Tagebücher 1818 - 1832. Johann Wolfgang von Goethe

Читать онлайн книгу.

Tagebücher 1818 - 1832 - Johann Wolfgang von Goethe


Скачать книгу
den herrlichen Eindrücken Italiens erzählte, fühlte sie sich hierdurch verletzt. Dazu kam, dass G. bald nach seiner Rückkehr den Liebesbund mit Christiane Vulpius einging, die ihm als Bittstellerin für ihren Bruder, den Verfasser des »Rinaldo Rinaldini«, im Park zu Weimar begegnet war und seine sinnliche Natur durch ihre Jugendfrische und Schönheit entzückte. Frau v. Stein konnte dem Dichter den Verstoß gegen die Sitte nicht verzeihen, und so kam es im Sommer 1789 zu dem Goethes Seele tief erschütternden Bruch mit der Frau, die ihm für seine geistige Entwickelung mehr geboten hatte als irgend eine andre. Auch der Misserfolg der ersten Sammlung seiner »Schriften«, die 1787–90 bei Göschen in Leipzig erschienen und den Himburgschen Nachdruck beseitigen sollten, verstimmte ihn; vollends aber war ihm die große Erscheinung der französischen Revolution, da er weiter schaute als die andern, von Anfang an peinlich und bedrückend. G., dessen höchstes Streben auf die Steigerung und Vertiefung des individuellen Lebens gerichtet war, besaß geringeres Verständnis für die Bewegungen des Gesamtbewußtseins, die Erhebung der Massen. Im Frühjahr 1790 war er, dem Christiane 25. Dez. 1789 den ersten Sohn geschenkt hatte, zur Begrüßung der Herzogin Anna Amalia abermals nach Italien und zwar nach Venedig gereist, wo er 31. März eintraf. Aber der Zauber der Lagunenstadt und des südlichen Volkes waren für ihn diesmal entschwunden; seine Liebe für Italien hatte einen tödlichen Stoß erfahren. »Ich bin«, so schrieb er, »ein wenig intoleranter gegen das Sauleben dieser Nation als das vorige Mal.« Die »Venezianischen Epigramme« legen Zeugnis von dieser verbitterten Stimmung ab. Im Juli 1790 folgte G. seinem Herzog in das schlesische Lager, wo König Friedrich Wilhelm II eine diplomatisch-militärische Intervention zu unrühmlichem Abschluss brachte. Zwei Jahre später beteiligte sich G., wiederum im Gefolge seines Herzogs, an dem Feldzug nach Frankreich, der freilich noch viel jämmerlicher endete und z. T. von dem Dichter eindrucksvoll beschrieben wurde. Auch 1793 war er bei der Belagerung von Mainz, die er ebenfalls beschrieb, zugegen. In dieser Zeit waren ihm außer den unvergleichlichen »Römischen Elegien« der »Reineke Fuchs« und der Abschluss des »Tasso« gelungen. Im »Reineke Fuchs« lieferte er eine durch den Hexameter besonders glücklich gehobene Neubearbeitung des niederdeutschen Werkes; im »Tasso« schuf er ein Meisterwerk, in dem er die Psychologie des Dichters, das Schwanken zwischen Traum und Wirklichkeit, mit unvergleichlich tiefer Divination erschloss. Daneben suchte er in dem dramatisch wirksamen, aber peinlichen »Groß-Cophta«, dem »Bürgergeneral«, den unvollendeten »Aufgeregten« und der »Reise der Sohne Megaprazons« die Eindrücke des ihm unheimlichen Zeitlebens ohne Erfolg poetisch zu ergründen.

      Neuen Inhalt und unerwartet reiche Anregungen erfuhr G. durch die freundschaftliche Verbindung mit Schiller. Am 13. Juni 1794 richtete dieser an G. die Aufforderung, sich an der neuen Zeitschrift »Die Horen« zu beteiligen; am 24. sprach G. seine Zustimmung aus. Im Juli und August kam es zu einer Annäherung, und vollends nach Empfang von Schillers tiefdringendem Briefe vom 22. Aug. 1794 erkannte G., welch unerwarteter Gewinn ihm durch die neue Freundschaft erwuchs. Hatten doch beide zuvor teils abwartend, teils ablehnend einander aus der Ferne beobachtet; jetzt war ihre Entwickelung zu dem Punkte gelangt, wo sie einander ganz nahe gerückt waren und im Innersten verstanden. Der Freundschaftsbund, der allen Intrigen unedler Neider, wie z. B. Kotzebues, zum Trotz ungetrübt fortbestand, ward beiden Männern zum Segen. G. erfuhr von Schiller vielfältigste Anregung zu poetischer Arbeit: soz. B. war es Schillers Verdienst, dass der immer noch fragmentarische »Faust« wieder aufgenommen und zum Abschluss gebracht wurde. Dagegen endete das schon früher mehrmals getrübte Verhältnis zu Herder 1796 durch Herders Schuld mit einer dauernden Entfremdung der einstigen Freunde. Neue Aufgaben waren dem Dichter seit 1791 durch die Begründung des ständigen Hoftheaters, dessen Leitung ihm oblag, erwachsen. Jetzt, unter Schillers Anteil, besonders seit dessen Übersiedelung nach Weimar (1799), gelang es unserm Dichter, den idealistischen Stil des Théâtre Français mit einigen Umbildungen und Vertiefungen auf seiner Bühne heimisch zu machen und sie, unter Schillers Anteil, zu einer viel bewunderten Musteranstalt zu erheben. Daneben nahmen ihn die Verwaltungsgeschäfte für die Universität Jena, die Begründung der »Neuen Jenaer allgemeinen Literaturzeitung«, die immer reger betriebenen tiefdringenden naturwissenschaftlichen Studien und anderes in Anspruch. Unter seinen poetischen Arbeiten ist die Vollendung von »Wilhelm Meisters Lehrjahren« (1794–96, 4 Bde.) in erster Linie zu nennen. In diesem Werke schuf G. den ersten epochemachenden Bildungsroman der deutschen Literatur; ursprünglich beabsichtigte er nur eine Schilderung des Theaterwesens jener Zeit zu geben, später führte er jedoch seinen Helden aus dieser Sphäre in die mit immer wärmerem Anteil geschilderte adlige Welt empor und ließ ihn, von einem Milieu zum andern fortschreitend, eine immer reichere und klarere Bildung des Geistes und Herzens gewinnen. Inhalt wie Darstellung des Werkes wurden von entscheidendem Einfluss auf die Produktion der romantischen Schule. Noch weit höher erhob sich G. in »Hermann und Dorothea« (1797), dem Muster des idyllischen Epos, das durch Plastik der Darstellung, Lebenswahrheit, Tiefe des Gefühls und Vollendung des poetischen Stils unerreicht dasteht und, wie Schiller schrieb, den Gipfel der gesamten neuern Kunst bezeichnet (vgl. W. v. Humboldts »Ästhetische Versuche«, s. Humboldt 1); Cholevius, Ästhetische und historische Einleitung nebst fortlaufender Erläuterung zu »Hermann und Dorothea«, 3. Aufl., Leipz. 1897; V. Hehn, Über Goethes »Hermann und Dorothea«, 2. Aufl., Stuttg. 1898). Ihm gegenüber fällt der Versuch einer engeren Anlehnung an Homer, den G. in der »Achilleis« machte, ab, und die »Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten« sind des Dichters zum großen Teil kaum würdig; nur das entzückende »Märchen«, das den Schluss bildet, verrät die große Fülle seiner Kraft. Während weiterhin eine Reihe vortrefflicher Balladen, die er im Wettkampf mit Schiller, namentlich 1797, schrieb, in weitesten Kreisen beliebt geworden sind, ist dagegen die allzu stark stilisierte »Natürliche Tochter« (1803), in der G. noch einmal die Erscheinungen der französischen Revolution widerspiegelte, wohl wegen der unklaren und unabgeschlossenen Handlung dem Verständnis des Publikums niemals nahe gerückt, obwohl G. in der Heldin Eugenie einen besonders anziehenden und eigenartigen Frauencharakter schilderte. Mit Schiller gemeinsam schrieb er 1796 die ungeheures Aufsehen erregenden »Xenien«, in denen sich beide mit Überlegenheit, Witz und heiligem Ernst gegen die Schäden und Rückständigkeiten des literarischen und wissenschaftlichen Lebens der Zeit wandten (vgl. Boas, Schiller und G. im Xenienkampf, Stuttg. 1851, 2 Tle.; »Xenien 1796«, hrsg. von Erich Schmidt u. Bernh. Suphan, in den »Schriften der Goethe-Gesellschaft«, Bd. 8, Weim. 1893). Mit Eifer förderte G. in dieser Zeit seine kunsttheoretischen und kunsthistorischen Studien: er bearbeitete »Benvenuto Cellinis Leben«, schrieb eine größere Anzahl bedeutender Aufsätze für die Zeitschrift »Propyläen«, die er 1798 bis 1800 herausgab, wandte sich in den Anmerkungen zu Diderots »Versuch über die Malerei« (1799) gegen den Naturalismus in der Kunst und schrieb ein biographisch-kritisches Meisterwerk in seinem »Winckelmann und sein Jahrhundert« (1805). Dabei befestigte er sich ebenso wie in seinen poetischen Werken mehr und mehr in den Tendenzen des klassizistischen Stils.

      Goethes Leben und Schaffen seit Schillers Tod (1805–32).

      Nach Schillers frühem Tod, der G. auf das tiefste erschütterte, vereinsamte er mehr und mehr. Unter den Kriegsunruhen, die nach der Schlacht bei Jena (14. Okt. 1806) auch die Stadt Weimar bedrückten, litt G. schwer. Christiane Vulpius, die sich in den Tagen schwerster Not und Aufregung tapfer bewährt hatte, führte er 19. Okt. 1806 vor den Traualtar. In eben diesem Jahre begann die erste Cottaische Ausgabe seiner Werke zu erscheinen, in die auch der vollendete erste Teil des »Faust« aufgenommen war, den der Dichter unter Schillers regem Anteil in den Jahren 1797–1800 abgeschlossen hatte, und der nunmehr von einer neuen, nach nationaler Erhebung sich sehnenden Zeit als ein Wunderwerk deutscher Geisteskraft gepriesen wurde, während die fragmentarische Veröffentlichung vom Jahre 1790 fast unbeachtet vorübergegangen war. Im Winter 1807/08, den G. größtenteils in Jena verbrachte, gewann er einen tiefen Eindruck von der jungfräulichen Anmut Minna Herzliebs, der Pflegetochter des Buchhändlers Frommann (vgl. Gaedertz, Goethes Minchen, 2. Aufl., Brem. 1889), und er hielt ihr Charakterbild in der Ottilie der »Wahlverwandtschaften« fest, dem tiefsinnigen, kunstvoll komponierten Roman, den er 1809 niederschrieb und 1810 veröffentlichte. Das große Problem der Ehescheidung wird hier von G. in gedankenreicher Darstellung an vier von vielseitigem und tiefstem Innenleben erfüllten Personen geistvoll und durchaus mit der Forderung sittlicher Entsagung behandelt. In der Zeit der Napoleonischen Vorherrschaft zeigte sich G. in nationalen Dingen kleingläubig und als ein entschiedener


Скачать книгу