Die jüdischen Salons im alten Berlin. Deborah Hertz

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Die jüdischen Salons im alten Berlin - Deborah Hertz


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nicht auf dem Allgemeinplatz ausruhen, wonach sich Menschen aller Klassen in den Salons vereinigt hätten. Die Leitfrage dieses Buches lautet daher: Wer besuchte die Berliner Salons und warum? Um sie beantworten und im gleichen Zug die Auswirkungen der Berliner Sozialstruktur auf den Salonbesuch rekonstruieren zu können, mußte ich – wie alle Historiker – bei weitem mehr und auch anderes über das Leben der Salonteilnehmer insgesamt in Erfahrung bringen, als diese selbst zu ihrer Zeit zu wissen vermochten. Darum machte ich es mir zur Aufgabe, den Mangel an zeitgenössischen Zeugnissen in eine Tugend zu verwandeln und dem Projekt somit eine Außen- und Fremdperspektive zu verleihen. Solches exemplarisch am besonderen und größeren Ort Berlin auszuführen, sollte mit dazu verhelfen, auch die Rätsel und Mysterien um den Salon als Institution zu lösen. Als wichtigste Quelle für die Beantwortung der Frage, wer in die Salons ging und warum, dienten mir die Biographien von 417 Intellektuellen, die zwischen 1780 und 1806 in Berlin lebten und die nötigen Voraussetzungen zur Teilnahme an der Salongesellschaft mitbrachten. Die Namen und Geburtsdaten, die von ihnen – aber auch von ihren Vätern – ausgeübten Berufe sowie die kulturellen Aktivitäten dieser Gruppe habe ich Biographien, Memoiren, Briefen und biographischen Lexika entnommen. Hundert von ihnen besuchten in diesen sechsundzwanzig Jahren mindestens einen Salon. Ich möchte daher zeigen, inwiefern die soziale Herkunft, der Beruf, die Freundschaften, die Liebesaffairen und die geistige Arbeit diese einhundert Intellektuellen in die Salons führten und die verbleibenden 317 dagegen nicht.

      Die Behauptung allein, daß die einhundert Salongäste eine vielfältige Mèlange ausmachten, ergibt noch keinen Sinn, wenn man nicht zugleich und auf breiterer Grundlage Überlegungen zur städtischen Sozialstruktur anstellt, die auch deren Leben prägte. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollzogen sich tiefgreifende Veränderungen innerhalb der Berliner Gesellschaft, und es entstanden neuartige Verbindungen zwischen sozialen Gruppierungen, die über wechselnde Ressourcen an Geld, Macht und Status verfügten. Ein bestimmtes Grundmuster des sozialen Auf- und Abstiegs brachte dabei einen neuen Menschentypus hervor, dessen besondere Bedürfnisse in den Salons befriedigt werden konnten. Gesellschaftsklassen, die sich auf gemeinsame ökonomische und berufliche Interessen gründeten, hatten am Ausgang des Jahrhunderts praktisch noch keine Gestalt angenommen. Steigende Grundstückspreise, hohe landwirtschaftliche Erträge, die Verstädterung und ein unzureichendes Erziehungswesen polarisierten den preußischen Adel und führten zu dem Ergebnis, daß manche Adlige zwar reich an sozialem Ansehen, aber knapp an Bargeld waren. Währenddessen hielt der Thron an seinem rigiden Merkantilismus fest, weigerte sich, hohe Staatsund Verwaltungsämter an Bürgerliche zu vergeben, und versuchte eine Industrie aufzubauen, ohne dabei dem Bürgertum den Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum zu ermöglichen. Die Politik verhinderte die Entstehung einer einheimischen Bourgeoisie, die fähig gewesen wäre, mit einem bereits geschwächten Adel um die gesellschaftliche Vormachtstellung zu konkurrieren. Die Rolle einer Stellvertreterbourgeoisie fiel im 18. Jahrhundert statt dessen an die soziale Elite der kleinen jüdischen Gemeinde.

      Während viele Adlige ärmer und manche Bürgerliche reicher wurden, entwickelten Angehörige beider Stände dennoch vergleichbare geistige Interessen, die sie gemeinsame intellektuelle Projekte aufnehmen ließen. Und auch ohne Universität und ohne führende Verlagshäuser gelang es Berlin, Geistesgrößen und aufstrebende Intellektuelle anzuziehen. Sie fanden Anstellungen als Hofmeister, als Lehrer an Gymnasien und den Ritterakademien, als Privatdozenten und insbesondere als Staatsbeamte. Dank ihrer Ausbildung und ihres beruflichen Werdegangs gelang so einer nicht unerheblichen Anzahl bürgerlicher Intellektueller, die manchmal den ärmsten Verhältnissen entstammten, der soziale Aufstieg.

      Zunächst müssen wir herausfinden, warum aus so vielen Adligen plötzlich ernsthafte Intellektuelle wurden, und uns anschließend die Frage stellen, weshalb ihre geistigen Interessen sie ausgerechnet in die Salons führten. Begaben sich Adlige, wenn sie Salons besuchten, ihrem eigenen Standesdünkel nach in gesellschaftliche Niederungen, so verband sich für Menschen von niedriger Herkunft damit umgekehrt ein beachtlicher Gewinn.

      Nicht minder entscheidend für die Entstehung der Salongesellschaft waren die Freundschaften der jüdischen Frauen, zu deren engsten Freundinnen Adlige und Schauspielerinnen sowie Jüdinnen zählten, die auch den Sprung aus den Fesseln ihrer Gemeinde und Traditionen wagen wollten. Im Gegensatz zur vorherrschenden Auffassung wár die Assimilation der jüdischen Salonfrauen nämlich kein bloßer individualistischer Akt. Vielmehr unternahmen die Frauen diese Reise gemeinsam, als eine kleine Gruppe, die durch ihre familiären Bedingungen, durch ein selbstgewähltes und dennoch schmerzlich empfundenes Außenseitertum sowie durch die Leidenschaft für das literarische Leben miteinander verbunden waren.

      Die meisten Salonteilnehmer waren zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt und verfügten über ein im Verhältnis zu ihrem Status entweder größeres oder geringeres Einkommen; Adlige waren eher ärmer, Juden dagegen eher reicher. Zudem spielte in der Salonkultur die Nachahmung der lokkeren Sitten des französischen Adels eine besondere Rolle. So wurden Salons zur Bühne für exotische und romantische Liaisons, die nicht selten in Ehen mündeten, an denen auf weiblicher Seite beinahe stets geschiedene und konvertierte Jüdinnen beteiligt waren. Um zu erfahren, wie es dazu kam, daß jüdische Ehemänner ihre Frauen verloren, und was andererseits die neuen Verbindungen begünstigte, müssen wir die Rolle der ökonomischen Nöte auf der nichtjüdischen Seite sowie jene des Reichtums auf der jüdischen Seite näher beleuchten.

      In den Hauptabschnitten dieses Buches möchte ich die Vielfalt der Verbindungen aufzeigen, welche die Salongesellschaft zusammenhielt, und mich im Schlußkapitel dem Auseinanderbrechen der jüdisch-deutschen Salongesellschaft zuwenden, welches in der Tat schon während ihres kulturellen Höhepunkts einsetzte. Merkwürdigerweise teilten viele der angesehenen christlichen Salongäste ein höchst zwiespältiges Verhalten gegenüber ihren jüdischen Gastgeberinnen, auch wenn sie ihnen mit ihren Besuchen schmeicheln wollten. Zudem lassen gerade die seit 1803 in Berlin vermehrt auftauchenden judenfeindlichen Schriften erkennen, daß nicht zuletzt der Erfolg der jüdischen Salonières mit zu dem neuen Antisemitismus beitrug, der sich gerade auch unter der lokalen Intelligenz auszubreiten begann. Dieser richtete sich gegen die mit dem Salonleben verbundene Assimilationspraxis und schwächte allmählich die Position der jüdischen Salonières.

      Die gesellschaftlichen und institutionellen Bedürfnisse, denen die Berliner Salons nachgekommen sind, sollten in der dort gegebenen Konstellation in keiner anderen deutschen Stadt mehr auftauchen und künftig auch nicht mehr in Berlin. In diesem Sinn trifft die bisherige historiographische Überzeugung von der geographischen wie geschichtlichen Einzigartigkeit der Berliner Salons des ausgehenden 18. Jahrhunderts in der Tat zu. Indem ich zu rekonstruieren versuche, warum Salons dann und dort entstanden, will ich das Einzigartige vom Zufälligen trennen und davon erzählen, wie ein Augenblick in der deutschen Geschichte vollkommen logisch sein konnte – auch wenn er allzu flüchtig war.

       2 Gesellschaftsstruktur

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      Rahel Levin

      Preußische Widersprüche

      Berlinbesucher, die vor zwei Jahrhunderten ihre Reiseeindrücke publik machten, schildern die städtische Szenerie meist in enthusiastischen Farben. Die Fremden waren besonders beeindruckt von den stattlichen Palais, dem neuen Opernhaus und den geschmackvoll gekleideten Spaziergängern auf der großzügig angelegten Allee Unter den Linden oder im Tiergarten. Ihre Beobachtungen galten ihnen als hinreichende Beweise für das Wohlergehen der ganzen Stadt. Viele ihrer in Berlin lebenden Zeitgenossen stimmten mit ein in die Lobeshymnen, und Lokalberichterstatter, die sich mehr mit den sozialen Beziehungen als mit der äußeren Gestalt der Stadt beschäftigten, entwarfen ein Bild gesellschaftlicher Harmonie, demzufolge dem Adel gemeinhin mit unterwürfiger „Hochachtung und Liebe“ begegnet wurde und Adlige und Bürgerliche denselben Vergnügungen nachgingen. Von den Wohlhabenden heißt es, daß sie ihre Garderobe weniger als anderswo zur Schau stellten, und selbst wenn die Existenz einer „Classe reicher Müßiggänger“ eingeräumt wurde, so betonte man doch sogleich, daß deren Zahl eher „unbedeutend“ gewesen sei. Besonders


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