Friesentod. Sandra Dünschede

Читать онлайн книгу.

Friesentod - Sandra Dünschede


Скачать книгу
anders, waren mit der Art der Fortbewegung groß geworden. Für sie, da hatte Meta Lorenz recht, war das etwas Selbstverständliches. Ob auch Tatjana Lieberknecht nur ein paar Tage in die Sonne geflogen war?

      »Sag mal, hast du meine Nachbarin in den letzten Tagen gesehen?«

      Statt Meta Lorenz antwortete plötzlich Helene, die sich lautlos angeschlichen hatte.

      »Dat junge Ding, diese Tatjana?«

      Haie blickte sich überrascht um und nickte wortlos.

      »Nee, die war schon ein paar Tage nicht hier. Letzte Woche habe ich die das letzte Mal gesehen.«

      »Hat sie erzählt, ob sie wegfahren wollte?«

      »Wegfahren, nee. Die hatte sich nur ordentlich aufgebrezelt. Ich hatte erst vermutet, dass die einen neuen Kerl hat, aber dann hat die hier im Laden telefoniert und ich habe mitbekommen, dass sie abends wohl zur Disco wollte.«

      »Hier bei Kalle?«

      »Wo denn sonst.« Helene warf ihm einen verständnislosen Blick zu.

      »Na ja, gibt ja auch noch andere Läden«, rechtfertigte Haie sich.

      Helene stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte leicht den Kopf. »Na, da hast du wohl einiges nicht mitbekommen.« Ihre Stimme hatte einen triumphalen Unterton angenommen, sie lächelte süffisant. »Die Disco in Niebüll ist doch dicht.«

      »Aber das Töff gibt’s ja noch, außerdem fahren die jungen Lüüd ja auch noch weiter weg, beispielsweise nach Husum«, mischte sich nun ein älterer Herr in einem alten Bundeswehrparka ein.

      »Ja, aber in ist nu gerade Kalles Disco.« Helene legte ihre Betonung auf das Wort ›in‹. »Habe genau gehört, wie sich Tatjana für den Abend bei Kalle verabredet hat.«

      Haie konnte sich gut vorstellen, wie Helene das Telefongespräch belauscht hatte. Hier im Laden blieb der emsigen Kaufmannsfrau nahezu nichts verborgen – aber genau deswegen war er ja hier.

      »Und weißt du mit wem?«

      »Hä, bin ich Jesus? Die hat telefoniert, weiß ich doch nicht, wer am anderen Ende war. Oder kannst du hellsehen?«, empörte Helene sich, beleidigt, dass ihre Informationen nicht ausreichend gewürdigt wurden.

      Beinahe hätte Haie sich erkundigt, warum sie denn nicht nachgefragt hatte, verkniff sich jedoch die Bemerkung.

      »Ich habe nur gehört, dass die um zehn da hinwollte. So spät, und das mitten in der Woche. Kein Wunder, dass die jungen Leute nichts auf die Reihe kriegen, wenn die sich die Nächte um die Ohren schlagen.«

      Meta Lorenz nickte zu Helenes Kommentar, obwohl Haie wusste, dass die beiden Frauen in ihrer Jugend auch nicht immer um zehn Uhr abends in ihren Betten gelegen hatten.

      Die Dorfdisco bei Kalle, deren Betreiber inzwischen zwar einige Male gewechselt hatte, war eine jahrzehntelange Institution im Dorf und Haie aus seiner Jugendzeit bekannt.

      Er überlegte, mit wem Tatjana sich verabredet haben könnte. Besuch bekam die junge Frau selten, soweit er das beobachtet hatte, aber natürlich war sie oft unterwegs. Dass sie zu Kalle ging, hatte sie nie erwähnt, was jedoch nichts heißen musste. Trotzdem erschien ihm Helenes Hinweis als durchaus relevant. Er könnte …

      »Wann ist denn die Disco immer?«

      »Immer donnerstags«, antwortete Helene grinsend und zwinkerte ihm zu.

      3. Kapitel

      »Wo willst du denn jetzt noch hin?« Tom beobachtete mit fragender Miene, wie Haie am nächsten Abend im Flur seine Jacke anzog.

      »Ich, ähm, zu Elke.«

      »Zu Elke?« Der Ton in Toms Stimme machte deutlich, dass er dem Freund nicht glaubte. Seit wann traf Haie sich wieder mit seiner Exfrau? Bisher hatte er stets betont, das Kapitel sei für ihn abgeschlossen. Diese Tatsache galt zwar nicht für Elke, die es gerne gesehen hätte, wenn Haie zu ihr zurückkehren würde. Das wusste Tom. Daher mied Haie, so gut es ging, den Kontakt zu ihr. Um keine unberechtigten Hoffnungen zu wecken. Warum also wollte er ausgerechnet jetzt zu ihr? Da war doch was faul. Er musterte ihn, während er auf eine Antwort wartete.

      »Ach Mensch, nee, ich geh zu Kalle.« Haie wusste, es war zwecklos, weiter zu lügen.

      »Kalle?« Auch dieser Name warf bei Tom Fragen auf. Er interessierte sich nicht sonderlich für die Gegebenheiten im Dorf. Daher wusste er auch nichts von der Disco in Risum, die er ohnehin nicht besuchen würde.

      »Ja, da kann man so, na ja, tanzen. Wäre vielleicht auch was für Astrid und dich«, schlug Haie vor.

      »Tanzen?« Toms Augenbrauen wanderten in schwindelerregende Höhen.

      Seit einiger Zeit traf Tom sich mit einer Doktorandin vom Nordfriisk Instituut. Sie hatten Astrid Hansen im Zuge einiger Ermittlungen kennengelernt, die Haie vor nicht allzu langer Zeit in einem Mordfall betrieben hatte. Zunächst waren die beiden Männer beim Anblick der Frau erschrocken, denn Astrid ähnelte Marlene – Toms verstorbener Frau – so sehr, dass ihre Nähe am Anfang fast schmerzte. Bei genauerem Betrachten fielen ihnen jedoch einige Unterschiede auf. Und seit geraumer Zeit unternahmen Tom und Astrid gemeinsam etwas. Er hatte schnell festgestellt, wie gut ihm die Frau tat. Er mochte sie und sie ihn. Von einer Beziehung zu sprechen, war verfrüht, obwohl Tom spürte, dass er bald wieder dazu bereit sein würde. Ob Astrid Hansen die Richtige für eine neue Partnerschaft war, wollte er jedoch noch nicht sagen. Momentan verbrachten sie jedenfalls aufgrund ihrer gemeinsamen Interessen viel Zeit miteinander. Aber eine Dorfdisco gehörte nicht zu ihrer beiden Vorliebe, da war Tom sich sicher.

      »Und das ist auch was für alte Leute?«

      »Was heißt denn hier alt?« Haie schob demonstrativ die Unterlippe vor.

      »Na ja, wenn du da hingehst? Kommt Elke denn mit?«

      »Elke? Wie? Nee.«

      »Du gehst also allein zum Tanzen?« Tom konnte sich denken, dass der Discobesuch irgendetwas mit dem Verschwinden der Nachbarin zu tun hatte. Zwar hatte Haie ihn nicht mehr darauf angesprochen, aber Tom wusste, dass er nicht aufgehört hatte, nach einer Erklärung für die Abwesenheit der Frau zu suchen. Nicht Haie.

      »Warum denn nicht? Ich bin schließlich ungebunden«, waren Haies letzte Worte, ehe er die Tür öffnete und das Haus verließ.

      Draußen schlug ihm feuchtkalte Luft entgegen und kurz kam ihm der Gedanke, sein Vorhaben aufzugeben. Es wäre bei dem Wetter so viel gemütlicher, auf dem Sofa zu bleiben und ein Buch zu lesen. Sein Blick wanderte zum Nachbarhaus, während er zum Fahrradschuppen ging. Alles dunkel. Da musste etwas passiert sein und er würde herausfinden, was.

      Energisch schwang er sich auf sein E-Bike und trat in die Pedale. Zum Glück war es nicht weit, trotzdem fühlte Haie sich wie ein Eisklotz, als er vor der Disco stoppte. Mit seinen steif gefrorenen Fingern brauchte er gefühlt eine Ewigkeit, um das Fahrrad abzuschließen. Warum hatte er auch keine Handschuhe angezogen?, fragte er sich, während er langsam auf den Eingang zuging, vor dem einige junge Leute standen und rauchten. Skeptisch beobachteten sie sein Näherkommen und als er durch die Tür trat, hörte er sie miteinander tuscheln.

      Laute Musik empfing ihn, aber es war warm. Er zog den Reißverschluss seiner Jacke auf und betrat den Saal, in dem sich rechts eine Bar befand, an der etliche Leute standen. Alle hier waren jünger als er, da brauchte es keinen zweiten Blick. Und auch die Musik war so gar nicht sein Fall. Laute Beats, die einem in den Magen fuhren. Er fragte sich, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte, dann fielen ihm Tatjana und ihr dunkles Haus ein und er stellte sich an den Tresen.

      »Ein Bier bitte.«

      Von links hörte er Gekicher, doch der Mann an der Bar verzog keine Miene. Geschäft war Geschäft.

      Haie zahlte und drehte sich um. In der Mitte des Saals, der als Tanzfläche diente, tummelten sich etliche Leute. Einige von ihnen erkannte er trotz der recht schummrigen Beleuchtung, die ab und an durch ein rhythmisches Aufblitzen durchbrochen


Скачать книгу