Dombey und Sohn. Charles Dickens

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Dombey und Sohn - Charles Dickens


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Wüsten und andern verlassenen Plätzen, wohin aller Wahrscheinlichkeit nach gewiß nie jemand zum Lesen kam, die Namen ihrer Gebieterinnen dem Gestein oder den Baumrinden anvertrauten, so rümpfte Miß Susanne Nipper ihre Mopsnase in Schubladen oder Kleiderkästen, warf verächtliche Schielblicke in Wandkästen, sandte ihr spottendes Blinzeln in steinerne Krüge und schimpfte aus Leibeskräften draußen auf dem Flurplatz.

      Die beiden anstößigen Personen aber, die sich hinsichtlich der Gefühle der jungen Dame in glücklicher Unwissenheit befanden, sahen zu, wie der kleine Paul wohlbehalten alle Stadien des Entkleidens, Entlüftens, des Nachtessens und des Zubettgebrachtwerdens durchmachte; worauf sie sich vor dem Feuer zum Tee niedersetzten. Infolge der guten Dienste, die Polly geleistet hatte, schliefen jetzt die beiden Kinder in einem Zimmer, und erst als die Damen an ihrem Teetisch beisammensaßen, fügte es sich, als sie zufällig nach den kleinen Betten hinübersahen, daß sie an Florence dachten.

      »Wie gesund sie schläft!« sagte Miß Tox.

      »Na, Ihr wißt ja, meine Liebe«, entgegnete Mrs. Chick, »daß sie sich den ganzen Tag über viel Bewegung macht und um den kleinen Paul herumspielt.«

      »Sie ist ein artiges Kind«, sagte Miß Tox.

      »Meine Liebe«, erwiderte Mrs. Chick in gedämpfter Stimme, »ganz und gar ihre Mama!«

      »Wirklich!« sagte Miß Tox. »Ach du mein Himmel!«

      Miß Tox hatte das im Tone des außerordentlichsten Mitleids gesprochen; obgleich sie keine bestimmte Idee von dem Grunde hatte, sondern sich nur etwa dachte, daß das von ihr erwartet werde.

      »Florence wird nie, nie und nimmermehr eine Dombey sein«, sagte Mrs. Chick, »und wenn sie tausend Jahre alt würde.«

      Miß Tox zog ihre Augenbrauen empor und machte abermals eine Miene des Bedauerns.

      »Ich härme mich unaufhörlich ab um ihretwillen«, fuhr Mrs. Chick mit einem Seufzer bescheidenen Verdienstes fort. »Wahrhaftig, ich sehe nicht ein, was aus ihr werden soll, oder welche Stellung sie einnehmen kann, wenn sie älter wird. Ihren Papa weiß sie gar nicht für sich zu gewinnen. Und wie ließe sich das auch erwarten, da sie den Dombeys so ganz unähnlich ist?«

      Miß Tox machte ein Gesicht, als sehe sie durchaus kein Mittel, einem so zwingenden Argumente auszuweichen.

      »Und das Kind, seht Ihr«, nahm Mrs. Chick im Tone besonderen Vertrauens wieder auf, »hat ganz die Natur der armen lieben Fanny. Ich stehe dafür, sie wird in ihrem ganzen spätern Leben nie eine Anstrengung machen. Nie! Sie wird es nicht versuchen, sich um das Herz ihres Papas zu schlingen und zu winden, wie –«

      »Wie der Efeu«, ergänzte Miß Tox.

      »Wie der Efeu«, pflichtete Mrs. Chick bei. »Nie! Sie wird nie hineinschlüpfen und sich ein Nestchen bauen in dem Busen der väterlichen Liebe, wie das –«

      »Wie das aufgeschreckte Reh?« ergänzte Miß Tox.

      »Wie das aufgeschreckte Reh«, sagte Mrs. Chick. »Nie! Die arme Fanny! Und doch, wie lieb ist sie mir gewesen!«

      »Ihr müßt Euch nicht selbst betrüben, meine Liebe«, tröstete Miß Tox im Tone der Beschwichtigung. »In der Tat habt Ihr viel zu viel Gefühl.«

      »Wir haben alle unsere Schwächen«, versetzte Mrs. Chick weinend und den Kopf schüttelnd, »das darf ich wohl sagen. Ich bin nie blind gegen die ihrigen gewesen und habe das auch nie behauptet. Gerade im Gegenteil. Und doch, wie sehr liebte ich sie!«

      Welche Beruhigung war es für Mrs. Chick – eine ganz gewöhnliche, törichte Person, gegen die ihre Schwägerin ein wahrer Engel von weiblicher Einsicht und Zartheit gewesen – das Andenken dieser Dame zu patronisieren und dabei zärtlich zu tun, geradeso, wie sie es bei Lebzeiten der Lady getan hatte. Dabei setzte sie vollkommenen Glauben in sich, lobte sich und tat sich auf das Übermaß ihrer Duldung ungemein zugute! In wie hohem Grade lieblich muß die Tugend der Duldsamkeit sein, wo wir recht haben, wenn sie schon im entgegengesetzten Falle und unter Umständen so angenehm wirkt, wo man sich durchaus nicht erklären kann, wie wir zu dem Vorrecht, sie zu üben, gekommen sind.

      Mrs. Chick trocknete sich noch die Augen und schüttelte den Kopf, als sich Richards die Freiheit nahm, ihr anzudeuten, daß Miß Florence wache und in ihrem Bette aufrecht sitze. Sie hatte sich, wie die Amme sagte, erhoben, und die Wimpern ihrer Augen waren naß von Tränen. Aber niemand sah sie glänzen, als Polly. Niemand anders beugte sich zu ihr hin, um ihr beruhigende Worte zuzuflüstern, oder war nahe genug, um das laute Klopfen ihres Herzens zu hören.

      »O, liebe Wärterin«, sagte das Kind angelegentlich zu ihrem Gesicht aufblickend, »laßt mich bei meinem Bruder liegen!«

      »Warum, mein Schätzchen?« fragte Richards.

      »O, ich denke, er liebt mich«, rief das Kind ungestüm. »Laßt mich bei ihm liegen. Ich bitte, tut es!«

      Mrs. Chick legte sich mit einigen mütterlichen Worten ins Mittel und sprach davon, die Kleine solle schlafen wie ein liebes Kind; aber Florence wiederholte ihre Bitte mit erschreckter Miene und mit einer durch Schluchzen und Tränen unterbrochenen Stimme.

      »Ich will ihn gewiß nicht aufwecken«, sagt sie, indem sie ihr Gesicht bedeckte und ihr Köpfchen hängen ließ. »Ich will ihn gern nur mit der Hand berühren und schlafen. O ich bitte, bitte, laßt mich heute nacht bei meinem Bruder liegen, denn ich glaube, daß er mich liebt.«

      Richards nahm sie, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, heraus, trug sie nach dem Bettchen, in welchem das Knäbchen schlief, und legte sie an seiner Seite nieder. Sie schmiegte sich so nahe an Paul an, als sie nur konnte, ohne seine Ruhe zu stören, streckte einen ihrer Arme so aus, daß er schüchtern seinen Hals umschlang, verbarg ihr Gesicht mit dem andern, über den das feuchte wirre Haar lose niederfiel, und blieb regungslos liegen.

      »Das arme Ding«, sagte Miß Tox. »Wahrscheinlich hat sie geträumt.«

      Dieser unbedeutende Vorfall hatte den Faden der Unterhaltung so sehr unterbrochen, daß es schwer wurde ihn wieder aufzunehmen. Außerdem fühlte sich Mrs. Chick von der Betrachtung ihres eigenen toleranten Wesens so angegriffen, daß sie durchaus nicht bei Stimmung war. Die beiden Freundinnen tummelten sich daher, um mit ihrem Tee zu Ende zu kommen, und dann wurde ein Diener abgesandt, um für Miß Tox eine Mietkutsche herbeizuholen. Miß Tox hatte in Betracht der Mietkutsche große Erfahrung, und ihr Fortkommen brauchte in der Regel einige Zeit, da sie umfangreiche Vorbereitungsmaßregeln traf.

      »Wenn ich bitten darf, Towlinson«, sagte Miß Tox, »habt vor allem die Güte, Feder und Tinte herauszuholen und die Nummer deutlich niederzuschreiben.«

      »Ja, Miß«, versetzte Towlinson.

      »Dann möcht' ich Euch auch um die Gefälligkeit bitten, Towlinson«, fuhr Miß Tox fort, »das Polster umzudrehen. Es ist in der Regel feucht, meine Liebe«, fügte sie, sich nach Mrs. Chick umdrehend, hinzu.

      »Ja, Miß«, versetzte Towlinson.

      »Auch möchte ich Euch, wenn Ihr die Güte haben wollt, Towlinson, mit dieser Karte und diesem Schilling bemühen«, sagte Miß Tox. »Er soll nach der auf dieser Karte angegebenen Adresse fahren, und es versteht sich von selbst, daß er um keinen Preis mehr als den Schilling erhält.«

      »Nein, Miß«, versetzte Towlinson.

      »Und – es tut mir leid, Euch so viele Mühe zu machen, Towlinson« – sagte Miß Tor, sinnend nach ihm hinschauend.

      »Ist durchaus nicht nötig, Miß«, versetzte Towlinson.

      »So habt denn die Güte, Towlinson, dem Mann zu sagen«, sagte Miß Tor, »daß der Onkel der Dame eine Magistratsperson sei und er schrecklich bestraft werde, wenn er ihr mit einer von seinen Unverschämtheiten kommt. Wenn Ihr so gut sein wollt, könnt Ihr so tun, als sagtet Ihr ihm das bloß in freundschaftlicher Weise und weil Ihr wüßtet, daß es einem andern Manne, der jetzt zu den Toten zählt, so ergangen sei.«

      »Soll nicht fehlen, Miß«, versetzte Towlinson.

      »Und nun gute Nacht,


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