Das Paradies der Damen. Emile Zola

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Das Paradies der Damen - Emile Zola


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schuldig seien, eine sogenannte Bildungslaufbahn einzuschlagen, und sich in einer eitlen Mittelmäßigkeit begraben, vollkommen zufrieden, wenn sie mit ihren guten Zeugnissen nicht Hungers sterben. Er hatte Jura studiert, weil das so Familientradition war; dann hatte er eine Zeitlang seiner verwitweten Mutter auf der Tasche gelegen, die ohnehin nicht wußte, wie sie ihre beiden Töchter versorgen sollte. Endlich hatte er sich dieses Zustandes geschämt, den Frauen die Reste ihres Vermögens, von denen sie nur knapp existieren konnten, überlassen und eine kleine Stelle im Innenministerium angenommen, wo er verborgen saß wie ein Maulwurf in seinem Loch.

      »Und wieviel verdienst du?« fragte Mouret.

      »Dreitausend Franken.«

      »Das ist ja der reinste Hungerlohn! Mein lieber Alter, du tust mir leid! ... Ein so begabter Bursche, der uns alle in den Schatten stellte! Und dir zahlen sie nicht mehr als dreitausend Franken, nachdem man dich fünf Jahre lang mit allen möglichen Kenntnissen vollgestopft hat! Nein, das ist aber wirklich ungerecht... Du weißt doch, was aus mir geworden ist?«

      »Ja«, sagte Vallagnosc, »man hat mir erzählt, daß du Kaufmann geworden bist. Du hast das große Modewarenhaus an der Place Gaillon, nicht wahr?«

      »So ist es; Kaufmann bin ich geworden, mein Lieber.«

      Mit der Heiterkeit des Mannes, der sich des ihn ernährenden Berufs nicht schämt, wiederholte er:

      »Ja, Kaufmann – und wie! Du erinnerst dich sicher: ich konnte mit all den Büchern nie viel anfangen, obgleich ich mich im Innern nicht für dümmer hielt als die übrigen. Nach der Schule hätte ich, um meiner Familie ihren Wunsch zu erfüllen, genauso gut Rechtsanwalt oder Arzt werden können wie die andern aus der Klasse. Aber diese Berufe sind mir unbehaglich; man sieht dabei gar so viele Leute hungern! Na, und da bin ich Geschäftsmann geworden – und ich bereue es nicht, das versichere ich dir.«

      Vallagnosc lächelte verlegen und murmelte dann:

      »Zum Leinwandverkaufen allerdings nützt dir dein Zeugnis nicht viel.«

      »Meiner Treu«, erwiderte Mouret vergnügt, »was ich von ihm verlange, ist, daß es mir nicht im Weg steht. Du weißt, wenn man sich so etwas einmal auf den Hals geladen hat, wird man es nicht leicht wieder los. Man kommt nur langsam vorwärts im Leben, während andere, die keinen solchen Klotz am Bein haben, einem ungebunden davonlaufen.«

      Als er merkte, daß diese Wendung des Gesprächs seinem Freund peinlich war, nahm er ihn bei den Händen und fuhr fort:

      »Ich will dich ja nicht kränken, aber gesteh nur, daß alle deine Zeugnisse dir nicht dabei geholfen haben, auch nur ein einziges deiner Bedürfnisse zu befriedigen. Wirst du glauben, daß der Leiter der Seidenabteilung in meinem Haus dieses Jahr zwölftausend Franken verdient? Und das ist ein einfacher Junge, der alles in allem gerade die Orthographie beherrscht und die vier Rechenarten. Allerdings: tüchtig ist er ... Die gewöhnlichen Verkäufer bei mir verdienen drei- bis viertausend Franken, mehr als du, und ihre Ausbildung hat nicht so viel gekostet wie die deine, sie sind nicht mit dem Versprechen, die Welt werde ihnen zu Füßen liegen, hinausgeschickt worden ... Geld verdienen ist nicht alles, das ist wahr; aber wenn ich zu wählen habe zwischen den armen Teufeln, die mit Wissen vollgestopft sind und die höheren Berufe übervölkern, ohne sich satt zu essen, und den praktischen Jungen, die für das Leben gewappnet sind, ihr Handwerk verstehen: da zögere ich nicht lange, da bin ich entschieden für die zweiten; die verstehen ihre Zeit besser!«

      Er wurde beredt, seine Stimme hatte an Wärme gewonnen. Henriette, die gerade den Tee ausschenkte, wandte den Kopf nach ihm um. Als er sah, wie sie lächelte, und merkte, daß noch zwei weitere Damen im großen Salon ihrem Gespräch lauschten, gab er seiner Stimme einen helleren, heiteren Klang.

      »Kurzum, mein Lieber, jeder Kaufmann, der heute anfängt, steckt in der Haut eines Millionärs!«

      Vallagnosc lehnte sich ins Sofa zurück. Er hatte die Augen halb geschlossen und saß mit einer müden und geringschätzigen Miene da, die nicht ganz überzeugend wirkte.

      »Pah«, murmelte er, »das Leben ist nicht so viel Mühe wert; es gibt ja gar keinen richtigen Spaß mehr!«

      Da Mouret, empört über eine solche Gleichgültigkeit, ihn hocherstaunt ansah, setzte er hinzu:

      »Was kommen will, das kommt, gleichviel, ob man etwas dazu tut oder nicht.«

      Und dann legte er seine pessimistischen Ansichten dar. Er hatte einen Augenblick davon geträumt, sich auf dem Gebiet der Literatur zu versuchen, allein aus seinem Umgang mit den Schriftstellern war ihm nur eine Art Weltverachtung geblieben. Sein letztes Wort war stets, daß alle Anstrengungen vergebens seien, das Leben sei gar zu dumm.

      »Amüsierst du dich etwa?« fragte er schließlich seinen Freund. Mouret war vom Erstaunen zur Entrüstung übergegangen.

      »Ob ich mich amüsiere?« rief er aus. »Was redest du da für krauses Zeug? Natürlich amüsiere ich mich! Ich genieße das Leben selbst dann, wenn die Dinge schiefgehen. Ich bin nun mal leidenschaftlich veranlagt und nehme nicht alles so ruhig hin. Vielleicht macht es mir gerade darum solchen Spaß.«

      Er warf einen Blick nach dem Salon und fuhr flüsternd fort:

      »Die Frauen haben mich schon zu vielen Dummheiten verleitet, ich gebe es zu. Aber wenn ich eine habe, so halte ich sie auch fest; immer geht's nicht schief, und ich nehme mir schon mein Teil. Und zu guter Letzt mache ich mich doch nur lustig über sie. Man muß immer etwas vorhaben, man muß etwas schaffen ... Da hast du einen Gedanken, kämpfst für ihn, treibst ihn den Leuten mit Hammerschlägen in den Schädel, siehst ihn wachsen und triumphieren ... Ach ja, mein Lieber, ich amüsiere mich sehr gut.«

      Reine Daseinsfreude klang aus seinen Worten; er wiederholte einige Male, er sei eben ein Kind der Zeit. Er machte sich weidlich lustig über die Verzweifelten, die Angewiderten und Pessimisten, die mit ewiger Schmollmiene durch die ungeheure Werkstatt der Gegenwart liefen. Eine saubere Rolle, während die anderen arbeiteten, sich hinzustellen und vor Langeweile zu gähnen!

      »Das ist mein einziges Vergnügen: andere anzugähnen«, sagte Vallagnosc mit einem kühlen Lächeln.

      Mouret nahm einen wärmeren Ton an.

      »Ach, du bist ganz der alte Paul: immer die Gegensätze gegeneinander ausspielen. Wir haben uns doch nicht wiedergefunden, um zu streiten. Glücklicherweise hat jeder seine eigenen Gedanken. Aber ich muß dir einmal meine Maschinerie in Bewegung zeigen, du sollst sehen, daß die Sache gar nicht so schlecht ist .... Erzähl mir doch etwas von dir. Deiner Mutter und deinen Schwestern geht es hoffentlich gut? Und dann hieß es ja, daß du angeblich vor sechs Monaten in Plassans geheiratet hast?«

      Eine plötzliche Gebärde Vallagnoscs unterbrach ihn. Mouret merkte, daß der andere mit unruhigen Blicken im Salon umherschaute; er wandte sich um und sah, daß Fräulein von Boves kein Auge von ihnen ließ. Blanche war groß und voll wie ihre Mutter; nur ging bei ihr das Gesicht schon jetzt in die Breite, und ihre Züge wirkten verschwommen. Mouret befragte seinen Freund leise, worauf Paul erwiderte, es sei noch nichts entschieden und vielleicht werde auch nichts daraus. Er habe die junge Dame bei Frau Desforges kennengelernt, bei der er im vorigen Winter viel verkehrt habe. Er sei auch in der Familie eingeführt und schätze besonders den Vater: ein sehr liebenswürdiger Mensch, alter Lebemann, der sich jetzt in die Verwaltung zurückgezogen habe. Im übrigen sei keinerlei Vermögen da. Frau von Boves habe ihrem Mann nichts als ihre junonische Schönheit zugebracht, die Familie lebe nur kümmerlich von einem verschuldeten Landgut und von den neuntausend Franken, die der Graf verdiene. Unter diesen Umständen müßten sich die Damen natürlich sehr einschränken, und es komme vor, daß sie


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