Friesentod. Sandra Dünschede

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Friesentod - Sandra Dünschede


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Hier war niemand. Trotzdem klopfte er gegen die Eingangstür, die leicht nachgab, da sie nicht verschlossen war. Niklas holte tief Luft und gab Ole ein Zeichen, ihm zu folgen.

      Der Freund legte sein Fahrrad in den Sand auf dem Vorplatz und ging zum Eingang, doch als er die Tür erreichte, war Niklas schon im Haus verschwunden.

      »Nik?«, rief er von der Schwelle her. Als er keine Antwort erhielt, betrat er den schummrigen Flur. Es roch muffig und nach irgendetwas, das Ole nicht kannte. Ihm fröstelte.

      »Nik?«

      Weiter hinten im Haus hörte er ein Knirschen. Langsam, Schritt für Schritt, traute er sich weiter in den Flur. Rechter Hand ging eine Küche ab. Die Einrichtung war alt, verdreckt und größtenteils kaputt.

      Ole fragte sich, wer hier wohl gewohnt haben mochte. Er erinnerte sich nicht. Ob es wirklich dieser Mann gewesen war, dessen Geist hier herumspukte? Er ging weiter und wollte gerade durch die Tür treten, die sich am Ende des schummrigen Ganges befand, als er mit Niklas zusammenstieß. Ein erschrockenes »Ah« löste sich aus seiner Kehle, das Niklas zusammenzucken ließ. Er war leichenblass und an seinen Augen erkannte Ole sofort, dass hier etwas nicht stimmte. Er nahm automatisch Niklas’ Hand und rannte los Richtung Haustür. Draußen blieb er keuchend stehen und blickte zu seinem Freund.

      »Was ist los? Was hast du gesehen?«

      Niklas würgte das Mittagessen auf den Vorplatz, ansonsten war nichts aus ihm herauszubekommen.

      6. Kapitel

      Im gesamten Haus hatte es keinen Hinweis auf Tatjana Lieberknechts Verbleib gegeben. Haie hatte in einigen Ordnern gewühlt, aber nicht wirklich herausgefunden, ob es weitere Verwandte gab. Auch hatte er keine Fotos gefunden, die darauf hindeuteten.

      »Da müsste ich mich im Dorf mal umhören. Helene weiß vielleicht, wer die Eltern sind«, sagte er, nachdem Thamsen die Tür versiegelt hatte. Anschließend waren sie zurück zum Haus des Freundes gegangen, wo sie nun in der Küche den restlichen Kaffee tranken.

      Im Grunde genommen waren Thamsen Leute, die anderen viele Fragen stellten, zuwider. Aber in diesem Fall wäre wenigstens einer sehr nützlich, musste er sich eingestehen. Schon so manches Mal waren sie durch Informationen von Dorfbewohnern – insbesondere der klatschfreudigen Kaufmannsfrau – in ihren Ermittlungen vorangekommen; nur von Ermittlungen konnte man in diesem Fall nicht sprechen. Und von Fall eigentlich auch nicht. Denn es lag bisher kein Hinweis auf ein Verbrechen vor. Er hatte dem Freund lediglich einen Gefallen getan und sich dabei eigentlich schon zu weit aus dem Fenster gelehnt. Wie er seinem Chef die aufgebrochene Tür und die Rechnung vom Schlüsseldienst erklären sollte, wusste er jedenfalls noch nicht. Am besten, er übernahm selbst die Kosten.

      »Kannst du ja mal machen, vielleicht weiß die was oder …« Thamsens Handy klingelte und unterbrach die beiden. »Ansgar, was gibt’s?«, nahm er das Gespräch an. »Waaaas?«

      Haie konnte genau sehen, wie Dirk sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich. Er fragte sich, was passiert sein mochte. Ob etwas mit Dörte …?

      »Und wer hat sie … Oh, mein Gott. Ja, gut, ich komme.« Er beendete das Gespräch und blickte zu Haie, der sich beinahe sicher war, dass Dirks Lebensgefährtin etwas zugestoßen war. Oder den Kindern?

      »Was ist los?«

      »Also, ja, nun, es ist … Niklas hat …«

      »Was ist mit Niklas?« Haie sprang von seinem Stuhl auf. Wenn es um seinen Patensohn ging, kannte er kein Halten. Der Junge bedeutete ihm alles. In dem Kind lebte für ihn ein Teil seiner Freundin weiter, die er auf so dramatische Art und Weise verloren hatte.

      »Nichts, es geht ihm gut«, bemühte sich Dirk, ihn zu beruhigen. »Er hat nur … also, die Kinder haben wohl deine Nachbarin gefunden.«

      »Was, wo denn?«

      »Ich muss jetzt los.« Dirk stand ebenfalls auf, Haie eilte in den Flur. Es war zwecklos, ihn aufzuhalten. Daher unternahm Thamsen auch nichts. Gemeinsam verließen sie das Haus und fuhren nach Maasbüll.

      Als sie in Deezbülleck vom Deich abbogen, sah Dirk schon Ansgars Auto und einen Rettungswagen. »Oh mein Gott«, entfuhr es Haie, der bisher entgegen seiner Art die Fahrt über geschwiegen hatte. Thamsen hatte noch nicht gestoppt, da riss der Freund bereits die Tür auf und sprang aus dem Auto, eilte auf den Eingang des Hauses zu.

      »Haie, warte!«

      An der Tür stand Ansgar und hielt Haie auf.

      »Wo ist Niklas?«, schrie er mit schriller Stimme und versuchte sich an dem Polizisten vorbeizudrängen.

      Rolfs warf Thamsen einen Blick zu, dann bemühte er sich, Haie zu beruhigen. »Er ist nicht mehr hier. Die Mutter von Ole kümmert sich um die Jungs. Sie hat uns angerufen.«

      »Aber warum denn? Was ist passiert?« Haie war völlig kopflos.

      Thamsen trat nun neben den Freund und schob ihn ein Stück zur Seite. »Du wartest hier«, sagte er in einem Ton, der Haie tatsächlich verstummen ließ.

      Ob er sich daran halten würde, wusste Dirk nicht, doch er hatte zunächst anderes zu tun. Er verschwand im Haus und folgte den Stimmen, die aus einem der hinteren Räume zu hören waren. Als er durch die Tür in das ehemalige Wohnzimmer trat, sah er, wie der Notarzt gerade seinen Koffer anhob.

      »Da ist nichts mehr zu machen«, sagte er recht trocken und zuckte mit den Schultern.

      Thamsens Blick fiel auf den leblosen Körper der jungen Frau, der in der Ecke unter dem Fenster lag. Die Augen starrten ins Leere, die Haut wirkte wächsern. Über den Leichnam krabbelte Getier und ein stetiges Summen war zu hören.

      »Oh mein Gott«, entfuhr es ihm. Er kniete sich neben die Frau, die im Gesicht einige Hämatome aufwies. »Was ist … Wie ist sie …?«, stotterte er.

      Der Arzt zuckte nochmals mit den Schultern. »Nach einem natürlichen Tod sieht es nicht aus, aber Näheres muss ein Rechtsmediziner herausfinden.« Sein Job war erledigt, er verließ den Raum.

      »Ich habe die Kollegen von der Spusi informiert.« Ansgar war hinter seinen Chef getreten und blickte nun ebenfalls auf den Leichnam.

      Thamsen nickte. »Hast du den Bestatter …?«

      »Ja.«

      Es war nicht die erste Leiche, die die beiden vor sich hatten. Sie verstanden sich blind, wussten, was zu tun war. Und nach einem Verbrechen sah das hier für ihn auf den ersten Blick aus. Obwohl außer den Hämatomen im Gesicht keine sichtbaren Verletzungen zu erkennen waren. Das musste nichts heißen, die Frau konnte vergiftet oder erstickt worden sein, oder aber sie war schlichtweg verdurstet, denn so wie es aussah, hatte sie hier irgendjemand gefangen gehalten. Sie war mit Kabelbinder an das Heizungsrohr gefesselt. Den Mund hatte man ihr mit Isolierband verklebt, welches der Notarzt bereits entfernt hatte. Die Lippen wirkten spröde und rissig. Neben dem Leichnam lag eine leere Wasserflasche. Verdursten als Todesursache erschien ihm als Laien am wahrscheinlichsten, aber ob das stimmte, war Aufgabe des Rechtsmediziners.

      »Gut, du bleibst hier, bis die Kollegen von der Spurensicherung eintreffen. Ich muss jetzt erst einmal mit Haie zu der Mutter und Niklas abholen.« Thamsen stemmte sich aus der Hocke hoch.

      Ansgar nickte. »Geht klar. Soll ich die Kollegen in Husum anrufen?«

      Das Informieren der Kripo war Chefsache. Gerne hätte er die Aufgabe abgegeben, aber das ging nicht. »Das erledige ich später«, entgegnete er, ehe er einen letzten Blick auf die Tote warf, sich kopfschüttelnd umdrehte und zum Eingang zurückging. Dort stand Haie und trat von einem Fuß auf den anderen.

      »Was ist denn los?«

      »Es scheint so, als hättest du recht gehabt. Deine Nachbarin liegt tot in diesem Haus.«

      Haies Augen weiteten sich. »Was? Hier? Wie?«

      Thamsen zuckte mit den Schultern. »Das kann man noch nicht sagen.«

      »Aber dann … Ich meine, das Haus steht seit Jahren leer,


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