David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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früher, nur – und das war freilich ein großer Unterschied – daß die kleine Emilie und ich nur selten am Strande spazieren gingen. Sie hatte Schulaufgaben auswendig zu lernen und zu nähen und war einen großen Teil des Tages abwesend. Aber ich fühlte, daß diese alten Spaziergänge auch unter andern Umständen weggefallen wären. So ausgelassen und voll kindischer Einfälle Emilie war, so war sie doch schon viel mehr Jungfrau, als ich glaubte. Sie schien in wenig mehr als einem Jahre für mich viel weiter entrückt worden zu sein! Sie hatte mich gern, aber sie lachte mich aus und quälte mich; wenn ich ihr entgegen ging, suchte sie sich einen andern Weg aus und empfing mich lachend an der Tür, wenn ich enttäuscht und mißvergnügt zurückkehrte. Die beste Zeit hatte ich, wenn sie an der Tür saß und arbeitete, und ich ihr auf der Schwelle, zu ihren Füßen, vorlas. Es kommt mir noch jetzt so vor, als ob ich niemals wieder solchen Sonnenschein gesehen hätte, wie an jenem schönen Aprilnachmittag, daß ich niemals eine so sonnige kleine Gestalt gesehen habe, als damals an der Tür des alten Bootes, daß ich niemals einen solchen Himmel gesehen habe, solches Wasser und solche herrlichen Schiffe, die in die goldene Luft hinaussegelten.

      Schon am ersten Abend nach unserer Ankunft erschien Mr. Barkis mit sehr einfältigem Gesicht und in sehr linkischer Weise, mit einer Anzahl Apfelsinen in einem Taschentuch. Da er weiter nichts von diesem Paket sagte, so glaubten wir, er habe es aus Zufall vergessen, als er wegging, bis Ham, der ihm nacheilte, mit der Nachricht zurückkam, daß es für Peggotty bestimmt sei. Nach diesem Tage erschien er jeden Abend genau um dieselbe Stunde und stets mit einem kleinen Paket, von dem er nie sprach und das er regelmäßig hinter die Tür legte und dort zurückließ. Diese Liebesgaben waren von der verschiedensten und seltsamsten Art. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein paar Schweinsfüße, ein großes Nadelkissen, ungefähr eine halbe Metze Äpfel, ein Paar schwarze Ohrringe, ein Bund Schalotten, ein Dominospiel, einen Kanarienvogel in einem Käfig und im eine gepökelte Schweinskeule.

      Mi. Barkis Liebeswerbung war von ganz eigentümlicher Art. Er sprach selten ein Wort, sondern saß meistens beim Feuer, ziemlich in derselben Stellung wie auf seinem Wagen, und glotzte Peggotty an, die ihm gegenüber saß. Eines Abends fuhr er, von Liebe begeistert, hastig auf das Stückchen Wachslicht zu, nahm es weg, steckte es in die Westentasche und hieß es mitgehen. Nach diesem Vorfalle war es sein Hauptspaß, sobald Peggotty danach fragte, es aus der Tasche zu holen, was nicht ganz leicht war, denn es war unterdessen halb geschmolzen und klebte regelmäßig an dem Futter der Tasche fest. Es schien ihm bei uns sehr zu gefallen, aber er fühlte sich durchaus nicht berufen, ein Wort zu sprechen. Selbst wenn er Peggotty ein Stündchen am Strande spazieren führte, war ihm daran schwerlich viel gelegen, denn er begnügte sich dann, manchmal zu fragen, ob sie wohlauf sei; und ich erinnere mich, daß sich Peggotty manchmal, wenn er fort war, die Schürze vor das Gesicht hielt und eine halbe Stunde lang lachte. In der Tat belustigten wir uns alle mehr oder weniger über ihn, außer der unglücklichen Mrs. Gummidge, deren Brautstand wohl ganz ähnlicher Art gewesen sein mußte, denn sie wurde durch diese Fälle beständig daran erinnert.

      Als endlich der letzte Tag meines Besuches nahe war, sagte man mir, daß Peggotty und Mr. Barkis zusammen eine Reise machen und Emilie und ich sie begleiten sollten. In Erwartung des Vergnügens, mich einen ganzen Tag der Gegenwart Emiliens zu erfreuen, hatte ich die Nacht vorher nur wenig Ruhe. Schon frühzeitig waren wir alle auf den Beinen; während wir noch beim Frühstück saßen, erschien Mr. Barkis von fern mit seinem Korbwagen, dem Ziel seiner Liebe zusteuernd.

      Peggotty hatte wie gewöhnlich ihre netten, bescheidenen Trauerkleider an; aber Mr. Barkis blühte in einem neuen blauen Rocke, zu dem ihm der Schneider so reichlich Maß genommen hatte, daß die Ärmelaufschläge im kältesten Wetter Handschuhe unnötig gemacht hätten, während sich der Kragen so hoch aufsteifte, daß er seine Haare auf dem Scheitel empordrängte. Die gelben Knöpfe waren vom größten Kaliber. Vervollständigt mit hellgrauen Beinkleidern und einer gelben Weste, hielt ich Mr. Barkis für ein Wunder von Vornehmheit.

      Als wir alle reisefertig vor der Tür standen, fand ich, daß Mr. Peggotty einen alten Schuh hatte, der des Glückes wegen hinter uns her geworfen werden sollte, und den wir zu diesem Zwecke Mrs. Gummidge anboten.

      »Nein, lieber sollte es jemand anders tun«, sagte Mrs. Gummidge. »Ich bin immer ein einsames und verlassenes Geschöpf gewesen; und alles, was mich an ein Geschöpf erinnert, das nicht einsam und nicht verlassen ist, geht konträr mit mir.«

      »Ei, nicht doch, Alte!« rief Mr. Peggotty. »Hier nimm und wirf ihn!«

      »Nein, Daniel!« winselte Mrs. Gummidge und schüttelte den Kopf mit tränenden Augen. »Wenn mir nicht alles so zu Herzen ginge, könnt ich's tun. Ihr fühlt das nicht so wie ich. Euch geht auch nicht alles so konträr, und Ihr seid auch niemand im Wege. Tut's darum lieber selbst!« –

      Aber hier rief Peggotty, die mit großer Eilfertigkeit von einem zum andern gegangen war und alle geküßt hatte, aus dem Wagen, worin wir bereits saßen (Emilie und ich auf zwei kleinen Stühlen nebeneinander), daß es Mrs. Gummidge durchaus tun müsse. Darauf gehorchte Mrs. Gummidge und dämpfte leider durch einen traurigen Schatten den festlichen Charakter unserer Reise, indem sie in Tränen ausbrach und mit der Erklärung, daß sie wisse, aller Welt zur Last zu sein, und wünschte, ins Armenhaus gebracht zu werden, Ham in die Arme sank. Ich fand den Gedanken sehr vernünftig und wünschte im stillen, Ham brächte ihn sofort zur Ausführung.

      Wir traten unterdes unsere Vergnügungsfahrt an; und das erste, was wir taten, war, daß wir vor einer Kirche still hielten, wo Mr. Barkis das Pferd an ein Gitter band und mit Peggotty hineinging, wahrend Emilie und ich im Wagen blieben. Ich ergriff diese Gelegenheit, meinen Arm um Emiliens Hüfte zu legen und ihr vorzuschlagen, daß, da ich bald weggehen müsse, wir uns recht gut sein und den ganzen Tag recht glücklich sein wollten. Da mir's die kleine Emilie erlaubte, sie zu küssen, faßte ich mir ein Herz und sagte ihr, daß ich niemals eine andere lieben würde, und bereit sei, das Blut jedermanns zu vergießen, der nach ihrer Liebe zu streben wagte.

      Wie die kleine Emilie darüber scherzte, welche gesetzte jungfräuliche Miene sie annahm, als ob sie unendlich viel älter und klüger wäre als ich! Dann sagte die kleine Elfe, ich sei ein törichtes Kind, und lachte dann so liebreizend, daß ich den Schmerz über die demütigende Benennung in der Freude über ihren Anblick vergaß.

      Mr. Barkis und Peggotty blieben lange in der Kirche, kamen aber endlich wieder zum Vorschein, und dann fuhren wir hinaus aufs Land. Unterwegs wendete sich Mr. Barkis an mich und sagte, indem er schlau ein Auge zudrückte (ich hätte gar nicht geglaubt, daß er dazu imstande wäre):

      »Was für einen Namen habe ich damals im Wagen angeschrieben?«

      »Klara Peggotty!« antwortete ich.

      »Welchen Namen müßte ich jetzt hinschreiben, d. h. wenn ein Brett da wäre?«

      »Doch wohl wieder Klara Peggotty?« meinte ich.

      »Klara Peggotty Barkis!« erwiderte er und lachte, daß der ganze Wagen wackelte.

      Mit einem Worte, sie waren verheiratet und waren zu keinem andern Zwecke in die Kirche gegangen. Peggotty hatte gewünscht, daß es in aller Stille geschähe und keine Zeugen zu der Feierlichkeit eingeladen würden. Sie war etwas verlegen, als Mr. Barkis plötzlich mit der Wahrheit herausplatzte, und konnte mich nicht genug umarmen, um mir ihre unveränderte Liebe zu zeigen; aber sie wurde bald wieder gefaßter und sagte, sie sei froh, daß alles vorbei sei.

      Wir hielten an einem kleinen Wirtshaus an einer Nebenstraße, wo wir erwartet wurden, ein recht gutes Mittagsmahl einnahmen und den Tag sehr angenehm verbrachten. Wenn Peggotty sich seit zehn Jahren täglich hätte trauen lassen, hätte ihr die Sache nicht geläufiger sein können: es war nicht die mindeste Änderung an ihr zu bemerken, sie war ganz, so wie sonst. Vor dem Tee ging sie noch ein Weilchen mit der kleinen Emilie und mir spazieren, während Mr. Barkis philosophisch seine Pfeife schmauchte und sich vermutlich mit Betrachtungen seines jungen Eheglücks ergötzte. Wenn dem so war, so hatten sie zur Anregung seines Appetits beigetragen, denn ich weiß noch genau, daß er zwar


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