David Copperfield. Charles Dickens

Читать онлайн книгу.

David Copperfield - Charles Dickens


Скачать книгу
mir ebenso erscheinen sollen, aber dennoch machte es nicht denselben Eindruck auf mich wie früher. Ich fühlte mich sogar etwas enttäuscht. Vielleicht war die Abwesenheit der kleinen Emilie schuld daran. Ich wußte, welchen Weg sie kommen würde, und ging ihr daher immer langsam entgegen.

      Es dauerte auch nicht lange, so erschien in der Ferne eine Gestalt, und ich erkannte bald Emilien, die, obgleich gewachsen, immer noch klein und zierlich war. Aber als sie näher kam und ich sah, wie ihre blauen Augen noch blauer, ihr Gesicht mit den Grübchen noch heiterer und ihr ganzes, reizendes Ich noch hübscher und schelmischer geworden war, da überkam mich ein seltsames Gefühl der Scheu, das mich veranlaßte, zu tun als ob ich sie nicht kennte, und vorbeizugehen, als ob ich nach etwas, draußen in der Ferne sähe. Ich habe so etwas auch noch später im Leben getan, oder ich müßte mich sehr irren.

      Die kleine Emilie kümmerte sich gar nicht darum. Sie sah mich recht gut; aber anstatt sich umzudrehen und mich zu rufen, rannte sie lachend fort. Das trieb mich, ihr nachzueilen, aber sie lief so schnell, daß ich sie erst nahe beim Häuschen einholen und fangen konnte.

      »O, du bist's?« sagte die kleine Emilie – »du also?«

      »Na, du wußtest doch, wer's war, Emilie!«

      »Und wußtest du es nicht, wer's war?« sagte Emilie.

      Ich wollte sie küssen, aber sie bedeckte ihre Kirschenlippen mit den Händen und sagte, sie sei kein kleines Kind mehr, lief fort ins Haus und lachte toller als vorher.

      Sie schien einen Gefallen daran zu finden, mich zu necken, und das war eine Veränderung an ihr, über die ich mich sehr wunderte. Der Teetisch war fertig, unsere kleine Sitzlade stand auf dem alten Flecke, aber anstatt sich neben mich zu setzen, leistete sie der alten brummigen Mrs. Gummidge Gesellschaft; und als Mr. Peggotty fragte, warum, vermuschelte sie das Gesicht mit den krausen Locken ihres Stirnhaars und konnte nicht aufhören zu lachen.

      »Ein kleines Miesekätzchen, nicht wahr?« sagte Mr. Pegotty und streichelte sie mit seiner großen Hand.

      »Das ist sie! das ist sie!« rief Ham. »Mas'r Davy, das ist sie!« und er saß da und lachte sie eine Zeitlang an in einem gemischten Zustande von Wonne und Bewunderung, der sein Gesicht brennendrot machte.

      Ja, die kleine Emilie wurde von ihnen in allem verzogen und von niemand mehr als von Mr. Peggotty, dem sie alles abschmeicheln konnte, wenn sie nur zu ihm ging und ihre Wangen an seinen stacheligen Backenbart legte. So glaubte ich wenigstens, als ich sah, daß sie es so machte, und ich fand, daß Mr. Peggotty vollkommen recht hatte. Denn sie war so zärtlich und herzig und hatte eine so angenehme Art, neckisch und schüchtern zugleich zu sein, daß ich mehr als je ihr Sklave war.

      Sie hatte aber auch ein weiches Gemüt; denn als wir nach dem Tee um das Feuer saßen und Mr. Peggotty eine Hindeutung auf den Verlust, den ich erlitten hatte, machte, traten ihr die Tränen in die Augen, und sie sah mich über den Tisch so freundlich an, daß ich ihr wirklich dankbar war.

      »Ah!« sagte Mr. Peggotty, indem er ihre Locken nahm und sie wie Wasser über die Hand laufen ließ, »hier ist auch eine Waise, Sir. Und hier,« sagte Mr. Peggotty und gab Ham mit der Rückseite der Hand einen leisen Schlag auf die Brust, »hier ist noch eine Waise, obgleich man es ihnen nicht sehr anmerkt.«

      »Wenn ich Sie zum Vormund hätte, Mr. Peggotty,« sagte ich und schüttelte mit dem Kopf, »so glaube ich wohl, ich würde es auch nicht so sehr fühlen.«

      »Schön gesagt, Master Davy!« rief Ham ganz entzückt. »Hurra! Schön gesagt! Nein, das täten Sie auch nicht! Hört, hört!« – Hierbei klopfte er in freundschaftlicher Erwiderung des erhaltenen Puffs Mr. Peggotty auf die Brust, und die kleine Emilie stand auf und küßte Mr. Peggotty.

      »Und was macht Ihr Freund, Sir?« sagte Mr. Peggotty zu mit.

      »Steerforth?« sagte ich.

      »Ja ja, den meine ich«, erwiderte Mr. Peggotty. »Ich wußte doch, sein Name gehörte zu unserm Gewerbe.«

      »Du sagtest immer, er hieße Rudderforth«, lachte Ham.

      »Na« – verteidigte sich Mr. Peggotty – »Ruder oder Steuer, das ist kein so großer Unterschied. – Also wie geht's ihm, Sir?«

      »Er war ganz wohl, als ich ihn verließ, Mr. Peggotty.«

      »Ja, das ist ein Freund!« sagte Mr. Peggotty und streckte seinen Arm mit der Pfeife vor sich aus. »Das ist ein Freund, wenn Ihr von Freunden sprecht! Gott soll mich ewig leben lassen, wenn es nicht eine Freude ist, ihn anzusehen.«

      »Er ist sehr hübsch, nicht wahr?« sagte ich, und mein Herz wurde warm bei diesem Lobe.

      »Hübsch!« rief Mr. Peggotty. »Er steht vor einem wie – wie ein – na, ich weiß wahrhaftig nicht, wie er vor einem steht. Er ist so, er hat so etwas keckvornehmes!«

      »Ja, das ist gerade sein Charakter«, sagte ich. »Er ist mutig wie ein Löwe; Sie können sich nicht denken, wie freimütig er ist, Mr. Peggotty.«

      »Und ich vermute,« sagte Mr. Peggotty und sah mich durch den Rauch seiner Pfeife an, »daß ihm in der Gelehrsamkeit fast keiner nahe kommt.«

      »Ja,« sagte ich voll Freuden, »er weiß alles. Er ist wunderbar gescheit.«

      »Das nenne ich einen Freund!« murmelte Mr. Peggotty mit einem ernsten Wiegen des Kopfes.

      »Nichts scheint ihm auch nur die geringste Mühe zu machen«, sagte ich. »Er kann seine Aufgaben, nachdem er sie kaum angesehen hat. Er ist der beste Ballschläger, den ich kenne; im Brettspiel gibt er Ihnen so viel Steine vor, als Sie wollen, und er schlägt Sie ohne Mühe.«

      Mr. Peggotty nickte wieder mit dem Kopfe, als wollte er sagen: Das versteht sich von selbst.

      »Und ein Redner ist er,« fuhr ich fort, »daß er jeden für sich gewinnen kann, Sir; und ich weiß nicht, was Sie sagen würden, wenn Sie ihn singen hörten, Mr. Peggotty.«

      Mr. Peggotty nickte wieder mit dem Kopfe, als wollte er sagen: Das glaube ich recht gern.

      »Und er ist so edelmütig, eine so vornehme Natur,« sagte ich, ganz von meinem Gegenstande eingenommen, »daß man ihn überhaupt kaum nach Gebühr loben kann. Ich kann nie genug Dankbarkeit fühlen für die edelmütige Art, wie er mich, den soviel jüngeren und geringeren, auf der Schule beschützt hat.«

      So redete ich eifrig fort, und mitten in meinem Eifer fielen meine Augen auf die kleine Emilie. Sie saß da, über den Tisch gebeugt, und hörte mit der tiefsten Aufmerksamkeit zu, während ihr Atem stockte, ihre blauen Augen wie Saphire glänzten und ihr das Blut in die Wangen stieg. Sie sah so wunderbar begeistert und lieblich aus, daß ich erstaunt innehielt: mit mir zugleich beobachteten sie die andern alle, denn als ich innehielt, lachten sie und sahen sie an. »Emilien geht's wie mir,« sagte meine Peggotty, »sie möchte ihn auch gern mal sehen.«

      Emilie war ganz verlegen geworden, ließ den Kopf hängen und wurde noch röter als vorher. Als sie gleich danach wieder aufblickte, durch die ihr in die Stirn hängenden Locken blinzelte und bemerkte, daß man sie immer noch ansah (ich meinesteils hätte sie stundenlang ansehen können), lief sie fort und blieb weg, bis es fast Schlafenszeit war.

      Ich legte mich in das alte kleine Bett im Bootsspiegel, und der Wind strich klagend über die Dünen, wie ehedem. Doch jetzt konnte ich mich nicht des Gedankens erwehren, daß er um die Dahingeschiedene klagte. Aber statt der Vorstellung, daß die See in der Nacht anschwellen und das Boot fortschwemmen könnte, dachte ich an das Unwetter, das dahergebraust war, seit ich zuletzt diesen Ton gehört, und das meine glückliche Heimat zerstört hatte. Ich weiß, als das Tosen des Windes und das Branden der Wellen schwächer zu werden schien, schob ich noch einen kleinen Zusatz in mein Abendgebet,


Скачать книгу