David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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Arme, ging in ein renommiertes flottes Speisehaus in Drury Lane und bestellte mir eine halbe Portion Boeuf à la mode, das dort einen Ruf hatte. Was der Kellner gedacht haben mag, als ich so mutterseelenallein eintrat, weiß ich nicht, aber ich sehe ihn noch, als ob es gestern gewesen wäre, wie er auch noch den andern Kellner holte, um mich gemeinschaftlich mit ihm anzustarren. Ich gab ihm einen halben Penny Trinkgeld und wünschte nur, er hätte ihn nicht genommen.

      Wir hatten, glaube ich, eine halbe Stunde Vesperzeit. Wenn ich hinreichend Geld hatte, ließ ich mir ein Quart Melangekaffee geben mit Butterbrot. Hatte ich keines, so ging ich auf die Suche und sah mich an dem Schaufenster einer Wildbrethandlung in Fleetstreet satt, oder ich schlenderte bis zum Coventgardenmarkt und gaffte die Ananasse an. Ich schlenderte sehr gern umher, namentlich in Adelphi, wo mir die dunkeln Bogengänge so verhängnisvoll vorkamen. Ich sehe mich noch eines Abends aus einem dieser Bogen treten und mich einer kleinen Schenke bei dem Fluß nähern, vor der sich eine freie Stelle befand, auf der ein paar Kohlenträger miteinander tanzten. Ich setzte mich auf eine Bank und sah ihnen zu. Was sie wohl von mir gedacht haben mögen!

      Ich war noch so sehr Kind und noch so klein, daß oft, wenn ich in ein fremdes Wirtshaus trat und ein Glas Ale oder Porter forderte, um mein Hungerleidermahl damit hinunterzuspülen, daß sie es mir oft zu geben zauderten. Ich weiß noch, wie ich an einem warmen Abende an das Büfett eines Bierhauses trat und zu dem Wirte sagte:

      »Was kostet das Glas von Ihrem allerbesten Ale?« denn es war eine besonders festliche Gelegenheit, vielleicht gar mein Geburtstag.

      »Zwei einen halben Pence ist der Preis für das echte extrastarke«, sagte der Wirt.

      Dann sagte ich und legte das Geld hin: »Geben Sie mir ein Glas von dem echten Doppel-Ale, frisch vom Fasse – aber bitte eine schöne Schaumkappe mit drauf.«

      Der Wirt hinter dem Schenktisch sah mich von Kopf bis zu Füßen mit einem seltsamen Lächeln auf seinem Gesichte an; und anstatt das Bier aus dem Fasse einzuschenken, blickte er hinter die spanische Wand und sagte etwas zu seiner Frau. Sie kam hervor, ihre Näharbeit in der Hand, und musterte mich jetzt auch. Und ich sehe uns drei noch ganz deutlich vor mir. Der Wirt in Hemdärmeln lehnte gegen das Fensterkreuz des Schenkzimmers, die Frau sah über die halbe Zwischentür, und ich, außerhalb des Verschlages stehend, blickte verdutzt zu ihnen auf. Sie fragten mich vielerlei, wie ich heiße, wie alt ich sei, wo ich wohne, was ich treibe und wie ich dazu komme? Auf alle diese Fragen erfand ich, um niemand zu kompromittieren, passende Antworten. Dann versorgten sie mich mit Bier, obgleich ich vermute, daß es nicht das echte, extrastarke Doppel- Ale war; und als ich damit fertig war, öffnete die Frau des Wirtes die Klappe des Buffetts, beugte sich über mich, gab mir mein Geld zurück und einen Kuß dazu, der halb bewundernd und halb mitleidig, aber recht mütterlich war.

      Ich weiß, ich übertreibe nicht unbewußt oder unabsichtlich die Knappheit meiner Einkünfte oder die Schwierigkeit meines damaligen Lebens. Ich weiß, daß wenn mir Mr. Quinion einen Schilling gab, ich ihn für Mittagbrot oder Vesper verwendete. Ich weiß, daß ich von früh bis spät abends als ärmliches Kind unter Männern und Knaben der untersten Stande arbeitete. Ich weiß, daß ich mich in den Straßen umhertrieb, unzweckmäßig und ungenügend ernährt. Ich weiß, daß ich ohne die Barmherzigkeit Gottes infolge der Vernachlässigung, die man gegen mich übte, ein kleiner Dieb oder Taugenichts hätte werden können.

      Dennoch nahm ich bei Murdstone und Grimby eine gewisse Sonderstellung ein. Außer daß Mr. Quinion tat, was ein so viel beschäftigter und im ganzen so oberflächlicher Mann tun konnte, um mich auf anderm Fuße als die übrigen zu behandeln, äußerte ich niemals gegen meine Gefährten, wie ich an diesen Ort gekommen war, und nie im mindesten verriet ich, daß ich darüber bekümmert war. Daß ich im geheimen aufs tiefste litt, erfuhr niemand außer mir. Wie sehr ich litt, läßt sich gar nicht mit Worten schildern, wie ich schon sagte. Aber ich behielt meinen Schmerz für mich und verrichtete meine Arbeit. Ich begriff von vornherein, daß wenn ich nicht ebensogut wie die übrigen arbeitete, ich mich nicht vor Geringschätzung und Mißachtung schützen könnte. Bald wurde ich auch mindestens so flink und anstellig wie irgend einer der andern Lehrlinge, und obwohl ich mich immer freundlich zu ihnen zeigte, waren mein Betragen und meine Manieren doch so verschieden von den ihrigen, daß sich eine natürliche Grenze zwischen uns bildete. Die Männer nannten mich gewöhnlich »das Herrchen« oder »den jungen Suffolker«. Ein gewisser Gregory, der oberste der Packer, und ein anderer namens Tipp, der Rollkutscher, der eine rote Jacke trug, redeten mich zuweilen »David« an, aber ich glaube, es war in besonders vertraulichen Momenten, oder wenn ich mich bemüht hatte, sie bei der Arbeit zu unterhalten mit irgend einer Erzählung aus den früher gelesenen Büchern, die jetzt rasch meinem Gedächtnis entschwanden. Kartoffelkloß rebellierte einst gegen meine Ausnahmestellung, aber Mick Walker legte es ihm im Umsehen.

      Den Gedanken an eine Erlösung aus diesem Dasein hatte ich ganz aufgegeben. Ich bin fest überzeugt, daß ich mich nicht eine Stunde lang damit aussöhnte oder mich anders als höchst unglücklich fühlte, aber ich duldete still, und selbst Peggotty entdeckte ich teils aus Liebe zu ihr und teils aus Scham in keinem Briefe die Wahrheit, obgleich ich viele schrieb.

      Mr. Micawbers Verlegenheiten vermehrten noch die Last auf meinem Gemüte. In meiner Verlassenheit wurde ich der Familie ordentlich zugeneigt und ging herum, beschäftigt mit Mr. Micawbers Berechnungen von Auskunftsmitteln und beschwert mit der Last von Mr. Micawbers Schulden. Sonnabend nachmittag, wo mein Hauptfest war – teils weil es etwas Großes war, mit sechs oder sieben Schilling in der Tasche nach Hause zu gehen, nach den Läden zu blicken und zu denken, was man mit einer solchen Summe alles kaufen könne, teils weil ich zeitig nach Hause ging – machte mir Mrs. Micawber im Vertrauen die herzzerreißendsten Mitteilungen; auch Sonntags früh, wo ich die Portion Tee oder Kaffee, die ich mir des Abends zuvor gekauft hatte, in einem kleinen Rasiertopf wärmte und lange beim Frühstück blieb. Es war gar nicht ungewöhnlich, daß Mr. Micawber zu Anfang dieser Sonnabendsunterhaltung heftig schluchzte und gegen Ende ein lustiges Lied zum besten gab. Es kam vor, daß Mr. Micawber in Tränen gebadet zum Abendessen nach Hause kam und erklärte, jetzt bliebe ihm nur noch das Gefängnis übrig, und zu Bette ging, mit einer Berechnung beschäftigt, wieviel es wohl kosten würde, seine Wohnung mit Erkerfenstern ausstatten zu lassen, für den Fall, »daß sich etwas finden sollte«, wie seine Lieblingsredensart lautete. Und Mrs. Micawber war genau ebenso.

      Eine merkwürdige freundschaftliche Gleichheit, die vielleicht ihren Ursprung in unsern gegenseitigen Verhältnissen fand, entsprang zwischen mir und diesen Leuten trotz der lächerlichen Verschiedenheit unserer Jahre. Aber nie ließ ich mich bewegen, eine der vielen Einladungen, mit ihnen zu essen oder zu trinken, anzunehmen, denn ich wußte recht gut, daß sie mit Bäcker und Fleischer schlecht standen und oft nicht zuviel für sich hatten, bis Mrs. Micawber mir ihr ganzes Vertrauen schenkte. Dies tat sie eines Abends mit folgenden Worten:

      »Master Copperfield,« sagte Mrs. Micawber, »ich betrachte Sie nicht als Fremden und stehe daher nicht an, Ihnen zu sagen, daß Mr. Micawbers Geldverlegenheiten jetzt zu einer Krisis kommen.«

      Das betrübte mich tief, und ich sah Mrs. Micawbers rote Augen mit der größten Teilnahme an.

      »Mit Ausnahme der Kruste von einem Holländer Käse – die doch für kleine Kinder nicht zum Essen taugt –« sagte Mrs. Micawber, »ist auch buchstäblich kein Krümchen mehr in der Speisekammer. Als ich mich noch bei Papa und Mama befand, war ich gewohnt, von der Speisekammer zu sprechen, und ich brauche das Wort, fast ohne es zu wissen. Ich will damit nur sagen, daß nichts zu essen im Hause ist.«

      »O Gott!« sagte ich ganz erschrocken.

      Ich hatte noch zwei oder drei Schillinge von meinem Wochengelde in der Tasche – woraus ich schließe, daß es Mittwoch abend gewesen sein muß – zog sie eilfertig aus der Tasche und bat Mrs. Micawber mit aufrichtig gefühlter Teilnahme, sie als Darlehen anzunehmen. Aber sie küßte mich, steckte mir wieder das Geld in die Tasche und sagte, daß daran nicht zu denken sei.

      »Nein, lieber Master Copperfield,« sagte sie, »das sei ferne von mir! Aber Sie sind verständig


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