Friede kehrt ein. Karin Ackermann-Stoletzky

Читать онлайн книгу.

Friede kehrt ein - Karin Ackermann-Stoletzky


Скачать книгу
er ist wirklich gekommen. Das war eine Aufregung in unserer Stadt! Alle redeten nur noch vom bevorstehenden Besuch des Kaisers. Ich weiß noch genau, dass die Leute wie verrückt damit beschäftigt waren, die Stadt herauszuputzen. Überall wurde gebaut und ausgebessert, Straßen neu gepflastert, Zäune frisch gestrichen und in den Gärten das kleinste Unkraut gejätet. Die Menschen dachten wohl, der Kaiser würde jedes Gemüsebeet und alle Hinterhöfe besichtigen.“ Opa lachte. „Die Gesangsvereine und Blaskapellen übten, was das Zeug hielt, um dem Kaiser ein Ständchen zu bringen. Mein Großvater putzte damals seine Stiefel so sehr, dass er sich in dem glänzenden Leder spiegeln konnte. Jedenfalls behauptete das meine Oma. Das ganze Städtchen wollte den besten Eindruck auf seinen hohen Herrn machen. Er sollte zufrieden mit seinem Volk sein. Meine Eltern hatten ja schon die Gärtnerei, die deinen Eltern jetzt gehört. Damals war sie noch nicht so groß, aber bei uns blühte alles in Hülle und Fülle, und die Leute kauften Blumen und Pflanzen, um ihre Häuser und Vorgärten zu schmücken. Vater machte ein sehr gutes Geschäft mit den Vorbereitungen auf den Kaiser und meine Tante Lene verkaufte in ihrem Textilgeschäft viele Meter Stoff, weil jeder Hausbesitzer eine Fahne aus seinem Fenster hängen wollte. Sogar die Straßen wurden mit Wasser besprengt, damit es nicht staubte. Der Sommer war nämlich besonders heiß und trocken. Du musst wissen, damals gab es noch keine Asphaltstraßen. Es gab auch noch fast keine Autos. S. M. kam mit einem Sonderzug der Eisenbahn.“

      „S. M.?“, fragte Ulrike.

      „Seine Majestät, der Kaiser. So sagte mein Großvater immer ganz respektvoll. Der hatte als Soldat für den ersten Wilhelm gekämpft und war darauf ganz stolz. Also: S. M. stieg vor dem festlich dekorierten Bahnhofsgebäude in eine Kutsche und fuhr ein paar Straßen weiter zum Marktplatz. Da war unsere neue Schule. Und da habe ich ihn dann gesehen.“

      „In echt? Wie sah der denn aus? Bestimmt groß und schön. Hatte er eine Krone aus Gold auf? Und einen weißen Pelzmantel an?“ Ulrike wollte alles ganz genau wissen.

      „Einen Hermelinmantel meinst du. Nein, er hatte eine blaue Uniform an wie die Offiziere, die bei ihm waren. Dass er der Kaiser war, sah ich nur daran, dass sich der Bürgermeister und alle Oberen der Stadt vor ihm verbeugten. Er trug auch keine Krone. Er war nicht mal groß und stattlich. Ich war enttäuscht, weil ich ihn mir so wie du vorgestellt hatte, so mit Glanz und Gloria und allem. Aber er war einfach ein vornehmer Herr mit einem gezwirbelten Schnurrbart wie ihn auch unser Nachbar trug. Sein linker Arm sah irgendwie seltsam aus, als wenn er zu kurz geraten wäre. Abends erzählte mir meine Mutter, dass der Kaiser einen gelähmten Arm hat, weil bei seiner Geburt etwas schiefgegangen war.“

      „Wie bei Jürgen von nebenan“, meinte Ulrike, „der ist deshalb auch behindert. Aber erzähl weiter, Opa.“

      Doch zuerst riss Opa ein Streichholz an und entzündete die vier Kerzen am Adventskranz. Warm schien das Licht durch die Stube, in der die beiden saßen und ganz in die Zeit vor vielen Jahrzehnten versunken waren.

      „Als dann die Blaskapelle spielte, drängte sich einfach ein dicker Mann vor mich und meine Mutter, und vorbei war es mit unserer Aussicht auf den Kaiser. Zur Einweihung der Schule gingen wir dann nicht mehr, meine Mutter musste wieder nach Hause zum Arbeiten, und mir war die festliche Stimmung ganz vergangen. Mein herrlicher Kaiser war ein ganz normaler Mensch. Einer mit einem verkrüppelten Arm. Für seine Behinderung konnte er natürlich nichts, aber wenigstens eine Krone oder ein Zepter hätte er doch tragen können! Er sah so ähnlich aus wie der Direktor des Gymnasiums, der neben uns wohnte. Und für den Empfang dieses Mannes hatte sich die ganze Stadt seit Wochen auf den Kopf gestellt und abgerackert! Ich glaube, ich habe sogar geheult vor lauter Enttäuschung.“

      Ulrike schaute Opa an. „Aber bei Jesus war das ganz anders!“

      „Wie kommst du jetzt auf Jesus?“

      „Die Leute haben ihn überhaupt nicht erwartet und auch nicht erkannt, als er kam. Ein Kaiser war er nicht, aber ein König, das war er.“ Ulrike sah versonnen auf die Kerzen. „Nicht mal der König Herodes hat sich auf ihn vorbereitet und sein Schloss geschmückt oder Blumen gepflanzt oder Fahnen aufgehängt. Als die Weisen aus dem Morgenland zu ihm kamen, hatte er von nichts eine Ahnung gehabt.“

      „Du kennst dich ja gut aus, Kind!“ Opa staunte. „Red mal weiter. Jetzt bist du dran mit Erzählen.“

      Ulrike setzte sich im Sessel auf. „Herodes musste erst seine Ratgeber fragen, ob sie was davon wissen, dass irgendwo ein neuer König geboren worden ist. Die haben dann nachgeguckt und tatsächlich in der Bibel eine Stelle gefunden, dass der König aus Bethlehem kommen wird. Aber Herodes ist da nicht hingegangen, um den König zu empfangen, weil er ihn nämlich gar nicht haben wollte. Er dachte: Hier gibt es nur einen König – und das bin ich! Wozu brauchen wir einen anderen? Seine Soldaten mussten alle kleinen Jungen in Bethlehem und Umgebung umbringen, damit Jesus ihm nicht gefährlich werden konnte, wenn der mal groß sein würde. Aber da waren Maria und Josef schon mit dem kleinen Jesus nach Ägypten geflüchtet. Opa, glaubst du, dass Jesus dem Herodes das Schloss und alle Schätze wegnehmen wollte?“

      „Nein, Kind. Jesus wollte etwas ganz anderes. Das siehst du schon daran, dass er, der doch der Sohn von Gott war, als Baby zur Welt kam, klein, ganz unscheinbar und armselig. Denk nur an die Futterkrippe. Die Reichtümer und alles, um das Herodes Angst hatte, interessierten ihn gar nicht. Jesus wollte, dass die Menschen wieder auf Gott hören und ihn zum König ihres Lebens machen. Sie sollten nicht bloß ihre Straßen kehren und ihre Häuser renovieren, sondern in ihren Herzen aufräumen.“

      Ulrike seufzte. Aufräumen war nicht ihre Stärke und sie hörte das Wort gar nicht gern.

      „Aufräumen ist blöd, Opa. Kaum ist man fertig, schon ist die Unordnung wieder da. Da kann ich doch gleich alles so lassen, wie es ist.“

      „Dein Zimmer meine ich jetzt nicht, Ulrike. Wir müssen aus unserem Inneren den ganzen Müll rauswerfen und alles in Ordnung bringen, was Gott nicht gefällt. Weil wir das alleine nicht können, hilft uns Jesus dabei. Das ist so ähnlich, als wenn der Kaiser damals selbst bei den Vorbereitungen für seinen Besuch mitgeholfen hätte. Unvorstellbar, aber bei Jesus ist das so, weil er ganz anders ist als alle Kaiser und Könige. Wer ihm sein Leben anvertraut, dem hilft er beim Saubermachen und Aufräumen innen drin. Das nennt man Vergebung. Jesus nimmt allen Zorn und Streit und alle Rechthaberei weg und was ein Mensch noch so alles bei sich findet, was nicht gut ist.“

      Opa stand auf, ging zum Schreibtisch und zog die unterste Schublade auf. Dann stand er einige Zeit davor und blickte hinein. Schließlich nahm er den Brief heraus, wog ihn in der Hand und sagte schließlich zu Ulrike: „Geh du jetzt mal in dein Zimmer rauf und räum auf. Deine Mutter wird sich freuen, und du findest dann deine Sachen wieder besser. Ich gehe zu Onkel Richard und bringe auch etwas in Ordnung. Eigentlich wollte ich heute noch den Weihnachtsbaum in den Ständer einpassen, aber ein Gespräch mit Onkel Richard ist jetzt wichtiger.“

      So kam es, dass Ulrikes Zimmer am Weihnachtsmorgen in schönster Ordnung erstrahlte. Aber das Strahlen auf den Gesichtern der ganzen Familie war noch schöner, weil Opa sich endlich mit Onkel Richard versöhnt hatte. Nun prosteten sich die beiden fröhlich über der Weihnachtsgans zu und stießen auf den längst verstorbenen Kaiser an.

      „Hoch lebe Seine Majestät!“, rief Onkel Richard in die Runde. Opa stand auf, erhob sein Weinglas und erwiderte: „Und hoch lebe Jesus, unser König. Er ist der Größte!“

      von Monika Büchel

      Ich genoss die Ruhe, den sanften Wind und die salzhaltige Luft am frühen Morgen auf dem Deck des Kreuzfahrtschiffes und rekelte mich zufrieden im Liegestuhl, fest in eine dicke Decke gehüllt. Über mir die Sterne, die mehr und mehr verblassten. Unter mir die endlose Tiefe des Atlantiks. Es war der 23. Dezember.

      Genau so hatte ich mir meinen Weihnachtsurlaub vorgestellt: keine Verpflichtungen, keine Anrufe, keine Festtagsvorbereitungen. Einfach nur Ruhe und Frieden. Und Weihnachten mal ganz anders feiern: allein, ohne eine Menschenseele, die was von mir wollte.

      Die letzte Woche hatte ich Frühdienst im Krankenhaus und meine innere Uhr war noch auf das zeitige Aufstehen eingestellt. Deshalb


Скачать книгу