Keine Panik, ehrliche Spiegel altern immer mit!. Arno Backhaus

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Keine Panik, ehrliche Spiegel altern immer mit! - Arno Backhaus


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beliebtes Ausflugsziel, sodass die Zeit wie im Flug verging. Ich war immer traurig, wenn ich meinen Koffer packen musste, weil die Rückreise nach Kassel anstand.

      Kassel gehörte damals zur amerikanischen Besatzungszone. In der Nähe unseres Hauses waren amerikanische Soldaten einquartiert. Eine Diskothek und ein typisch amerikanischer Wohnblock mit großem Spielgelände befanden sich nur ein paar Straßen weiter.

      Im Lauf der Zeit freundete ich mich mit einem etwa gleichaltrigen afroamerikanischen Jungen an. Er konnte kein Deutsch, ich kein Englisch, aber wir kamen trotzdem ganz gut zurecht. Gemeinsam krochen wir in Kriegsruinen herum, erkundeten unterirdische Gänge und stöberten alte Grammofone und andere Hinterlassenschaften aus dem Krieg auf.

      Wann immer ich Langeweile hatte, machte ich Blödsinn. Deshalb wurde meinen Eltern schnell klar: Der Junge muss in einen Kindergarten, sonst nimmt er uns die Bude auseinander. Da landete ich dann auch – zumindest kurzzeitig. Ich muss den Kindergarten innerhalb weniger Wochen so aufgemischt haben, dass die Erzieherinnen meine Eltern schließlich baten, mich doch bis zur Schulpflicht zu Hause zu lassen.

      Das tat auf die Dauer niemandem gut: mir nicht und meinen Eltern ebenso wenig. Deshalb zählten wir alle die Tage bis zum Schulbeginn, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Ich selbst freute mich auf die Schule, dort würde ich sicher ganz viel lernen und entdecken.

      ENDLICH KAM DER GROßE MOMENT:

      Eines Sommermorgens saß ich gut angezogen und ordentlich gekämmt, mit meiner Schiefertafel im Gepäck, in der Kirchditmolder Volksschule. Es war meine persönliche Premiere im »Ernst des Lebens«-Zeitalter: Ich war mittendrin. Und das war wunderbar.

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      In den ersten Momenten war ich nur der siebenjährige Arno Backhaus. Aufgeregt und voller Erwartung. Wie alle anderen Schülerinnen und Schüler auch. Niemand wusste etwas von meinem AD(H)S, meine Eltern und ich eingeschlossen. Es war einer der wenigen Tage, an denen ich nicht mit einem Stempel auf der Stirn umhergelaufen bin. Da war alles noch neu und frisch. Was für ein wohltuender Moment.

      Dasselbe galt natürlich auch für meine Schulkameraden: Der spätere Lehrerliebling war vorerst einfach nur Fritz. Die spätere Heulsuse einfach nur Christiane und der spätere Klassenclown und Störenfried eben einfach nur Arno. Schade, dass uns Menschen diese Stempel, ob berechtigt oder nicht, so schnell aufgedrückt werden. Und dass sie so schwer wieder loszuwerden sind.

      Auch aus diesem Grund ist mir meine Beziehung zu Jesus Christus so wertvoll geworden. Denn er sieht wirklich den Arno und den Fritz und die Christiane und eben nicht die Heulsuse, den Lehrerliebling und den Störer. Er liebt uns brutto.

      Davon werden Sie in diesem Buch noch öfter lesen. Es ist eine Botschaft, die kaum zu fassen ist. Erst recht, wenn man ansonsten nur selten oder nie ein »Ich hab dich lieb« zu hören bekommt.

      Dabei müssen wir Menschen genau das immer wieder hören: verhaltensauffällige Kinder, gestresste Mamas, gescheiterte Unternehmer und scheinbare Stars ebenso wie Otto Normalverbraucher.

      In den ersten Tagen und Wochen war in der Schule alles neu und aufregend, und ich hatte gar keine Zeit, um mich zu langweilen oder den Unterricht zu stören. Aber das änderte sich schnell: Ich kam mit dem Schulsystem einfach nicht klar. Daran ist niemand schuld – es war einfach Gift für mich, den ganzen Vormittag in einer Schulbank still sitzen und mich mit dem beschäftigen zu müssen, was der Lehrer von vorne vorgab. Ich empfand es meistens als langweilig und sehr schwer auszuhalten.

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      Im Rückblick kann ich diese Erfahrungen fachlich einordnen: »In Zeiten, in denen wenig Interessantes geschieht, sind AD(H)S-Betroffene energetisch auf einem niedrigen Niveau und fühlen sich dabei unwohl. Dieses negative Gefühl verschwindet in dem Moment, wo wieder etwas los ist.«1

      Und solche Momente schaffte ich mir selbst: Ich störte, wo es nur ging – mal aggressiv, mal auf die komische Art. Ob im Unterricht oder in der Pause – ich betätigte mich im Klassenzimmer, auf dem Schulhof, im Treppenhaus und in der Turnhalle.

      Und damit hatte ich den Stempel, den ich zeit meines Schullebens nicht mehr loswurde (es waren eigentlich gleich mehrere): Arno, der Störenfried. Arno, der Klassenclown. Arno, der Gefürchtete. Arno, der Grenzüberschreiter.

      DASS MEIN VERHALTEN GANZ BESTIMMTE URSACHEN HATTE, WURDE MIR ERST VIEL SPÄTER BEWUSST:

      »Wie Arno sind viele AD(H)S-Betroffene […] unbewusst auf der Suche nach starken Reizen und ständig in Bewegung.«2

      imageDas hatte zur Folge, dass ich von anderen bewundert wurde. Wenigstens heimlich. Viele Klassenkameraden beneideten mich darum, dass ich einfach das tat, was sie sich nicht trauten. Trotzdem hatte ich keine Freunde, weil niemand so richtig etwas mit mir zu tun haben wollte. Ich war ein Einzelgänger auf der Suche nach Anerkennung.

      Als ich zum wiederholten Mal aus Showgründen meinen Schultornister unsere circa 30 Meter lange Schultreppe hinunterwarf, bekam ich nicht nur Probleme mit der Schulleitung, sondern auch mit meiner Mutter. Sie war nämlich nicht sehr erbaut davon, die dabei zu Bruch gegangenen Schulutensilien – wie beispielsweise meine Schiefertafel – ersetzen zu müssen.

      Meine Mitschüler waren begeistert. Zumindest aus der Ferne erntete ich einigen Applaus und bewundernde Blicke. Gleich im Anschluss musste ich jedoch die Konsequenzen meines Verhaltens auf mich nehmen. Der Strafenkatalog der Kirchditmolder Grundschule sah Folgendes vor: Entweder ich musste für den Rest der Stunde in der Ecke stehen oder ich wurde zum Müll-Aufsammeln auf dem Schulgelände verdonnert. Manchmal auch beides hintereinander.

      Unser Schulhof zählte damals zu den saubersten in der ganzen Region, so oft habe ich dort mit der Zange den Müll meiner Mitschülerinnen und Mitschüler weggeräumt. Natürlich musste ich auch öfter nachsitzen. D. h., wenn meine Klassenkameraden nach Unterrichtsschluss nach Hause durften, musste ich in anderen Klassen, die noch Unterricht hatten, bis zum Schluss bleiben.

      In meinem Zeugnis standen in den ersten vier Schuljahren unter »Bemerkungen« Sätze wie:

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      »Arno ist noch etwas verspielt und macht auch gern noch mal ein Schwätzchen.«

      »Arno kann sich nicht gut in die Gemeinschaft einordnen, er geht zuweilen wüst mit den Kindern um. Sein Fleiß hat sehr nachgelassen, er hat öfter die Aufgaben nicht gemacht, die Hefte sind nicht sehr ordentlich.«

      »Arno hat die letzten Wochen wieder in den Leistungen nachgelassen, die Schulaufgaben zuweilen nicht gemacht.«

      »Arno könnte bei mehr Fleiß mehr leisten. Arno stört den Unterricht, er fügt sich nicht der Schulzucht, […] er ist nicht unbegabt, nutzt aber leider seine Gaben nicht, sonst wären seine Leistungen bedeutend besser.«

      Irgendwie bekam ich die vier Grundschuljahre trotzdem ohne Ehrenrunde herum und wechselte dann auf die Realschule. Andere Kinder, andere Lehrer, doch die Sätze im Zeugnis blieben gleich. Schon in der fünften Klasse hieß es in den Bemerkungen meines Halbjahreszeugnisses: »Arnos Betragen gibt oft Anlass zu klagen.«

      Ein gereimter Satz auf Schuldeutsch, der im Kern nichts anderes aussagte als: »Arnos Verbleib in unserer Schule steht auf der Kippe.« Das beunruhigte mich wenig, meine Eltern aber umso mehr.

      Meine Schwester hat die Schule deutlich problemloser hinter sich gebracht. Bereits mit 15 Jahren ist sie nach Hamburg gezogen, um eine Ausbildung zur Krankenschwester zu beginnen. Daraufhin bekam ich endlich ein eigenes Zimmer, ein wunderbarer Rückzugsort. Aber die elterliche Aufmerksamkeit fokussierte sich gleichzeitig noch mehr auf mich und meine schulischen Leistungen.

      Noch in der fünften


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