Die jüdischen Salons im alten Berlin. Deborah Hertz

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Die jüdischen Salons im alten Berlin - Deborah Hertz


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der Pariser Salons, die unterdessen vielfältige Formen angenommen hatten. Manche Salongesellschaften kamen sogar in Klöstern zusammen, und wenigstens zwei Salons wurden von Männern geführt. In einem Haus blieb der Montag literarischen Berühmtheiten vorbehalten und der Mittwoch den politisch Einflußreichen. Wohlhabende Frauen konkurrierten miteinander im Eröffnen neuer Salons und waren darin so eifrig, daß ein Mißerfolg auf diesem Feld sie mehr als der Verlust eines Liebhabers getroffen haben soll. Die nicht nur gesellschaftliche, sondern auch geistige Funktion der Salons bereitete indes einigen männlichen Intellektuellen, wie Jean-Jaques Rousseau, gewisse Sorgen. Er griff Molières Spöttelei über die Salondamen auf und tadelte sie wegen ihrer Anmaßung und wegen mangelnden intellektuellen Ernstes. Gleichwohl hat Rousseau, der selbst in Salons verkehrte und dort aus seinen Werken vortrug, durch sein praktisches Verhalten die unentbehrliche öffentliche Rolle der Pariser Salons für das intellektuelle und künstlerische Leben der Aufklärungsepoche bestätigt.

      Gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstanden bedeutende Salons auch in London und in einigen mitteleuropäischen Städten. Die Londoner Zusammenkünfte wurden wegen des dort herrschenden intellektuellen Ernstes bluestocking-Salons genannt. (Blaue Strümpfe gehörten zur Alltagskleidung der Frauen.) Wenn die Gastgeberin an Sinn und Zweck der Zusammenkunft mahnend erinnerte, so hieß das, daß harte Diskussionen auf der Tagesordnung standen. Die Londoner „Blaustrümpfe“ waren gebildeter als die Pariser Salondamen und auch eher bereit, ihre literarischen Erzeugnisse zu veröffentlichen; ihre Salons blieben zudem Männern häufig verschlossen. Salons tauchten auch – zum ersten Mal – in den wichtigsten deutschen Städten auf, zum Beispiel Berlin. In Wien kamen während des Wiener Kongresses von 1814/15 zu drei bekannten Salons weitere hinzu. Zusammenkünfte, die als Salons bezeichnet wurden, gab es auch in Potsdam, Jena, Heidelberg, Darmstadt, Leipzig und Weimar. In der Regel waren die mitteleuropäischen Salons dieser Zeit an den Fürstenhöfen zu finden, was den Schluß nahelegt, daß sie sich in einem Stadium befanden, das die französischen und englischen Salons bereits überwunden hatten.

      Schon dieser kurze Überblick zeigt uns die Salons als eine Institution, die sich in unterschiedlicher Umgebung entfaltete und dabei eine Vielfalt von sozialen und intellektuellen Funktionen erfüllte. Diese Zusammenkünfte wurden von Zeitgenossen oder späteren Historikern als Salons bezeichnet. Salons fanden fast stets zu Hause statt, wobei das Zuhause manchmal der Hof einer herrschenden Dynastie war.

      Salons wurden gewöhnlich von reichen, verheirateten Frauen geführt, doch manchmal war auch ein Mann der Gastgeber. So haben beispielweise Goethe in Weimar und Baron d’Holbach in Paris zu informellen intellektuellen Zusammenkünften geladen, die denen glichen, welche anderswo Salons genannt wurden. Natürlich gab es auch unverheiratete Salondamen und solche, die zu arm waren, um etwas anderes als Tee und Gebäck reichen zu können.

      Es ist schwierig, eine genaue Definition des Salons zu finden, nicht nur, weil sich die Art der Zusammenkünfte und die Gastgeber erheblich voneinander unterschieden, sondern auch, weil es sich zugleich um gesellschaftliche und intellektuelle Ereignisse handelte. In einigen Salons herrschte eine rege Arbeitsatmosphäre, in der Manuskripte laut vorgelesen und der Kritik ausgesetzt wurden sowie Urteile über neue Theateraufführungen und Bücher gefällt wurden. Andere Salons waren berühmt für ihre brillanten Konversationen, üppigen Soupers und musikalischen Darbietungen. Die Schwierigkeit einer Definition gilt dabei in jeder Beziehung: War der Salon eine öffentliche oder eine private Einrichtung? Zweifellos fanden die meisten Salonzusammenkünfte in Privathäusern statt, doch wurde das, was sich dort ereignete, zugleich einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Diese halb öffentliche und halb private Atmosphäre fand ihr Pendant darin, daß die Salons in der Regel von Frauen organisiert wurden. Diese Vereinigung von Öffentlichem und Privatem spiegelt sich auch darin wieder, wie Gäste ihren Weg dorthin fanden. Salons waren exklusive Treffen, für die es aber keiner gesonderten Einladung bedurfte. Die Salonbesucher waren häufig berühmte Menschen und die Verbindungen, die man dort anknüpfte, überaus nützlich. Uns erscheint das heute in der Tat verwirrend: Wie konnte ein gesellschaftliches Ereignis spontan und offen sein und dennoch exklusiv und elitär bleiben?

      Je länger ich über die Vielfalt der Erscheinungen nachdachte, die sich unter dem Etikett Salons verbargen, um so dringender stellte sich mir die Frage, weshalb Salons überhaupt entstehen konnten. Daß derartige gesellschaftliche Institutionen im vorindustriellen Europa auftauchten, hat etwas Merkwürdiges an sich. Merkwürdig war, daß private Wohnzimmer als öffentliche Orte fungierten; daß Frauen zu einer Zeit, in der sie von Bildungsstätten und anderen bürgerlichen Institutionen ausgeschlossen waren, intellektuelle Diskurse zwischen den gelehrtesten Männern der Stadt vermittelt und geleitet haben sollen; daß Männer und Frauen in einer Zeit, in der die beiden Geschlechter sich gewöhnlich sehr wenig zu sagen hatten und es kaum öffentliche Orte gab, wo sie miteinander Umgang pflegen konnten, einem regen gedanklichen Austausch nachgingen. Merkwürdig war die Zusammensetzung der männlichen Gäste. Manche waren einflußreiche Staatsbeamte, Finanziers oder Grundbesitzer, andere besaßen nur ihren Esprit, ihren Ruhm als Schriftsteller und den Willen, der Welt ihren Stempel aufzudrücken. Daß die Reichen und Mächtigen sich dazu herabgelassen haben sollen, in kleinen intimen Zirkeln mit verarmten Autoren zu verkehren, bedarf einer Erklärung. Auch die These vom institutionellen Vakuum reicht nicht aus, um dieses Bündel von Fragen zu beantworten.

      Dem Vakuum, das dem Niedergang der fürstlichen Patronage folgte und einem funktionierenden Verlagswesen voranging, hätte auch ohne die Hilfe von Frauen, die in ihren Wohnzimmern gelehrte Diskussionen führten, abgeholfen werden können. Dies zeigt ein Vergleich zwischen englischen und französischen intellektuellen Institutionen im 18. Jahrhundert. London war geradezu überschwemmt mit Kaffeehäusern, Dinnerclubs und Lesegesellschaften, die hauptsächlich Männern offenstanden; in Paris dagegen gab es verhältnismäßig viele Salons. Hier wie dort wurde das Vakuum durch eine Vielzahl intellektueller Übergangsinstitutionen geschlossen, aber nur eine davon, der Salon, stand unter weiblicher Führung.

      Hierzu kam, daß die Salons die etablierten Vorstellungen von Kontinuität und Fortschritt in der deutschen Geschichte in Frage stellten. Für lange Zeit herrschte die Auffassung vor, daß weder Juden noch Frauen jemals in der deutschen Geschichte autonom und einflußreich gewesen seien. Die Vorstellung zu begründen, daß in Deutschland frühzeitig eine miniaturhafte Bastion weiblichen und jüdischen Einflusses auf kulturellem Gebiet bestanden hat, erwies sich als eine ebenso schwierige wie reizvolle Aufgabe.

      Dieses Buch ist das Ergebnis meiner Bemühungen, die Salons im allgemeinen und die Berliner Salons im besonderen zu verstehen. Als Phänomene einer Übergangszeit waren diese gesellschaftlichen Gebilde bislang nicht als sonderlich bemerkenswerte Rätsel angesehen worden, was sie für mich indes immer mehr wurden. Wie ich ihnen jedoch die Informationen entlocken sollte, die meine Fragen beantworten konnten, war mir anfangs noch höchst unklar. Gleich zahlreichen anderen Rätseln der Sozialgeschichte entsprachen die Salons eher dem, was man heute einen Prozeß nennt, als gewöhnlich gut dokumentierten Ereignissen, denen so lange das Hauptinteresse der traditionellen Geschichtswissenschaft galt. Wenn man den Unterschied zwischen Ereignis und Prozeß in den Kontext der Geistesgeschichte übersetzt, so handelt es sich bei den Salons um kulturelle Vorgänge, während die Veröffentlichung von Büchern oder die Immatrikulation an einer Universität intellektuelle Ereignisse darstellen. Kulturelle Vorgänge sind jedoch schwerer faßbar als jene Prozesse, die von Sozialhistorikern in allgemeiner Weise rekonstruiert werden. Für bestimmte Abschnitte der Bevölkerungs- und Wirtschaftsgeschichte lassen sich in den Archiven noch Quellen aufspüren. Brauchbare Primär quellen zur Salongesellschaft sind hingegen sehr viel schwerer zu entdecken und auszuwerten, weil vieles über die Salons als Institution und erst recht über bestimmte Salons unter der Oberfläche unserer historiographisch erfaßten Vergangenheit verborgen liegt. Keine örtliche Polizei, keine Universität und kein Verlag hatte es sich damals zur Aufgabe gemacht, das Salonleben zu dokumentieren. Und trotz der Geschwätzigkeit der Briefkultur des 18. Jahrhunderts wurden in den Korrespondenzen der Salonteilnehmer die Einzelheiten des Salonalltags eher vorausgesetzt als zum Briefinhalt gemacht.

      Den Mangel an Salonberichten aus erster Hand habe ich durch die besondere Anlage dieses Buches zu kompensieren versucht. Mein Ziel, eine Sozialgeschichte der Berliner Salons zu schreiben, bedurfte so einer gewissen Systematisierung in der Darstellung, zumal ich


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