Heideopfer. Kathrin Hanke

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Heideopfer - Kathrin Hanke


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heißen die. Sie wollten ein bisschen beim Abriss zuschauen, und dann kam die böse Überraschung mit der Hand. Das Haus gehört der Frau, die dann jedoch mit den kleinen Kindern weggegangen ist, als die Spusi ihre Arbeit aufgenommen hat. Ihr Mann hat uns dann den Namen der ehemaligen Besitzerin genannt, eine Frau … Moment …«

      Katharina zückte ihr kleines Notizbüchlein, blätterte es auf und meinte dann: »Frau Adler, Evelyn Adler. Mehr wissen wir noch nicht.«

      »Das deckt sich mit meinen Informationen«, bestätigte Vivien und wollte gerade weiterreden, als Ben sagte: »Lasst uns doch bitte an den Besprechungstisch gehen, dann muss ich hier nicht so herumstehen. Und wie es scheint, habt ihr uns ja so einiges zu berichten. Wie gesagt haben Katharina und ich noch nicht so viel. Die Befragungen der Anwesenden vor Ort haben bisher nichts ergeben. Wir müssen einfach mehr über die Hand wissen und erst einmal die Ergebnisse der Spusi und Rechtsmedizin abwarten.«

      Keine zwei Minuten später am Besprechungstisch versammelt, forderte Ben Vivien auf, weiter zu berichten, vorab fragte diese jedoch in die Runde: »Ich mache das chronologisch und fange von hinten an, ist das okay für euch?«

      »Ja, sicher, leg einfach los«, antwortete Katharina für sich und ihre beiden männlichen Kollegen.

      »Gut, vorweg noch eines: Die Grundstücke in Wilschenbruch sind größtenteils Erbbaugrundstücke. Unseres im Spechtsweg auch. Darum habe ich zum einen eine Liste der Hausbesitzer und zum anderen eine der Pachtzahler angelegt, wobei die sich nur in einem Fall unterscheiden, aber vielleicht ist das ja mal wichtig für uns.«

      »Soll ich an der Glaswand mitschreiben, dann haben wir die Namen alle vor Augen?«, bot Katharina an.

      »Ich denke, das brauchst du nicht, so viele Personen habe ich gar nicht, aber klar, wenn du möchtest«, antwortete Vivien.

      »Kann ja nicht schaden«, erwiderte Katharina, erhob sich und stellte sich mit gezücktem Stift, den sie sich vorher von Bens Schreibtisch gegriffen hatte, an die Wand.

      »Gut«, sagte Vivien und begann: »Ich überspringe mal den historischen Teil über Wilschenbruch und insbesondere den Spechtsweg, in dem 1920 die ersten Häuser errichtet wurden, aber ich denke mal, so lange müssen wir auch nicht zurückgehen.«

      »Wahrscheinlich nicht«, gab Benjamin Rehder ihr mit einem zustimmenden Lächeln recht.

      »Für das besagte Grundstück im Spechtsweg hatten wir übrigens Glück«, fuhr Vivien fort, »hier ist die Stadt Lüneburg Erbbaurechtgeber. Es gibt auch private Erbbaurechtsgeber in Wilschenbruch, und dann hätte es sicher länger gedauert, bis ich Informationen bekommen hätte.«

      »War das immer schon so mit diesen Erbbaugrundstücken?«, wollte Katharina wissen.

      »Nicht immer, aber in den letzten 60 Jahren«, antwortete Vivien »und die bin ich ungefähr auch zurückgegangen. Damals gehörte das Haus Jürgen Kruse, der im Übrigen auch als Pachtzahler gelistet ist.«

      Katharina schrieb an die Glaswand »Hausbesitzer« und daneben »Pachtzahler«. Unter beides schrieb sie den Namen, den Vivien genannt hatte und jeweils in Klammern »ab ca. 1960«. So verfuhr sie auch mit dem nächsten Namen, den Vivien nannte, Marianne Kruse. »Sie war die Witwe des 1974 verstorbenen Jürgen Kruse, das habe ich aus dem Register«, ergänzte Vivien ihre Auskunft und fuhr fort: »Auf Marianne Kruse folgte dann auch schon ab 1993 Evelyn Adler als Besitzerin. Also die aktuelle Hausverkäuferin, deren Namen ihr bereits genannt bekommen habt. Interessant ist hier, dass Evelyn Adler bereits ab August 1991 das Pachtgeld entrichtet hat.«

      »Sie hat also bereits die Pacht gezahlt, als ihr das Haus noch nicht gehörte, das heißt wohl, dass sie im Haus gelebt und Marianne Kruse es an sie vermietet hat«, schloss Tobi.

      »Könnte so sein«, meinte Ben.

      »Das ist aber noch nicht alles«, ergriff Vivien erneut das Wort.

      »Sagtest du nicht, Pachtzahler und Hausbesitzer würden nur in einem Fall nicht identisch sein?«, unterbrach Katharina sie jedoch.

      »Entschuldigt, dann hab ich mich wohl blöd ausgedrückt, es gibt nämlich noch einen Pachtzahler, aber der war nie Hausbesitzer. Und das wollte ich euch auch gerade sagen.«

      »Ach«, entfuhr es Tobi.

      »Genau, das habe ich mir auch gedacht. Der Mann heißt Peter Kruse. Er hat die Pacht von Januar 1986 an bis einschließlich Juni 1991 gezahlt. Im Juli ist sie wieder von Marianne Kruse gezahlt worden und danach, schon einen Monat später, wie gesagt von Evelyn Adler. Kruse ist zwar nicht gerade ein seltener Name, aber ich nehme an, dass zwischen Marianne und Peter ein Verwandtschaftsverhältnis besteht, vielleicht ist er ihr Sohn, Neffe oder auch der Bruder ihres verstorbenen Mannes. Ich habe es noch nicht geschafft, das herauszufinden. Das wollte ich gerade machen, als ihr zurückgekommen seid.«

      »Das kannst du später machen. Warten wir erst einmal ab, was die Spusi zutage fördert«, sagte Ben und rückte seinen Stuhl vom Tisch ab, um aufzustehen. »Jetzt sollten wir erst einmal Mittag machen, denn ich für meinen Teil habe Hunger.«

      14:03 Uhr

      Als die Nachricht sie erreichte, war sie gerade beim Mittagessen gewesen. Jetzt stand das Rumpsteak mit Kartoffeln seit einer halben Stunde halb aufgegessen vor ihr, und ihr war schlecht. Sie brachte keinen Happen mehr herunter, zumal sie ihr Steak, so wie sie es mochte, nur angebraten hatte und es nun in einem blutigen Bratensaft vor ihr auf dem Teller lag. Das Tierblut hatte bereits die Pellkartoffeln erreicht und färbte sie langsam bräunlich ein, was ein lang verdrängtes Bild in ihr wieder hochkommen ließ. Sie hätte den Teller auch einfach abräumen und das Essen in den Müll kippen können, doch sie war kaum in der Lage, sich zu regen. Warum war sie bloß ans Telefon gegangen? Andererseits hätte sie es früher oder später sowieso erfahren. Er war wieder aufgetaucht. Und mit ihm all die schrecklichen Erinnerungen. Allerdings waren die nicht so schlimm wie das, was jetzt höchstwahrscheinlich auf sie zukommen würde. Sie stützte ihre Arme auf die Tischplatte und vergrub den Kopf in den Händen. Aus ihren geschlossenen Augen quollen die Tränen. Was sollte sie jetzt nur machen? In ihrem Körper schrie alles nach Flucht. Einfach nur weglaufen, dann konnte er ihr nichts mehr anhaben. Aber was, wenn sie trotzdem gefunden wurde? Dann würde alles nur noch schlimmer sein. Außerdem wusste sie gar nicht, wohin.

      Reiß dich zusammen, du bist ihm schon einmal entkommen, meldete sich eine Stimme in ihr. Du musst nur ruhig bleiben. So wie damals, dann kann dir nichts passieren! Stimmte das? Konnte er ihr nichts mehr anhaben? Sie war sich da nicht so sicher. Vielleicht hätte sie damals schon reden sollen, aber nun war es zu spät, und er war wieder aufgetaucht.

      Ein Ruck ging durch ihren Körper. Sie öffnete die Augen, setzte sich aufrecht hin, wischte sich mit dem Handrücken grob die Tränen aus dem Gesicht, erhob sich, griff nach ihrem Teller, machte die Schranktür unter der Spüle auf und ließ ihr Essen, ohne es noch einmal anzusehen, in den Müll gleiten. Dann ging sie zur Garderobe, zog sich Schuhe und eine leichte Jacke an und verließ die Wohnung, um ihren täglichen Spaziergang zu machen. Ja, er war wieder da, und er würde sie sicher demnächst heimsuchen, doch bis dahin wollte sie ihr Leben so leben, wie sie es immer tat. Dennoch begann sie, leise vor sich hinzusummen. So wurde das beklemmende Gefühl hoffentlich nicht zu übermächtig.

      Gedicht

      »Wie kannst du ruhig schlafen,

      Und weißt, ich lebe noch?

      Der alte Zorn kommt wieder,

      Und dann zerbrech ich mein Joch.

      Kennst du das alte Liedchen:

      Wie einst ein toter Knab

      Um Mitternacht die Geliebte

      Zu sich geholt ins Grab?

      Glaub mir, du wunderschönes,

      Du wunderholdes Kind,

      Ich lebe und bin noch stärker

      Als alle Toten sind!«

      (Heinrich Heine)

      Конец


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