David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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Zu­fall be­fes­tig­te das ver­trau­li­che Ver­hält­nis zwi­schen Steer­forth und mir in ei­ner Wei­se, die mich mit Be­frie­di­gung und Stolz er­füll­te, wenn es auch man­cher­lei Be­schwer­lich­keit mit sich brach­te. Als er mir näm­lich ein­mal die Ehre er­wies, auf dem Spiel­platz mit mir zu spre­chen, ge­sch­ah es, dass ich die Be­mer­kung wag­te, ir­gend­je­mand oder et­was pas­se auf »Pe­re­gri­ne Pick­le«. Er sag­te nichts; aber als wir zu Bett gin­gen, frag­te er mich, ob ich das Buch be­sä­ße. Ich sag­te nein und er­zähl­te ihm, wie­so ich es ge­le­sen, und er­wähn­te auch die an­de­ren Bü­cher.

      »Und er­in­nerst du dich noch auf al­les?« frag­te Steer­forth.

      »O ja«, gab ich zur Ant­wort. Ich hät­te ein gu­tes Ge­dächt­nis und glaub­te, noch al­les fast aus­wen­dig zu wis­sen.

      »Ich will dir et­was sa­gen, klei­ner Cop­per­field«, mein­te Steer­forth dar­auf­hin, »du kannst sie mir er­zäh­len. Ich mag abends so­wie­so nicht so bald zu Bett ge­hen und wa­che ge­wöhn­lich zu früh auf. Wir wol­len sie alle nach­ein­an­der durch­ge­hen. Wir wer­den re­gel­mä­ßi­ge ara­bi­sche Näch­te ein­füh­ren.«

      Ich fühl­te mich au­ßer­or­dent­lich ge­schmei­chelt, und wir fin­gen noch am sel­ben Abend an. Wel­che Sün­den ich im Ver­lauf mei­ner Er­zäh­lun­gen an mei­nen Lieb­lings­dich­tern be­ging, weiß ich nicht mehr, aber ich hat­te einen un­er­schüt­ter­li­chen Glau­ben an sie und eine ein­fa­che Art, zu er­zäh­len, und da­mit ka­men wir recht weit. Die Kehr­sei­te der Me­dail­le war nur, dass ich mich abends oft schläf­rig oder ver­stimmt oder nicht auf­ge­legt fühl­te, die Ge­schich­te fort­zu­set­zen, und dann kos­te­te es ein schwe­res Stück Ar­beit. Aber es muss­te ge­sche­hen.

      Steer­forths Er­war­tung zu täu­schen oder ihm die Freu­de zu ver­der­ben, ging na­tür­lich nicht an. Auch früh, wenn ich gern noch eine Stun­de ge­schlum­mert hät­te, war es recht fad, wie die Sul­ta­nin Sche­herazade auf­ge­weckt und zum Er­zäh­len ei­ner lan­gen Ge­schich­te ge­zwun­gen zu wer­den, ehe die große Schul­glo­cke läu­te­te. Aber Steer­forth be­stand dar­auf, und da er mir da­für bei mei­nen Re­chen­auf­ga­ben und Auf­sät­zen half, wenn sie zu schwer wa­ren, ver­lor ich nichts bei dem Ge­schäft. Ich muss ge­recht sein, es be­weg­te mich kein selbst­süch­ti­ges Mo­tiv und auch nicht Furcht vor ihm. Ich be­wun­der­te und lieb­te ihn; sein Bei­fall war mir ge­nug.

      Steer­forth konn­te auch für­sorg­lich für mich sein und be­wies das bei ei­ner Ge­le­gen­heit auf so hals­star­ri­ge Art, dass er dem ar­men Tradd­les und den üb­ri­gen da­mit Tan­ta­lus­qua­len be­rei­te­te. Peg­got­tys ver­spro­che­ner kost­ba­rer Brief kam an, ehe noch ei­ni­ge Wo­chen des Se­mes­ters ver­stri­chen wa­ren und mit ihm ein Ku­chen in ei­nem wah­ren Nest von Oran­gen und zwei Fla­schen Obst­wein da­bei. Die­se Schät­ze leg­te ich pflicht­ge­mäß Steer­forth zu Fü­ßen und bat ihn, sie zu ver­tei­len.

      »Ich will dir was sa­gen, klei­ner Cop­per­field«, mein­te er. »Der Wein wird auf­ge­ho­ben, um dir die Zun­ge an­zu­feuch­ten, wenn du Ge­schich­ten er­zählst.«

      Ich wur­de rot und bat ihn be­schei­den, doch nicht dar­an zu den­ken. Aber er mein­te, ich wür­de manch­mal et­was hei­ser und je­der Trop­fen müs­se für mich blei­ben. Also schloss er den Wein in sei­nen Kof­fer und lab­te mich mit ihm ver­mit­telst ei­ner im Kork an­ge­brach­ten Fe­der­spu­le, wenn ich sei­ner Mei­nung nach ei­ner Er­fri­schung be­durf­te. Zu­wei­len war er so gü­tig und press­te Po­me­ran­zen­saft hin­ein, um den Saft zu ver­bes­sern, rühr­te Ing­wer hin­ein, oder lös­te ein Pfef­fer­minz­zelt­chen dar­in auf. Ob­wohl ich nicht be­haup­ten kann, dass das Ge­tränk da­durch we­sent­lich bes­ser wur­de oder abends vor dem Ein­schla­fen und früh nüch­tern ge­nos­sen be­son­ders ma­gen­stär­kend ge­we­sen wäre, trank ich es doch dank­bar und war ge­rührt von Steer­forths Auf­merk­sam­keit.

      Wir hat­ten wohl wo­chen­lang mit Pe­re­gri­ne Pick­le und meh­re­re Mo­na­te mit den an­de­ren Ge­schich­ten zu­ge­bracht. Man­gel an Stoff trat nie ein, und der Wein hielt fast so lan­ge an wie der Stoff. Der arme Tradd­les, ich kann nie an die­sen Jun­gen den­ken, ohne Trä­nen in den Au­gen und zu­gleich eine ko­mi­sche Nei­gung zu la­chen, wirk­te ge­wöhn­lich ver­stär­kend wie ein Chor und tat bei den lus­ti­gen Stel­len, als ob er sich vor Hei­ter­keit nicht las­sen könn­te und bei den be­un­ru­hi­gen­den, als ob er ganz vor Angst ver­gin­ge. Das brach­te mich manch­mal ganz aus der Fas­sung. Es mach­te ihm einen Haupt­spaß, mit den Zäh­nen zu klap­pern, so­bald in den Aben­teu­ern des Gil Blas von Al­gua­zil die Rede war, und ich er­in­ne­re mich, dass der Arme, als Gil Blas dem Räu­ber­haupt­mann in Ma­drid be­geg­ne­te, die Rol­le des töd­lich Ent­setz­ten so leb­haft spiel­te, dass ihn Mr. Cre­akle, der auf den Gän­gen her­um­lau­er­te, hör­te und we­gen Stö­rung im Schlaf­zim­mer am an­de­ren Mor­gen or­dent­lich durch­wichs­te. Was an Nei­gung zum Ro­man­ti­schen und Träu­me­ri­schen in mir lag, wur­de durch die­ses Er­zäh­len im Dun­keln sehr ge­stärkt, und in die­ser Hin­sicht mag es nicht be­son­ders von Vor­teil für mich ge­we­sen sein. Aber das Ge­fühl, dass ich im Schlaf­saal wie eine Art Spiel­zeug be­han­delt wur­de, und das Be­wusst­sein, auch bei den an­de­ren Kna­ben mei­ner Fä­hig­kei­ten we­gen ein ge­wis­ses An­se­hen zu ge­nie­ßen, trotz­dem ich der Jüngs­te war, mun­ter­te mich sehr auf.

      In ei­ner Schu­le, die von blo­ßer Grau­sam­keit be­herrscht wird, wird nie viel ge­lernt, ob ihr jetzt ein Dumm­kopf vor­steht oder nicht. Ich glau­be, un­se­re Schü­ler wa­ren so un­wis­send wie nur mög­lich. Sie wur­den viel zu sehr ge­pei­nigt und her­um­ge­sto­ßen, um et­was ler­nen zu kön­nen. Es hat­te für sie kei­nen Zweck, sich zu be­mü­hen in ei­nem Le­ben voll be­stän­di­ger Qual und Müh­sal. Aber mein biss­chen Ei­tel­keit und Steer­forths Hil­fe trie­ben mich an und mach­ten mich, wenn es mir auch kei­ne Stra­fen er­spar­te, zu ei­ner Aus­nah­me un­ter den üb­ri­gen, in­dem ich we­nigs­tens ei­ni­ge Bro­sa­men Kennt­nis­se auf­las.

      Mr. Mell, an den ich mit Dank­bar­keit zu­rück­den­ke, leg­te stets eine ge­wis­se Teil­nah­me für mich an den Tag und half mir dar­in sehr. Es schmerz­te mich im­mer, dass Steer­forth ihn mit Ge­ring­schät­zung be­han­del­te und sel­ten eine Ge­le­gen­heit ver­säum­te, ihn zu ver­let­zen. Dies be­un­ru­hig­te mich eine Zeit lang umso mehr; als ich Steer­forth; dem ich ein Ge­heim­nis eben­so­we­nig vor­ent­hal­ten konn­te wie einen Ku­chen oder sonst et­was Greif­ba­res, von den bei­den al­ten Frau­en er­zählt hat­te, zu de­nen mich Mr. Mell mit­ge­nom­men. Im­mer fürch­te­te ich, Steer­forth wür­de es ver­ra­ten und ihn da­mit ver­höh­nen. Als ich an je­nem Mor­gen mein Früh­stück in dem Asyl ge­ges­sen und im Schat­ten der Pfau­en­fe­dern und bei dem Ton der Flö­te ein­ge­schla­fen war, hät­te wohl kei­ner der da­mals An­we­sen­den ge­ahnt, wel­che Fol­gen der Be­such ei­ner so un­be­deu­ten­den Per­son wie ich noch ein­mal ha­ben wür­de.

      Lei­der hat­te er ganz un­vor­her­ge­se­he­ne Fol­gen, und zwar in ih­rer Art recht erns­te. Ei­nes Ta­ges näm­lich, als Mr. Cre­akle we­gen Un­päss­lich­keit das Zim­mer hü­te­te, was na­tür­lich die leb­haf­tes­te Freu­de über die gan­ze Schu­le ver­brei­te­te, herrsch­te in der Mor­gen­stun­de viel Lärm. Alle be­nah­men sich so über­mü­tig, dass kaum mit ih­nen aus­zu­kom­men war. Selbst als der ge­fürch­te­te Ton­gay mit sei­nem Holz­bein zwei- oder drei­mal her­ein­ge­stelzt kam und die Na­men der ärgs­ten Übel­tä­ter auf­schrieb, mach­te es kei­nen Ein­druck. Alle


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