Das Paradies der Damen. Emile Zola

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Das Paradies der Damen - Emile Zola


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Schüchternheit fast eine Stunde lang auf der Straße gezögert hatte, war sie endlich eingetreten. Allein sie war dermaßen verwirrt, daß sie die einfachsten Auskünfte nicht begriff. Vergebens zeigten ihr die Angestellten, bei denen sie sich stotternd nach Frau Aurélie erkundigte, die nach dem Zwischenstock führende Treppe; sie wandte sich nach links, wenn man sie nach rechts gewiesen hatte. So irrte sie schon seit zehn Minuten durch alle Abteilungen des Erdgeschosses inmitten der boshaften Neugierde oder der mürrischen Gleichgültigkeit der Verkäufer. Sie wäre am liebsten wieder davongelaufen und wurde doch zugleich durch ein Gefühl der Bewunderung zurückgehalten. Sie fühlte sich so klein, so verloren in diesem ungeheuren Warenhaus, und wenn sie an den finsteren, engen Laden des »Vieil Elbeuf« dachte, erschien ihr dieses Geschäft noch riesiger, in goldenes Licht getaucht, gleichsam eine Stadt für sich mit Plätzen, Denkmälern und Straßen, durch die sie niemals den Weg zu finden glaubte. Indessen hatte sie bisher noch nicht gewagt, weiter in die Seidenhalle vorzudringen, die ihr mit ihrem hohen Glasdach und ihrem Prunk unheimlich war. Als sie endlich eintrat, um aus dem Bereich der spöttelnden Angestellten der Weißwarenabteilung zu kommen, stieß sie auf Mourets Dekoration. Trotz ihrer Angst erwachte plötzlich die Frau in ihr, ihre Wangen röteten sich, und sie betrachtete selbstvergessen diese Feuersbrunst an Stoffen, die Mouret da entfacht hatte.

      »Sieh einer an«, flüsterte Hutin Favier ins Ohr, »das Gänschen von der Place Gaillon!«

      Obgleich Mouret tat, als hörte er Bourdoncle und Robineau zu, war er im Grunde durch die Bewunderung dieses einfachen Mädchens sehr geschmeichelt. Denise blickte jetzt auf und geriet in noch größere Verlegenheit, als sie den jungen Mann wiedererkannte, den sie immer noch für einen Abteilungsleiter hielt. Sie bildete sich ein, daß er sie streng anblicke, und da sie in ihrer Verwirrung nicht wußte, wie sie wegkommen sollte, wandte sie sich noch einmal an den nächstbesten Angestellten, diesmal an Favier, und fragte:

      »Bitte, wo finde ich Frau Aurélie?«

      Favier, ungefällig, wie er war, begnügte sich damit, trocken zu antworten:

      »Im Zwischenstock.«

      Denise, die den vielen Männerblicken rasch entkommen wollte, dankte und wandte der Treppe abermals den Rücken, als Hutin, von seiner angeborenen Liebenswürdigkeit getrieben, ihr zu Hilfe kam.

      »Nicht dorthin – hier herum, Fräulein.«

      Er ging einige Schritte vor ihr her und brachte sie bis zum Fuß der Treppe, die sich an der linken Seite der Halle befand. Lächelnd verbeugte er sich und sagte:

      »Oben wenden Sie sich links, und Sie befinden sich direkt vor der Konfektionsabteilung.«

      Denise war von dieser einschmeichelnden Höflichkeit tief ergriffen. Es war ihr, als komme ihr jemand brüderlich zu Hilfe. Sie schaute Hutin an, und alles an ihm gefiel ihr: das hübsche Gesicht, die freundlichen Blicke, die ihr die Furcht nahmen, die Stimme, die tröstend und weich klang. Ihr Herz war von Dankbarkeit erfüllt.

      »Sie sind zu gütig – Geben Sie sich weiter keine Mühe... Tausend Dank, mein Herr!«

      Doch Hutin war schon zu Favier zurückgekehrt und flüsterte ihm zu:

      »Ist das ein Knochengerüst!«

      Oben befand sich das junge Mädchen sogleich in der Konfektionsabteilung, einem großen Raum, dessen Fenster auf die Rue de la Michodière gingen. Fünf oder sechs Verkäuferinnen in schwarzen Seidenkleidern, sehr kokett frisiert, waren unter lebhaftem Geplauder bei ihrer Arbeit. Nur eine von ihnen, eine große, hagere Person mit übermäßig langgezogenem Kopf, stand wie erschöpft an einen Schrank gelehnt.

      »Wo finde ich Frau Aurélie?« fragte Denise abermals.

      Die Verkäuferin betrachtete sie, ohne zu antworten, voll offenkundiger Mißachtung für ihren ärmlichen Aufzug. Dann wandte sie sich an eine ihrer Kolleginnen, ein kleines, auffallend blasses Mädchen, und fragte:

      »Fräulein Marguerite, wissen Sie zufällig, wo die Direktrice ist?«

      Die Angesprochene war damit beschäftigt, Umhänge nach der Größe zu ordnen, und nahm sich kaum die Mühe aufzublicken.

      »Nein, Fräulein Claire, keine Ahnung«, meinte sie.

      Es entstand ein kurzes Stillschweigen. Denise stand regungslos da, und niemand kümmerte sich um sie. Nach einer Weile faßte sie sich ein Herz und fragte:

      »Glauben Sie, daß Frau Aurélie bald zurückkommt?«

      Nun rief ihr die Zweite, eine magere, häßliche Frau, die sie bisher nicht bemerkt hatte, eine Witwe mit vorspringendem Kinn und strähnigen Haaren, von einem Schrank aus, wo sie die Preisschilder nachsah, zu:

      »Warten Sie doch, wenn Sie durchaus mit Frau Aurélie persönlich sprechen müssen!«

      Denise wartete also. Es standen wohl einige Sessel für die Kunden herum; da man sie aber nicht aufforderte, Platz zu nehmen, wagte sie nicht, sich zu setzen. Die Verkäuferinnen hatten offenbar eine neue Kollegin in ihr gewittert und musterten sie wie Leute, die am Mittagstisch sitzen und nicht zusammenrücken wollen, um für hungrig Hinzukommende Platz zu machen. Denise geriet immer mehr in Verlegenheit, sie ging mit kleinen Schritten auf und ab und trat endlich an ein Fenster, um sich etwas Haltung zu geben. Sie sah gerade auf den »Vieil Elbeuf«. Mit dem abbröckelnden Verputz der Fassade und den blinden Schaufenstern erschien er ihr so häßlich, so trübselig im Vergleich mit dem Luxus und dem Leben, die sie hier um sich fühlte, daß etwas wie Gewissensbisse ihr das Herz vollends zusammenschnürte.

      »Haben Sie ihre Schuhe gesehen?« flüsterte hinter ihr Ciaire Marguerite zu.

      »Na, und erst das Kleid!« tuschelte die andere.

      Denise, die noch immer auf die Straße hinunterschaute, hatte das Gefühl, als ob sie von den haßerfüllten Blicken der Verkäuferinnen verschlungen würde. Allein sie verspürte deswegen keinen Zorn. Sie fand die Mädchen nicht hübsch, weder die lange Ciaire mit der roten Mähne noch Marguerite mit ihrem platten, fast knochenlosen Gesicht. Ciaire Prunaire, die Tochter eines Holzschuhmachers aus Vivet, war, nachdem sie durch die Hände aller Lakaien auf Schloß Mareuil gegangen war, wo sie als Näherin gearbeitet hatte, erst in ein Geschäft in Langres eingetreten und später nach Paris gekommen, wo sie an den Männern Rache nahm für alle Fußtritte, die sie zu Hause von Vater Prunaire erhalten hatte. Marguerite Vadon hinwiederum, in Grenoble geboren, wo ihre Familie ein kleines Leinengeschäft betrieb, war nach Paris geschickt worden, um die Folgen eines Fehltritts zu verbergen. Sie führte sich jetzt sehr brav auf und sollte bald in ihre Heimat zurückkehren und einen Vetter heiraten, der auf sie wartete.

      »Na«, brummte Ciaire vor sich hin, »die wird es bei uns auch nicht weit bringen.«

      Doch jetzt schwiegen sie; eine Frau von ungefähr fünfundvierzig Jahren trat ein. Es war Frau Aurélie, eine etwas üppige Dame, fest eingeschnürt in ihr schwarzes Seidenkleid, dessen Oberteil sich wie ein leuchtender Panzer über den massiven Rundungen der Schultern und des Busens spannte. Unter dichten schwarzen Brauen saßen große, starre Augen, der Mund war streng, die Wangen breit und schon ein wenig hängend. Die Würde einer Abteilungsleiterin gab ihrem Gesicht die Geschwollenheit einer Cäsarenmaske.

      »Fräulein Marguerite«, sagte sie mit gereizter Stimme, »warum haben Sie gestern das Modell des auf Taille gearbeiteten Mantels nicht ins Atelier zurückgebracht?«

      »Es ist noch einiges zu ändern«, erwiderte die Verkäuferin,

      »Frau Fréderic hat ihn hierbehalten.«

      Die


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