Das Paradies der Damen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.einige Schritte entfernt, jeder für sich.
Immer noch kamen Angestellte. Denise hörte sie ihre Spaße machen, wenn sie an ihr vorüberkamen und ihr einen Seitenblick zuwarfen. Sie wurde immer verlegener, das Ziel so vieler Blicke zu sein, und entschloß sich gerade, einen Spaziergang von einer halben Stunde durch das Stadtviertel zu machen, als der Anblick eines jungen Mannes, der raschen Schritts aus der Rue Port Mahon kam, sie einen Augenblick zurückhielt. Es mußte ein Abteilungsleiter sein, denn alle Angestellten grüßten ihn. Er war groß, die Haut zart und hell, der Bart sorgfältig gepflegt; seine Augen, die er im Vorbeigehen einen Moment auf ihr ruhen ließ, waren goldbraun und samtweich. Er war längst mit gleichgültiger Miene im Warenhaus verschwunden, als sie noch immer unbeweglich, wie gebannt von diesem Blick dastand, von einer seltsamen Erregung ergriffen, in der ein Gefühl des Unbehagens überwog. Wieder kam die Angst über sie; sie ging langsam die Rue Gaillon, dann die Rue Saint-Roch hinab in der Hoffnung, ihren Mut wiederzufinden.
Der junge Mann war mehr als ein Abteilungsleiter; es war Octave Mouret selbst. Er hatte die verflossene Nacht nicht geschlafen; nach einer Abendgesellschaft bei einem Wechselagenten war er mit einem Freund und zwei Frauen, die sie hinter den Kulissen eines kleinen Theaters aufgelesen hatten, noch essen gegangen. Sein zugeknöpfter Mantel verbarg den Frack und die weiße Krawatte. Er stieg rasch in seine Wohnung hinauf, um sich zu waschen und die Kleidung zu wechseln. Als er in sein Arbeitszimmer, das im Zwischenstock lag, zurückkehrte und an seinem Schreibtisch Platz nahm, war er wieder frisch, sein Blick war klar, er war völlig beim Geschäft, als habe er zehn Stunden in seinem Bett zugebracht. Das geräumige Arbeitszimmer hatte eichene, mit grünem Rips überzogene Möbel. Die einzige Zierde des Raumes war ein Bild: das Porträt jener Frau Hédouin, von der man im Stadtviertel noch immer sprach. Octave bewahrte ihr ein zärtliches Andenken und zeigte sich im Gedächtnis sehr dankbar dafür, daß sie ihm durch die Heirat ein Vermögen zugebracht hatte. Bevor er daran ging, die Wechsel zu unterschreiben, die auf seinem Tisch lagen, warf er auch jetzt ein Lächeln zu dem Bild empor, das Lächeln eines Glücklichen. Hier vor ihren Augen fand er sich immer wieder ein, um zu arbeiten, wenn er sich die Zerstreuungen eines jungen Witwers gegönnt hatte, wenn er aus den Schlafzimmern heraus war, in die er sich in seinem Bedürfnis nach Vergnügen verirrt hatte.
Es klopfte an die Tür. Ohne eine Antwort abzuwarten, trat ein junger Mann ein, groß und hager, mit schmalen Lippen, spitzer Nase, elegant gekleidet, die langen Haare, in denen schon einige graue Strähnen zu sehen waren, glatt nach hinten gestrichen. Mouret schaute einen Moment auf, dann sagte er, ohne seine Arbeit zu unterbrechen:
»Gut geschlafen, Bourdoncle?«
»Danke, sehr gut«, erwiderte der junge Mann, der mit vertraulicher Ungezwungenheit im Raum umherging.
Bourdoncle, Sohn eines armen Pächters aus der Umgebung von Limoges, war gleichzeitig mit Mouret im »Paradies der Damen« eingetreten zu einer Zeit, als das Geschäft noch kaum mehr als die Ecke der Place Gaillon einnahm. Sehr klug, sehr tätig, schien er damals ganz dazu angetan, seinen Kameraden zu verdrängen, der, weniger ernsthaft veranlagt, ständig mit Weibergeschichten zu tun hatte. Allein Bourdoncle hatte nicht den genialen Zug dieses leidenschaftlichen Provenzalen, es fehlte ihm dessen kühner Schwung, seine überwältigende Liebenswürdigkeit. Übrigens hatte er sich mit sicherem Instinkt vom ersten Augenblick an widerstandslos dem andern gebeugt. Als Mouret seinen Angestellten den Rat erteilt hatte, ihr Geld in seinem Geschäft anzulegen, hatte Bourdoncle als einer der ersten nachgegeben und ihm sogar eine Erbschaft anvertraut, die ihm von einer Tante unerwarteterweise zugefallen war. Und nachdem er alle Stufen emporgeklettert war, erst Verkäufer, dann Zweiter, schließlich Leiter der Seidenabteilung, war er schließlich einer der Stellvertreter des Inhabers geworden, der geschätzteste und angesehenste, einer der sechs Teilhaber, die den Chef in der Leitung des Hauses unterstützen, eine Art Ministerrat unter einem absoluten Herrscher. Jeder von ihnen überwachte ein Teilgebiet; Bourdoncle hatte die Oberaufsicht.
»Und wie haben Sie die Nacht zugebracht?« fragte er vertraulich.
Als Mouret ihm erwiderte, daß er gar nicht zu Bett gegangen sei, schüttelte er den Kopf und brummte:
»Sehr unvernünftige Lebensweise!«
»Wieso denn?« meinte der andere vergnügt. »Ich bin weniger müde als Sie. Sie haben vom Schlaf verklebte Augen; Sie werden ganz schwerfällig, wenn Sie allzu solide sind. Amüsieren Sie sich: das muntert die Gedanken auf.«
Sie stritten oft freundschaftlich über diesen Gegenstand. Bourdoncle hatte anfangs seine Geliebten geprügelt, weil sie, wie er sagte, ihn nicht schlafen ließen. Jetzt gestand er offen, daß er die Frauen hasse. Indessen hatte er sicherlich auswärts Zusammenkünfte, von denen er nicht sprechen wollte, so wenig berührten sie sein Inneres; er begnügte sich damit, im Geschäft die weiblichen Kunden auszubeuten, wobei er sich voller Verachtung über die Leichtfertigkeit ausließ, mit der sie ihr Geld für so manchen unnützen Tand vergeudeten. Mouret dagegen tat sehr entzückt, war in Gegenwart der Frauen stets verführerisch, liebenswürdig und fortwährend in neue Liebschaften verwickelt. Und diese Liebschaften waren gleichsam eine Reklame für sein Geschäft; man war versucht zu sagen, daß er das ganze schöne Geschlecht in einer einzigen Umarmung umfange, um es desto sicherer zu betören und sich dienstbar zu machen.
»Ich habe gestern auf dem Ball Frau Desforges gesehen«, fuhr er fort. »Sie war reizend.«
»Aber Sie haben nicht etwa anschließend mit ihr gegessen?« fragte sein Teilhaber.
»Wo denken Sie hin!« rief Mouret. »Sie ist viel zu anständig für so etwas, mein Lieber ... Nein, soupiert habe ich mit Héloise, der kleinen Schauspielerin aus den Folies. Sie ist dumm wie eine Gans, aber sehr drollig!«
Er nahm ein neues Bündel Wechsel zur Hand und fuhr fort zu unterschreiben. Unterdessen ging Bourdoncle im Zimmer auf und ab. Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick durch die hohen Fensterscheiben auf die Rue Neuve-Saint-Augustin; dann kam er zum Schreibtisch zurück und sagte:
»Sie werden sich rächen.«
»Wer denn?« fragte Mouret zerstreut.
»Nun, die Frauen.«
Diese Bemerkung versetzte Mouret erst recht in heitere Stimmung; er kehrte die Brutalität hervor, die sich unter all der Anbetung der Frauen verbarg. Verächtlich zuckte er die Achseln, um gleichsam damit auszudrücken, daß er sie wie leere Säcke abschütteln werde, sobald sie ihm zum Aufbau seines Vermögens verholfen hätten. Bourdoncle aber wiederholte eigensinnig:
»Sie werden sich rächen ... Es wird sich eine finden, die alle übrigen rächt; es ist ein Verhängnis mit den Frauen.«
»Da habe ich keine Angst!« rief Mouret. »Diese eine ist noch nicht geboren. Wenn sie kommt, wird sie an mir ihren Gegner finden.«
Sie schwiegen; man hörte nichts als das Gekritzel der Feder Mourets. Auf seine kurzen Fragen gab Bourdoncle dann Auskunft über den großen Sonderverkauf von Winterartikeln, der am nächsten Montag stattfinden sollte. Es war ein gewagtes Unterfangen, die ganze Existenz des Hauses stand dabei auf dem Spiel; die im Stadtviertel umlaufenden Gerüchte waren nicht unbegründet.
Mouret hatte sich mit dem Elan eines Künstlers in dieses Unternehmen gestürzt, mit einem solchen Aufwand, mit einer solchen Leidenschaft für das Kolossale, daß er auch heute noch, trotz seiner ersten Erfolge, seine Teilhaber zuweilen in Bestürzung versetzte. Man tadelte ihn im stillen, daß er allzu rasch vorgehe; man beschuldigte ihn, daß er in gefährlichem Maße das Lager erweitert habe, ohne noch zu wissen, woher er die zusätzliche Kundschaft nehmen sollte; insbesondere zitterte man, als man sah, daß er alles Geld auf eine Karte setzte, ganze Berge von Waren anhäufte, ohne Rücklagen zu behalten.
Doch als Bourdoncle sich jetzt erlaubte,