Verfluchtes Drachenherz. Inka Loreen Minden
Читать онлайн книгу.sie lebte.
Am liebsten wollte er ihr erklären, dass es viel mehr gab, als sie mit bloßem Auge erkennen konnte.
Jetzt war er doch froh, dass er sich aufgerafft hatte, um auf diese Feier zu kommen. Finanziell hätte er es nicht nötig, aber ab und zu musste er seine Festung der Einsamkeit auch einmal verlassen. In diesem Gasthaus saß seine Zielgruppe, und er würde in Zukunft sicher mit ein paar Leuten ins Geschäft kommen. Außerdem hatte er die Bewohner subtil ausgefragt, was sie noch über die alte Drachenlegende wussten. Aber die interessierte hier wirklich niemanden mehr, bis auf diese Reporterin.
»Darf ich den Artikel lesen, sobald Sie ihn fertig haben?« Er musste Fay unbedingt wiedersehen. Tatsächlich wollte er sie am liebsten sofort mit zu sich nach Hause nehmen! »Ich gebe Ihnen meine Kontaktdaten.« Er reichte ihr aus seiner Hemdtasche eines der letzten Visitenkärtchen, die er zuvor an die Besucher der Feier verteilt hatte.
»Wie altmodisch.« Sie grinste frech, während sie das Kärtchen studierte. »Aber sehr charmant.«
Natürlich hätte er ihr auch einfach seine Handynummer geben können. Aber er wollte, dass er ihr im Gedächtnis blieb. Sollte sie sich nicht bei ihm melden, würde er sie suchen. Bestimmt gab es nicht so viele Frauen in London mit dem ungewöhnlichen Namen Fay Ravenwood. Das Untier in ihm gierte bereits danach, sie zu besitzen, aber Loan würde diesem primitiven, animalischen Drang nicht nachgeben. Denn seine Bestie hatte nicht nur Gutes mit Fay vor. Loan hingegen wollte sie betören, mit ihr spielen und sie so verrückt nach ihm machen, dass sie sich ihm freiwillig hingab. Und für gewöhnlich gelang ihm das auch.
Fays Atem stockte. Loan blickte sie an wie der große böse Wolf. Als wollte er jede Sekunde über sie herfallen, um sie zu fressen oder … andere Dinge mit ihr anzustellen. Verboten heiße Dinge. Er strahlte eine unglaubliche Dominanz aus und eine ihr völlig unbekannte Macht, mit der er es schaffte, sie an ihn zu fesseln. Zumindest ihr Interesse hatte er mehr als geweckt.
Als er erneut beide Ellbogen hinter sich auf der Lehne abstützte, sodass sich sein Hemd über die wohl definierten Brustmuskeln spannten, räusperte sie sich leise, weil sie erst ihre Stimme wiederfinden musste. Wow, der Kerl war so was von scharf! »Ich schicke Ihnen den Artikel gerne zu. Ihre E-Mail-Adresse habe ich ja.«
Leider würde Fay nichts dergleichen tun, weil es gar keinen Beitrag geben würde. Fahrig strich sie mit dem Daumen über das grauschillernde Kärtchen, das eine edle, leicht strukturierte Oberfläche besaß. Sie hasste es, Loan anzulügen, und wollte ihn unbedingt wiedersehen. Vielleicht sollte sie diesen Artikel einfach schreiben, um mit ihm in Kontakt zu bleiben. »Wenn ich Ihre Adresse kennen würde, könnte ich Ihnen auch ganz altmodisch einen Brief schicken.«
Er lachte. »Sie gefallen mir, Fay. Vielleicht überlege ich es mir und lade sie zu mir ein.«
Während sie nervös mit der Karte spielte und nicht wusste, was in sie gefahren war, weil sie Loan sehr direkt anbaggerte, kribbelte plötzlich ihre Haut, sodass sich sämtliche Härchen aufstellten. Die Sicht verschwamm, in ihrem Kopf drehte sich alles; die Landschaft vor ihren Augen verschmolz zu einem bunten Strudel.
Fay wusste, was das bedeutete: eine Vision bahnte sich an!
Warum passierte das gerade jetzt, als es mit Loan so gut lief und sie seit Ewigkeiten mal wieder Spaß hatte? Sie hasste es, ihre Visionen nicht kontrollieren zu können!
Hektisch und halb blind holte sie ihr Smartphone aus der kleinen Handtasche, murmelte: »Entschuldigen Sie mich kurz«, und lehnte sich zurück. Dann senkte sie den Kopf, um so zu tun, als würde sie ihre Mails checken. Sie schaffte es gerade noch, den Bildschirm zu entsperren, als sich plötzlich sehr lebhafte Bilder mit den dazugehörigen Gefühlen vor ihrem geistigen Auge formten.
Sie lag auf dem Rücken auf etwas Weichem und Loan kroch über sie. Eine dunkle Haarsträhne hing verwegen in seine Stirn, erneut lag dieser besitzergreifende Blick in seinen Augen. Er atmete schwer, genau wie sie, und seine Lippen schienen leicht geschwollen, feucht und gerötet zu sein. Fay überlegte gerade, ob sie sich geküsst hatten, als er seinen Mund auf ihre Lippen presste und ihr mit einem heißen Kuss sämtliche Luft raubte. Sie krallte die Finger in seinen Rücken, spürte die Wärme seiner nackten, weichen Haut, konnte sich kaum an seinen breiten Schultern sattsehen.
Oh Himmel, hatten sie Sex?
Gerade, als sie tiefer in die Prophezeiung eintauchen wollte, löste sich diese auch schon wieder auf und verpuffte regelrecht.
Wie aus weiter Ferne drang Loans Stimme an ihre Ohren. »Alles gut?«, fragte er. »Sie sehen auf einmal so blass aus. Gibt es schlechte Neuigkeiten?«
Wie lange war sie weg gewesen? Wahrscheinlich nur ein paar Sekunden, sonst würde er bestimmt alarmierter wirken.
»Alles bestens!«, stieß sie schnell hervor und musste sich irgendwie ablenken, denn sie bekam diese Bilder von ihm … von ihnen beiden … nicht aus dem Kopf. Wann würde sich ihre Vorhersehung erfüllen? Leider wusste Fay das auch nie vorher. Sie könnte bereits in fünf Minuten, aber auch erst in fünf Wochen mit ihm Sex haben. Weiter in die Zukunft hatte sie bisher nie geblickt, doch erfüllt hatten sich ihre meist sehr lebhaften Prophezeiungen bisher alle.
»Ich warte nur auf eine Bestätigung der Pension«, antwortete sie schnell und schob ihr Handy zurück in die Tasche. Seine Visitenkarte behielt sie weiterhin in der Hand. Eventuell hatte sie die Vision ausgelöst und vielleicht kam ja noch was nach. »Ich fahre nur ungern im Dunkeln, denn da bin ich blind wie ein Maulwurf.«
Angestrengt studierte sie sein Kärtchen, als würde sie darauf alle Antworten der Welt finden, weil es ihr peinlich war, ihn anzublicken. Wie hatte sie es nur geschafft, sich Loan zu angeln?
Fay verkniff sich ein Lächeln. Manchmal war sie sehr dankbar für ihre hellseherischen Fähigkeiten. Jetzt wusste sie wenigstens, dass sie ihn wiedersehen und sich mit ihm in den Laken wälzen würde. Sie sollte sich weiter mit ihm unterhalten, ihn besser kennenlernen … Oder hätten sie auch Sex, wenn sie nichts tat? Wenn sie einfach aufstand und ging?
Natürlich hatte Fay schon mehrmals versucht, ihre »Zukunftserinnerungen«, wie sie die Visionen nannte, zu manipulieren. Doch bisher war immer alles eingetroffen, was sie gesehen hatte.
Da es ihr aktuell Spaß machte, mit ihm zu reden, und sie ohnehin noch auf die Nachricht der Pension warten musste, fragte sie: »Ihre beruflichen Qualifikationen haben Sie aber nicht hierher getrieben, oder?« Auf seiner Karte stand, er wäre Portfoliomanager und Immobilienmakler. In diesem kleinen Ort gab es jedoch nicht gerade viele Gebäude.
Lässig zuckte er mit den Schultern. »Vielleicht ja doch. Alte Leute verkaufen gerne ihre Häuser auf dem Land, um sich eine Wohnung in einer größeren Stadt zu mieten, damit sie näher bei ihren Ärzten sind. Oder sie gehen gleich ins betreute Wohnen. Da viele von ihnen kein Internet haben, unterbreite ich ihnen mein Angebot gerne persönlich. Einige wollen auch einfach nur ihr Geld lukrativ vermehren, kennen sich aber mit Aktienfonds und anderen Anlagemöglichkeiten nicht aus. Das übernehme dann auch ich für sie.«
Das leuchtete ihr ein, dennoch hatte sie das Gefühl, er würde ihr den wahren Grund verschweigen … oder etwas anderes. Ihn schien nach wie vor eine geheimnisvolle Aura zu umgeben.
Als sie plötzlich ein leises Vibrieren hörte, entschuldigte er sich bei ihr und zog schmunzelnd ein Smartphone aus der Brusttasche seines Hemdes. »Wahrscheinlich schon der erste Kunde.«
Loan stand auf, um sich ein Stück von ihr zu entfernen, und meldete sich mit »Loan Balour, was kann ich für Sie tun?«
In diesem Moment vernahm sie ein »Ping« aus ihrer Handtasche. Sie hatte eine neue E-Mail bekommen!
Schnell zog sie ihr Telefon heraus und checkte die Nachrichten. Von ihrer Pension war tatsächlich eine Mitteilung gekommen! Hastig öffnete sie die E-Mail und zischte: »Mist!« Es war leider kein Zimmer mehr frei.
»Was ist los?«, fragte Loan und schlenderte zu ihr zurück. Sein Gespräch hatte nicht gerade lange gedauert, denn er schob sein Handy in die Hemdtasche und setzte sich wieder neben sie.
»So wie