Die jüdischen Salons im alten Berlin. Deborah Hertz
Читать онлайн книгу.vor Probleme. Obwohl sich der Erfolg der Jüdinnen in ihrer Rolle als Salongastgeberinnen rapide verschlechterte, hielt dieser kulturelle Einfluß weit ins 19. Jahrhundert hinein an und wirkte auch noch darüber hinaus. Der Übertritt zum Christentum, das Eingehen von Mischehen und die Teilnahme an Avantgarde-Kulturen blieben bis zum Holocaust Bestandteile jüdisch-deutscher Tradition. Als eine der ersten Generationen, die sich auf diese Weise assimilierten, wurden die Berliner Salonières je nach Standpunkt des Betrachters entweder gelobt oder getadelt. Diejenigen, welche sie priesen, waren hauptsächlich nichtjüdische Literaturkritiker aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die sie, wie zum Beispiel Karl August Varnhagen von Ense – Rahel Levins späterer Ehemann –, dafür bewunderten, daß sie die Intellektuellen ihrer Zeit anzuziehen vermochten. Meist handelte es sich im übrigen um Menschen, die von der jüdischen Assimilation derart begeistert waren, daß sie die jüdische Herkunft der Salonières zu erwähnen vergaßen – zweifellos aus Furcht, deren Ansehen bei solchen Lesern zu mindern, die längst nicht so „philosemitisch“ wie sie waren.
Andererseits haben gerade jüdische Historiker, die einem jüdischen Nationalismus anhingen, die Salonières eher herabgesetzt als gewürdigt, selbst dann, wenn sie ihnen Bedeutung für die jüdische Geschichte nicht vollends bestreiten konnten. So wurde die Auffassung vertreten, daß die Salons einen geschlossenen jüdischen Sektor bildeten, der erstmals wirkliche Bindungen mit der deutschen Gesellschaft einging: Bindungen, die Juden und Christen einander weitaus näher brachten als in irgend einem anderen europäischen Land des 18. Jahrhunderts. Was viele jüdische Historiker jedoch irritierte, war ausgerechnet die erfolgreich vollzogene Assimilation der Frauen. Die über die Salons erfolgte Integration wurde als „dekadent“ und „schädlich“ beurteilt, und Heinrich Graetz mißbilligte die Haltung der Salonières so sehr, daß er meinte, die Frauen hätten mit ihrer Konvertierung dem Judentum in der Tat einen Dienst erwiesen. Vorgeworfen wurde ihnen nicht nur, daß sie konvertierten, vielmehr wurden sie auch für die vermeintlichen Auswirkungen ihrer Konvertierungen auf Juden außerhalb der Salongesellschaft verantwortlich gemacht. Mehrere jüdische Historiker beschuldigten die kleine Gruppe von Salonières, eine „Welle“ von Religionsübertritten in Berlin ausgelöst zu haben, und deren vermeintliche Realität wurde als „Manie“, als eine „Flut“ oder gar als eine „Epidemie“ beschrieben, welche die jüdische Gemeinde Berlins an den Rand ihrer Auflösung gebracht hätte. Um das Ausmaß der Konversionen zu dramatisieren, wurden Zeitgenossen zitiert, die beklagten, daß in Berlin nur wenige jüdische Familien von dieser Epidemie verschont geblieben wären, welche zwanzig Jahre zuvor, um 1780, ausgebrochen sei.
Der Stolz der jüdischen Historiker auf die gesellschaftlichen Errungenschaften der Salonières im Kampf um Emanzipation wurde somit durch ihre Bestürzung über die Neigung der Frauen, aus dem Judentum auszutreten, beeinträchtigt. Das Experiment wurde deswegen als gefährlich angesehen, weil es assimilatorische Kräfte freigesetzt habe, die im 19. und 20. Jahrhundert mit unverminderter Intensität anhielten. Und selbst für einen neueren jüdischen Historiker, Walter Laqueur, taugen die Salonières nur wenig als Modell, weil „in ihren exaltierten Konversationen und Briefen eine beträchtliche Affektiertheit, eine künstliche Begeisterung und eine nicht immer wahrhafte Sensibilität zum Ausdruck kamen“. Laqueur kommt zu dem Schluß, daß der „Libertinismus“ der Salonières „den Zeitgenossen und der nachfolgenden Generation zwar zügellos vorkam..., heute jedoch als naiv und langweilig erscheint“.
Die Ablehnung der Salonières durch die jüdischen Historiker wurde auch weitgehend von nichtjüdischen deutschsprachigen Historikern geteilt, die jedoch die negativen Auswirkungen des Salonlebens vorwiegend auf die christliche Gemeinschaft bezogen. So fand Heinrich von Treitschke barsche Worte für den Einfluß der jüdischen literarischen Intelligenz im allgemeinen und für Rahel Levin im besonderen: „Die schnellfertigen jüdischen Talente..., welche in der Tagespresse das Wort führten, trugen ihre jüdische Sonderart hochmüthig zur Schau und verlangten gleichwohl als Wortführer der deutschen öffentlichen Meinung geachtet zu werden. Dies vaterlandlose Judenthum, das sich als Nation innerhalb der Nation gebärdetet, wirkte auf das noch unfertige nationale Selbstgefühl der Deutschen ebenso zerstörend und zersetzend, wie vormals auf die versinkenden Völker des römischen Kaiserreichs.“
Und Rahel: „Aus ihrem Wesen redete der ruhelose Weltschmerz eines edlen, aber tief unbefriedigten Frauenherzens. Mit dialektischer Kühnheit übersprang sie alle Schranken, welche Natur und Geschichte der Menschheit gesetzt haben; Vaterland und Kirche, Ehe und Eigenthum, alles erlag ihrer zersetzenden Kritik.“ In einem paranoiden Ton verdammten die Nazi-Historiker die Salonières: „Gelehrte, Künstler und Schriftsteller mußten bei den Juden verkehren, wenn sie Anschluß an das geistige Leben der Nation haben wollten“; und „so gelangten die jüdischen Berliner Salons denn auch bald zu jener späteren Entwicklungsstufe, auf der sie praktisch schon eine nahezu unumschränkte Herrschaft auf kulturellem Gebiet und einen im steten Wachsen begriffenen Einfluß auf politischem Gebiet ausüben können“.
Voller Eifer lobten oder tadelten die Historiker die Salons und ihre Trägerinnen, doch fehlte ihnen die notwendige Ernsthaftigkeit zur Erklärung des Phänomens, warum diese Salons an ihrem Ort und zu ihrer Zeit entstanden und wieder verschwunden waren. Im 19. Jahrhundert war der Salon ein beliebtes Thema für weitschweifige und oberflächliche Abhandlungen, deren Autoren zum Wiederholen bekannter Anekdoten neigten und sich kaum um das Ausfindigmachen neuer Quellen bemühten. Erklärungen, die besagen, daß sich die Salons den gesellschaftlichen Gegebenheiten der Zeit verdankten, oder daß sie lediglich „das Produkt der zufälligen Konstellation in einer gesellschaftlichen Übergangsepoche waren“, sind zu vage, um weiterhelfen zu können. Der Zufall spielt durchaus eine Rolle in der Geschichte, doch als einzige Erklärung für das Aufkommen und Verschwinden einer so komplexen Institution wie die des Salons reicht er nicht aus.
Sämtliche plausiblen Erklärungen für die Frage, warum das Salonleben in den letzten Jahren des 1806 zu Ende gehenden preußischen Ancien regimes aufblühte, beruhen auf der Annahme, daß die Salons den Bedürfnissen des städtischen Adels, der jüdischen Gemeinde oder der Intelligenz entgegenkamen. Historiker haben entsprechend besonderes Augenmerk auf die in Berlin lebenden preußischen Adligen gerichtet, von denen man annahm, daß sie in den jüdischen Häusern Luxus, Eleganz, kosmopolitischen Lebensstil und intellektuelle Anregung suchten, die sie an keinen anderen Orten der Stadt finden konnten. In einer Untersuchung heißt es, daß Adlige und Bürgerliche zwangsläufig den Verkehr miteinander suchten, daran aber gehindert wurden, weil die feudale Standesordnung Adligen untersagte, Personen niederer Herkunft zu besuchen oder zu empfangen. Reiche Juden standen jedoch so weit außerhalb der christlichen Gesellschaft, daß es für Adlige eine eher exotische als deklassierende Erfahrung war, mit ihnen zu verkehren. Folglich fanden Adlige auf dem neutralen Territorium der wohlhabenden jüdischen Häuser gleichermaßen intellektuellen Anreiz und Beziehungen zu Bürgerlichen.
Daß die Sonderrolle der Juden außerhalb der herrschenden Standesordnung nicht der einzige Grund für den Salonbesuch war, wird von anderen Forschern in einem zweiten Erklärungsversuch dargelegt.
Ein Nazi-Historiker fand dabei eine besonders simple Deutung: Der Reichtum der „Kulturjuden“, wie er sie nennt, verursachte erst ihren kulturellen Erfolg, der geradezu „verschwörerisch“ dahingehend eingesetzt wurde, Besucher in die Salons zu ziehen, um von dieser „neuen kulturellen Bastion dann endlich auch mit voller Wirksamkeit in das politische und staatliche Leben zumindest auf dem Weg der geistigen Beeinflussung vordringen“ zu können. Seriöser ist eine andere Interpretation, die sich auf die „jüdische Marginalität“ als Ursache für die Aufnahme progressiver Ideen konzentriert. Aus dieser Sicht hatte die Randexistenz der Juden ihren Ursprung im Ausschluß von allen anderen gesellschaftlichen Einbindungen. Die Kluft zwischen der verbalen Beteuerung, daß Juden „gleich“ sein sollten, und ihrer tatsächlichen Unterdrückung ließ diese erst recht zu Außenseitern werden, während der jüdische Kampf um politische Emanzipation andererseits zur Freisetzung besonderer Fähigkeiten führte. Da die Salons von Jüdinnen getragen wurden, konzentrierten sich Historiker naturgemäß auch auf die besonderen Eigenschaften der in Berlin lebenden jüdischen Frauen. Doch damit machten sie es sich zumeist allzu leicht. Die Berliner Jüdinnen sollen „kultivierter“ und „gebildeter“ als ihre christlichen Zeitgenossinnen hier und anderswo gewesen sein, doch fehlt jeglicher Hinweis auf