte der Gentleman mit dem Feldstuhle. »Es handelt sich indes jetzt darum, ob dieser Herr, da er auf dem Kampfplatz erschien, nicht formell als das Individuum betrachtet werden muß, das gestern nacht unsern Freund, Doktor Slammer, beleidigte, mag es nun dieselbe Person sein oder nicht.«

      Nachdem der Mann mit dem Feldstuhle diese Ansicht mit einer gar weisen und geheimnisvollen Miene abgegeben hatte, nahm er eine starke Prise Tabak und blickte wie ein Mann umher, der in einer solchen Angelegenheit als Autorität gilt. Herr Winkle hatte jetzt die Augen geöffnet – und die Ohren dazu, als er seinen Gegner von Einstellung der Feindseligkeiten sprechen hörte. Er sah nun ein, daß – wie er später gleich am Anfang gewußt haben wollte – ohne Frage ein Mißverständnis stattfinden mußte, und daß er sein Ansehen ungemein steigern könnte, wenn er den wahren Grund seines Erscheinens auf dem Kampfplatze verschwieg. Er trat daher kühn vorwärts und sprach:

      »Nein, ich bin's nicht. Ich weiß es.«

      »Dann ist es eine Verhöhnung des Doktor Slammer«, sagte der Mann mit dem Feldstuhl. »Grund genug, in der Sache fortzufahren.«

      »Bitte, beruhigen Sie sich, Payne«, entgegnete ihm der Sekundant des Doktors. »Warum haben Sie mir das nicht heute morgen mitgeteilt, Sir?«

      »Ja, ja; warum – warum?« fügte der Mann mit dem Feldstuhle unwillig zu.

      »Ich bitte, lassen Sie mich machen, Payne«, sagte der Offizier. »Muß ich meine Frage wiederholen, Sir?«

      »Weil Sie, Sir« – entgegnete Herr Winkle, der inzwischen Zeit gehabt hatte, über eine passende Antwort nachzudenken – »weil Sie, Sir, eine betrunkene und alles Anstandes bare Person als den Träger eines Rockes bezeichneten – den ich nicht nur zu tragen, sondern sogar erfunden zu haben die Ehre habe – der angenommenen Uniform des Pickwick-Klubs in London, Sir. Ich fühlte mich verpflichtet, die Ehre dieser Uniform zu verteidigen, und aus keinem andern Grunde, Sir, habe ich diese Herausforderung ohne weitere Nachfrage angenommen.«

      »Mein lieber Herr,« sagte der gutmütige kleine Doktor, der mit ausgestreckter Hand herantrat, »ich ehre Ihren ritterlichen Mut. Erlauben Sie mir, Sir, Ihnen zu sagen, daß ich Ihr Benehmen höchlich bewundere und daß ich außerordentlich bedauere, Sie für nichts und wieder nichts hierher bemüht zu haben.«

      »Ich bitte, sprechen Sie nicht davon«, versetzte Herr Winkle.

      »Ich werde stolz darauf sein, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, Sir«, sagte der kleine Doktor.

      »Auch mir gewährt es das größte Vergnügen, Sie kennengelernt zu haben«, entgegnete Herr Winkle.

      Und nun drückten sich der Herr Doktor und Herr Winkle die Hände; ein gleiches taten dann Herr Winkle und Leutnant Tappleton (der Sekundant des Doktors), dann Herr Winkle und der Mann mit dem Feldstuhl, und endlich Herr Winkle und Herr Snodgraß – der letztgenannte in einem Übermaße von Bewunderung über das noble Benehmen seines heldenmütigen Freundes.

      »Ich denke, wir können jetzt wieder nach Hause gehen«, sagte Leutnant Tappleton.

      »Gewiß«, erklärte der Doktor.

      »Wenn nicht etwa« – fügte der Mann mit dem Feldstuhle hinzu – »wenn nicht etwa Herr Winkle sich durch die Herausforderung beleidigt fühlt, in welchem Falle er natürlich das Recht hat, Genugtuung zu verlangen.«

      Herr Winkle erklärte mit großer Selbstverleugnung, daß ihm bereits hinlängliche Satisfaktion geleistet sei.

      »Vielleicht fühlt sich aber der Sekundant des Gentleman durch einige Bemerkungen, die ich fallen ließ, verletzt«, fuhr der Mann mit dem Feldstuhl fort. »Wäre dies der Fall, so würde ich mich glücklich schätzen, ihm auf der Stelle Genugtuung zu bieten.«

      Herr Snodgraß äußerte sogleich, er wäre dem Gentleman für sein schönes Anerbieten sehr verbunden, sehe sich im übrigen veranlaßt, es abzulehnen, da er durch den ganzen Verlauf der Sache sehr befriedigt worden. Die beiden Sekundanten schlossen ihre Waffenfutterale, und alle verließen den Kampfplatz heiterer, als sie sich diesem genähert hatten.

      »Bleiben Sie lange hier?« fragte Doktor Slammer den


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