Dombey und Sohn. Charles Dickens

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Dombey und Sohn - Charles Dickens


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einen Stuhl in die Nähe des leeren Glases und setzte sich hinter diesem nieder. Dieser Gast wurde gewöhnlich mit Kapitän angeredet; er war Lotse, Schiffer oder Kapermatrose gewesen, hatte vielleicht gar in allen diesen drei Eigenschaften gedient und sah in der Tat ganz wie ein Seemann aus.

      Sein Gesicht, das sich durch eine merkwürdige braune Solidität auszeichnete, klärte sich auf, als er dem Neffen die Hand reichte; er schien übrigens von sehr lakonischer Art zu sein, da er bloß sagte:

      »Wie geht's?«

      »Alles gut«, versetzte Mr. Gills, indem er ihm die Flasche zuschob.

      Er nahm sie auf, betrachtete sie, roch daran und sagte mit einem außerordentlichen Ausdruck:

      »Der

      »Der«, entgegnete der Instrumentenmacher.

      Hierauf füllte er pfeifend sein Glas und schien zu denken, daß sie sich heute tatsächlich einen Feiertag machten.

      »Wal'r«, sagte er, indem er sich das dünne Haar mit dem Haken zurecht strich und dann auf den Instrumentenmacher deutete, »seht ihn an! Lieben – ehren – und gehorchen! Schlagt in Eurem Katechismus nach, bis Ihr diese Stelle findet, und wenn Ihr sie gefunden habt, knickt die Ecke um. Gut Glück, mein Junge!«

      Er war mit seiner Zitation sowohl, als mit der Anwendung derselben so sehr zufrieden, daß er sich nicht versagen konnte, mit gedämpfter Stimme die Worte zu wiederholen und dabei zu bemerken, »er habe sie schon seit vierzig Jahren vergessen gehabt.«

      »Aber ich habe nie in meinem Leben zwei oder drei Worte gebraucht, ohne daß ich wußte, wo ich sie fassen sollte, Gills«, bemerkte er. »Es kommt eben daher, daß ich meine Reden nicht verschwende, wie manche es tun.«

      Die Erwägung erinnerte ihn vielleicht daran, daß es besser sei, gleich dem Vater des jungen Norvall »seinen Vorrat zu vergrößern.« Jedenfalls wurde er jetzt schweigsam, und blieb es, bis der alte Sol in den Laden hinausging, um dort die Lichter anzuzünden. Da wandte er sich an Walter und sagte ohne irgendeine einleitende Bemerkung:

      »Ich glaube, er könnte auch eine Turmuhr machen, wenn er es versuchte?«

      »Es sollte mich nicht wundern, Kapitän Cuttle«, entgegnete der Knabe.

      »Und sie würde gehen!« sagte der Kapitän Cuttle, mit seinem Haken eine Art Schlange in die Luft beschreibend. »Herr, wie diese Uhr gehen würde!«

      Für einige Augenblicke schien er ganz in der Betrachtung der Bewegung dieses idealen Zeitmessers vertieft zu sein und sah dabei den Knaben an, als ob dessen Gesicht das Zifferblatt wäre.

      »Er besitzt ein überaus großes Wissen«, bemerkte er, seinen Haken gegen die Ladenvorräte schwenkend. »Schaut nur her! Eine ganze Sammlung davon. Erde, Luft oder Wasser. Es ist alles das gleiche. Ihr braucht bloß zu sagen, was Ihr haben wollt. Hinauf in einem Ballon? Steht zu Diensten. Nieder in einer Taucherglocke? Steht zu Diensten. Wollt Ihr das Gewicht des Polarsterns in einer Wagschale untersuchen? Er wird es für Euch besorgen.«

      Aus diesen Bemerkungen kann man entnehmen, daß Kapitän Cuttles Verehrung vor dem Instrumentenvorrat sehr groß war, daß aber seine Philosophie nicht so weit reichte, um sich den Unterschied des Verkaufens und des Erfindens derselben genau zu vergegenwärtigen.

      »Ah«, sagte er mit einem Seufzer, »es ist was Schönes, wenn man es versteht. Und doch ist es auch was Schönes, wenn man es nicht versteht. Ich weiß kaum, welches von beiden das Beste ist. Es wird einem so behaglich, wenn man dasitzt und fühlt, daß man gewogen, gemessen, magnifiert, elektrisiert, polarisiert und wie das Teufelszeug sonst heißen mag, werden kann, ohne daß man weiß wie.«

      Nichts Geringeres als der herrliche Madeira in Verbindung mit der Gelegenheit, die so gut dazu paßte, Walters Geist zu erleuchten und zu erweitern, wäre je imstande gewesen, die Zunge des alten Gentleman zu einem so wunderbaren Redeerguß zu lösen. Er schien selbst erstaunt zu sein über die Art, in der sich seine Lippen öffneten, um die Quellen des stummen Entzückens zu rühmen, die sich bei Gelegenheit von Sonntagsmahlzeiten seit zehn Jahren in diesem Stübchen für ihn ergossen hatten. Er fühlte, daß er mit der zunehmenden Weisheit auch schwermütiger wurde, und schwieg fortan in tiefem Nachsinnen.

      »Na«, rief der zurückkehrende Gegenstand seiner Bewunderung, »ehe wir zum Grog schreiten, Ned, müssen wir die Flasche zu Ende bringen.«

      »Ich halte mit«, sagte Ned, sein Glas füllend: »gebt dem Burschen auch noch etwas.«

      »Nicht mehr – ich danke, Onkel!«

      »Ja, ja, noch ein bißchen«, sagte Sol. »Wir leeren die Flasche auf das Haus, Ned – auf Walters Haus. Warum könnte es nicht eines Tages wenigstens teilweise seins werden? Wer weiß! Sir Richard Whittington heiratete die Tochter seines Prinzipals.«

      »›Kehrum, Whittington, Lord-Mayor von London, und wenn du alt bist, wirst du nie mehr draus weichen‹«, fiel der Kapitän ein. »Wal'r, lies das Buch, mein Junge.«

      »Und obgleich Mr. Dombey keine Tochter hat,« begann Sol –

      »Ja, ja, er hat eine, Onkel«, sagte der Knabe lachend und errötete.

      »Wirklich?« rief der alte Mann. »In der Tat, ich glaube, du hast recht.«

      »O, ich weiß es gewiß«, sagte der Knabe. »Man hat heut' im Bureau davon gesprochen. Auch sagt man, Onkel und Kapitän Cuttle«, er dämpfte dabei seine Stimme – »daß er eine Abneigung gegen sie habe und daß sie unbeachtet bei dem Gesinde aufwachse; sein Sinn sei so ganz und gar von dem Sohn, den er jetzt im Haus habe, in Anspruch genommen, daß er, obschon dieser noch ein Säugling sei, die Bilanzen weit öfter ziehe, als früher – daß die Bücher weit strenger geprüft würden, und daß man ihn schon gesehn habe (freilich ohne daß er es merkte), wie er nach dem Hafen ging, um seine Schiffe, sein Eigentum und all dies zu betrachten, als freue er sich über das, was er und sein Sohn zusammen besitzen werden. So sagt man – ich kann das natürlich nicht beurteilen.«

      »Ihr seht, er weiß schon alles von ihr«, sagte der Instrumentenmacher.

      »Aber ich bitte dich, Onkel«, rief der Junge noch immer in knabenhaftem Erröten und Lachen. »Ich muß es doch wohl hören, wenn man mir etwas erzählt?«

      »Ich fürchte, Ned, der Sohn ist uns zurzeit ein wenig im Weg«, sagte der alte Mann, den Scherz heiter weiter verfolgend.

      »Und ob!« versetzte der Kapitän.

      »Trotzdem wollen wir auf sein Wohl trinken«, fuhr Sol fort. »Es gilt also für Dombey und Sohn!«

      »O, ganz schön, Onkel«, rief der Knabe lustig. »Und weil Ihr das Mädchen erwähntet und mich mit ihr in Verbindung gebracht habt, indem Ihr sagtet, daß ich alles von ihr wisse, so will ich mir erlauben, den Toast zu verbessern. Dombey und Sohn – und Tochter!«

      Der kleine Paul, der von dem Blute der Toodles keinen Unglimpf erlitt, wurde mit jedem Tage stärker und kräftiger. Auch hätschelte ihn Miß Tox mit jedem Tage immer leidenschaftlicher, so daß schließlich Mr. Dombey ihre Anhänglichkeit an das Kind einigermaßen zu würdigen begann. Er sah sie nämlich allmählich als Frauensperson von gutem natürlichen Verstand an, deren Gefühle ihr Ehre machten und wohl eine Aufmunterung verdienten. Er ging sogar in seiner Herablassung so weit, daß er sich bei verschiedenen Anlässen nicht nur in ganz besonderer Weise gegen sie verneigte, sondern auch seine Schwester mit manchen stattlichen Grüßen an sie beauftragte. Zum Beispiel sagte er ihr: »Ich bitte dich, deiner Freundin, Louisa, zu bemerken, daß sie sehr gütig ist«, oder »sage Miß Tox, Louisa, daß ich ihr sehr zu Dank verpflichtet bin«, – Besonderheiten, die auf die in solcher Weise ausgezeichnete Dame einen tiefen Eindruck machten.

      Miß Tox pflegte Mrs. Chick oft zu versichern, daß »ihr nichts über die Teilnahme an allem gehe, was mit der Entwicklung dieses süßen Kindes im Zusammenhang stünde«, und wer Miß Tox genauer beobachtete, mußte aus ihrer Art sich zu geben selbstverständlich diesen Schluß ziehen,


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