David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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bat Mrs. Micawber, ihn mir zu nennen.

      »Das Silberzeug habe ich schon selbst verpfändet«, sagte Mrs. Micawber. »Sechs Tee-, zwei Salz- und ein paar Zuckerlöffel habe ich zu verschiedenen Zeiten im geheimen mit eigenen Händen versetzt. Aber die Zwillinge sind ein großes Hindernis; und für mich mit meinen Erinnerungen an Papa und Mama sind diese Gänge sehr schmerzlich. Ein paar Kleinigkeiten können wir immer noch entbehren. Aber Mr. Micawber würden seine Empfindungen nie gestatten, sie persönlich zu versilbern; und Clickitt – das Mädchen aus dem Armenhause – ist eine gemeine Seele und würde sich unangenehme Freiheiten herausnehmen, wenn man ihr so viel Vertrauen schenkte. Master Copperfield, wenn ich Sie bitten dürfte –«

      Ich verstand jetzt Mrs. Micawber und bat sie, ganz über mich zu verfügen. Schon diesen Abend fing ich an, die tragbaren Gegenstände im Hause zu verwerten, und trat eine ähnliche Expedition fast jeden Morgen an, ehe ich ins Geschäft ging.

      Mr. Micawber hatte auf einer kleinen Kommode ein paar Bücher, die er seine Bibliothek nannte; diese kamen zuerst an die Reihe. Ich trug eines nach dem andern zu einem Antiquar in City-Road und verkaufte sie um jeden Preis. Die eine Hälfte dieser Straße, in der Nähe unserer Wohnung, war ganz von Buch- und Vogelhändlerläden eingenommen. Der Antiquar, der in einem kleinen Hause unweit seines Standes wohnte, pflegte sich jeden Abend zu betrinken und jeden Morgen von seiner Frau tüchtig ausgescholten zu werden. Mehr als einmal, wenn ich frühzeitig hinging, traf ich ihn noch im Bette, entweder mit einer Wunde in der Stirn oder einem blauen Auge als Erinnerung für seine nächtlichen Ausschweifungen – er mußte Wohl in der Trunkenheit rauflustig sein –, und er suchte dann mit zitternder Hand die nötigen Schillinge in den verschiedenen Taschen seiner Kleider zusammen, die auf dem Boden herumlagen, während sein Weib, mit einem Kind auf den Armen und in niedergetretenen Schuhen, nie aufhörte zu keifen. Manchmal hatte er das Geld verloren, und dann hieß er mich wiederkommen. Aber seine Frau hatte immer ein paar Schillinge – die sie ihm vielleicht während der Trunkenheit aus der Tasche geholt hatte – und schloß den Kauf heimlich auf der Treppe ab, während wir zusammen hinunter gingen.

      Auch bei dem Pfandleiher wurde ich sehr bekannt. Der Hauptbuchhalter, der hinter dem Ladentisch saß, schenkte mir viel Beachtung, und ließ mich oft, während ich mein Geschäft mit ihm abschloß, ein lateinisches Substantiv oder Adjektiv deklinieren oder ein lateinisches Verbum konjugieren. Nach derartigen Geschäften bereitete mir Mrs. Micawber meistens ein kleines Vergnügen in Gestalt eines bescheidenen Abendessens, und diese Abende hatten für mich immer einen besonderen Reiz.

      Endlich kamen Mr. Micawbers Bedrängnisse zu einer Krisis, und er wurde eines Morgens früh verhaftet und in das Kings-Bench-Gefängnis in dem Borough gebracht. Als er fortging, sagte er zu mir, daß der Gott des Tages jetzt für ihn versunken sei – und ich glaube wirklich, ihm und mir war das Herz gebrochen. Aber ich hörte später, daß er noch vor Mittag 12 Uhr kreuzvergnügt eine Partie Kegel geschoben hatte.

      Am ersten Sonntag seiner Verhaftung sollte ich ihn besuchen und bei ihm essen. Ich sollte mich erst bis nach einem Platz durchfragen, dann sollte ich kurz vorher in eine Straße einbiegen, dann würde ich einen Hof sehen, ihn quer überschreiten und immer geradeaus gehen, bis ich zu dem Gefangenwärter käme. Das tat ich alles nach Vorschrift. Als ich endlich den Gefangenwärter fand (ich armes kleines Bürschchen!), dachte ich daran, als Roderick Random im Schuldgefängnis saß, sei ein Mann dort gewesen, der nichts angehabt hätte als eine alte wollene Decke, und ich konnte zuletzt den Schließer nicht mehr sehen, wegen meiner überströmenden Augen und wegen meines klopfenden Herzens.

      Mr. Micawber wartete auf mich hinter dem Einlaßpförtchen, und wir gingen hinauf in sein Zimmer im vorletzten Stock unter dem Dache und weinten dort sehr. Er beschwor mich feierlich, an seinem Schicksal ein Beispiel zu nehmen und nie zu vergessen, daß ein Mann von zwanzig Pfund Jahreseinkommen glücklich ist, wenn er neunzehn Pfund neunzehn Schilling und sechs Pence verausgabt habe, daß er sich aber zugrunde richtet, wenn er einen Schilling mehr verzehrt. Darauf borgte er mir einen Schilling zu Porter ab, gab mir eine geschriebene Anweisung an Mrs. Micawber für den Betrag, steckte sein Taschentuch ein und wurde wieder seelenvergnügt.

      Wir setzten uns vor ein kleines Feuer, das, um Kohlen zu sparen, zwischen zwei Ziegelsteinen in dem verrosteten Feuerloch brannte, bis ein anderer Schuldgefangener, Mr. Micawbers Stubengenosse, mit einer gebratenen Schöpskeule vom Backhause kam, die unser gemeinschaftliches Mittagsmahl abgeben sollte. Dann erhielt ich den Auftrag, zu Kapitän Hopkins in die Stube über uns zu gehen, mit vielen Komplimenten von Mr. Micawber, und ich sei sein junger Freund und bäte Kapitän Hopkins um die Gefälligkeit, mir Messer und Gabel zu leihen. Kapitän Hopkins lieh mir Messer und Gabel mit vielen Komplimenten an Mr. Micawber. In seiner kleinen Stube fand ich noch eine sehr schmuddelige Frau und zwei blasse Mädchen, seine Töchter, mit ganz zerrauften Haaren. Mir kam es vor, als ob es besser sei, Kapitän Hopkins' Messer und Gabel, als Kapitän Hopkins' Kamm zu borgen. Der Kapitän selbst befand sich im letzten Stadium verkommener Schäbigkeit mit seinem unverschnittenen und ungekämmten Backenbart und einem alten braunen Überrock, ohne anderes Unterkleid. Ich sah, daß sein Bett in einer Ecke zusammengerollt lag; was er an Tellern, Schüsseln und Töpfen besaß, stand auf einem Brett an der Wand, und ich erriet (Gott weiß wie!), daß zwar die beiden Mädchen mit dem zerzausten Haargeflecht Kapitän Hopkins Kinder wären, die schmuddelige Dame aber nicht mit ihm verheiratet sei. Ich hatte kaum länger als ein paar Minuten schüchtern auf seiner Schwelle gestanden, und dennoch alle diese Bereicherung meiner Kenntnisse mit heruntergebracht, ebenso gewiß, als ich die Gabel und das Messer in meiner Hand hatte.

      Es war trotzdem etwas Romantisch – Zigeunerhaftes in unserer Mahlzeit. Ich brachte Kapitän Hopkins' Messer und Gabel beizeiten nachmittags wieder hinauf und ging heim, um Mrs. Micawber mit einem Bericht über meinen Besuch zu trösten. Sie fiel in Ohnmacht, als sie mich zurückkehren sah, und machte nachher einen kleinen Krug Eierpunsch zu unsrer Stärkung, wählend wir die Ereignisse des Tages besprachen.

      Ich weiß nicht, inwiefern die Möbel zum Nutzen der Familie verkauft wurden und wer sie kaufte; nur soviel weiß ich, daß ich es nicht war. Verkauft wurden sie jedoch und in einem großen Möbelwagen fortgefahren, mit Ausnahme des Bettes, einiger Stühle und des Küchentisches. Mit diesen Besitztümern kampierten wir sozusagen in den beiden Wohnstuben des ausgeleerten Hauses auf der Windsor-Terasse: Mrs. Micawber, die Kinder, die stockschnupfige Waise aus dem Armenhaus und ich. So hausten wir in den öden Räumen Tag und Nacht. Ich weiß nicht mehr, wie lange es dauerte, aber es muß sehr lange gewesen sein. Endlich entschloß sich Mrs. Micawber ins Gefängnis überzusiedeln, wo Mr. Micawber jetzt ein eigenes Zimmer erlangt hatte. So trug ich die Hausschlüssel zu dem Besitzer, der sehr froh war, sie wieder in die Hand zu bekommen, und die Betten wurden in die Kings-Bench geschickt, mit Ausnahme des meinigen, für das wir ein kleines Stübchen außerhalb der Umfassungsmauern, aber – zu meiner Befriedigung – in der Nähe dieser segensreichen Anstalt mieteten. Denn Micawbers und ich hatten uns in unsrer Not zu sehr aneinander gewöhnt, um uns zu trennen. Die Waise wurde gleichfalls mit einem wenig kostbaren Unterschlupf in der Nachbarschaft versorgt.

      Meins war ein stilles Kämmerchen mit schrägem Dach, das einen freundlichen Blick auf einen Zimmerplatz hatte, und als ich davon Besitz ergriff in dem Bewußtsein, daß Mr. Micawbers Schwulitäten nun zu einer Krisis gekommen waren, schien es mir ein wahres Paradies.

      Die ganze Zeit über arbeitete ich bei Murdstone und Grimby in derselben niedrigen Beschäftigung, mit denselben niedrigen Genossen und mit demselben Gefühl unverdienter Erniedrigung, wie zu Anfang. Aber niemals machte ich, und gewiß zu meinem Glück, eine Bekanntschaft oder sprach mit einem der vielen Knaben, die ich täglich auf dem Wege von und nach der Niederlage oder bei meinem Herumstreifen auf der Straße von Zeit zu Zeit sah. Ich führte dasselbe heimlich unglückliche Leben und in derselben einsamen, selbstgenügsamen Weise. Ich weiß nur von der einzigen Veränderung, daß ich äußerlich noch mehr heruntergekommen war, und daß die Sorge um Mr. und Mrs. Micawber bei weitem weniger auf mir lastete; denn einige Verwandte oder Freunde unterstützten sie jetzt, und sie lebten besser im Gefängnis, als in der letzten Zeit außerhalb dieser Anstalt. Infolge eines Arrangements, dessen Details ich vergessen


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