150. Die fälsche Braut. Barbara Cartland
Читать онлайн книгу.Elisabeth. Sie sah einen Mann, der sich langsam aus einem Lehnsessel erhob und stellte fest, daß es Sir Rupert Wroth war. Er hatte am Nachmittag einige Worte mit ihr gewechselt. Sie hatte ihn zunächst nicht erkannt, aber dann hörte sie, wie einer der Gäste seinen Namen nannte, und erinnerte sich daran, daß sie ihm zwei Jahre zuvor auf einem Jägerball vorgestellt worden war.
Es war ihr erster gesellschaftlicher Auftritt gewesen, und sie war sich sehr klein und verängstigt vorgekommen. Niemand hatte das scheue Mädchen beachtet, bis schließlich einer von ihres Vaters Freunden sich ihrer angenommen und sie in den Speiseraum geführt hatte. Da er ein älterer Gentleman war, fand sich Elisabeth plötzlich unter den respektabelsten Leuten der Grafschaft wieder.
»Wurden Sie den Herrschaften schon vorgestellt?« fragte Elisabeths Begleiter brummig, und als sie ein wenig hilflos zu ihrem linken Tischnachbarn blickte, sagte der alte Herr: »Wroth kennen Sie sicher, nicht wahr? Rupert, das ist Herbert Cardons Tochter.«
Sir Rupert unterhielt sich angeregt mit einer auffallend reizvollen und eleganten Lady. Er wandte nur kurz den Kopf, maß Elisabeth mit einem uninteressierten, leicht verächtlich wirkenden Blick und deutete eine Verbeugung an, die mehr einer Beleidigung als einer Höflichkeitsbezeigung glich.
Das Lächeln erstarb auf ihren Lippen, sie fühlte sich brüskiert.
Vielleicht war sie damals zu empfindlich gewesen, vielleicht hatte sie den Vorfall in ihrer Erinnerung zu sehr aufgebauscht. Jedenfalls hatte sie von diesem Tag an stets ein Unbehagen empfunden, sobald in ihrer Gegenwart Sir Ruperts Name fiel.
Jetzt, die Hand des Vaters auf ihrer Schulter, machte sie einen Knicks in Richtung des Mannes und fragte sich erstaunt, weshalb er sie wohl anlächeln mochte.
»Elisabeth, ich habe dir etwas zu sagen«, begann ihr Vater mit dröhnender Stimme. »Etwas, das dich - davon bin ich überzeugt - genauso erfreuen wird wie mich. Sir Rupert Wroth, der meine größte Hochachtung besitzt und mit dem mich in der Zukunft - so hoffe ich - eine tiefe Zuneigung verbinden wird, hat mich heute in einer sehr bedeutsamen und zugleich sehr vertraulichen Angelegenheit angesprochen.«
Lord Cardon räusperte sich, und als weder Sir Rupert noch Elisabeth etwas sagten, fuhr er fort: »Er bat mich um meine Einwilligung...« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. »... zu eurer Verlobung.«
Einen Augenblick lang verstand Elisabeth nicht, was ihr Vater gesagt hatte. Die Bedeutung seiner Worte schien nicht bis in ihr Bewußtsein zu dringen. Sie starrte ihn an mit dem Gefühl, daß es etwas von großer Wichtigkeit gewesen war, ohne jedoch zu begreifen, um was es sich dabei handelte.
Dann aber, als ihr der Inhalt dieser Mitteilung langsam aufging, erfaßte sie ein Schwindel.
»Nein!« versuchte sie zu rufen. »Nein! Nein! Ich kann ihn nicht heiraten!«
Aber kein Wort drang über ihre Lippen. Jede Silbe schien ihr in der Kehle steckenzubleiben, und noch bevor sie einen Ton herausbrachte und widersprechen konnte, sagte Lord Cardon: »Ich sehe, es ist eine Überraschung für dich, aber ich weiß, daß es eine freudige Überraschung ist, daß du dich geehrt fühlst bei dem Gedanken, die Gattin eines so angesehenen Politikers zu werden. Ich habe Sir Rupert erklärt, daß deine Mutter und ich euch beiden gerne unseren Segen geben werden und daß wir eure Verlobung im COURT CIRCULAR bekanntgeben werden, sobald Sir Rupert es wünscht.«
Jetzt endlich fand Elisabeth ihre Stimme wieder.
»Aber Papa, ich kann - nicht...« begann sie, brach jedoch ab, als sie spürte, wie sich der Druck der väterlichen Hand auf ihrer Schulter schmerzhaft verstärkte.
»Du wirst natürlich sehr traurig sein, deine Mutter und mich verlassen zu müssen«, sagte ihr Vater. »Das ist nur allzu begreiflich. Aber Sir Rupert - dessen bin ich gewiß - wird für deine mädchenhaften Befürchtungen und dein kindliches Zaudern Verständnis haben.«
Er wandte sich Sir Rupert zu, aber seine Hand umfaßte Elisabeths Schulter immer noch mit unnachgiebigem Griff.
»Wenn es Ihnen paßt, sollten wir uns morgen über die Einzelheiten unterhalten, Wroth.«
»Ich werde nach dem Luncheon vorbeischauen«, erwiderte Sir Rupert. Er ergriff Elisabeths zitternde Rechte und hob sie an die Lippen.
»Sie haben mich sehr glücklich gemacht«, sagte er, wandte sich um und ging zur Tür.
»Ich werde Sie hinausbegleiten«, sagte Lord Cardon. »Elisabeth, du wartest hier, bis ich zurück bin.«
Sie verließen den Raum, ohne sich noch einmal nach dem Mädchen umzuschauen. Elisabeth stand da wie zu Stein erstarrt. Das Erlebte war wie ein Alptraum, und sie betete inständig, daß sie bald daraus erwachen möge.
Aber der Alptraum dauerte an, und als ihr Vater zurückkehrte, wußte sie, daß es daraus niemals ein Erwachen geben würde.
Lord Cardon schaute seine Tochter forschend an, und sie wußte, daß er ihre Ablehnung gespürt hatte. Der harte Griff um ihre Schulter war beabsichtigt gewesen. Er hatte sie davon abhalten wollen, ihrem Entsetzen über den Antrag Sir Ruperts Ausdruck zu verleihen.
»Du kannst dich glücklich schätzen«, sagte er abrupt. »Papa, ich kann ihn nicht - heiraten«, stammelte Elisabeth, »Ich kann es nicht!«
»Und was soll das heißen?«
Die Frage kam unwillig, und sein Gesicht war rot vor Zorn. Aber diesmal ließ Elisabeth sich davon nicht einschüchtern.
»Ich liebe ihn nicht, Papa!«
»Liebe! Was hat Liebe mit einer guten Ehe zu tun?«
»Ich liebe - einen anderen«, gestand Elisabeth.
»Und wer ist das, wenn ich fragen darf?«
Lord Cardon machte eine Pause. Sein Gesicht hatte inzwischen eine dunkelrote Färbung angenommen, und die Pupillen seiner Augen waren unnatürlich vergrößert.
Mit zornbebender Stimme fuhr er fort: »Du brauchst auf diese Frage nicht zu antworten. Ich kann mir schon denken, um wen es sich handelt. Es wird dieser mittellose Strolch sein, dieser milchgesichtige Soldat, den ich letzte Woche aus dem Haus geworfen habe. Du bildest dir also ein, ihn zu lieben, wie? Na gut, bilde dir ein, was du willst, aber es ist Wroth, den du heiraten wirst - und zwar so bald wie möglich!«
»Aber... aber, Papa...« begann Elisabeth.
»Da gibt es kein Aber mehr!« donnerte Lord Cardon. »Wroth ist eine gute Partie, und du kannst verdammt froh sein, daß er um deine Hand anhält. Wenn du glaubst, ich lasse zu, daß du dich irgendeinem hergelaufenen Tunichtgut ohne renommierte Familie und ohne Zukunftsaussichten an den Hals wirfst, täuschst du dich gewaltig: Du heiratest Wroth! Und sollte der junge Schnösel die Unverfrorenheit besitzen, jemals auch nur einen Fuß auf meinen Grund und Boden zu setzen, werde ich ihm die Seele aus dem Leib prügeln. Und merke dir - für dich gilt das gleiche, solltest du versuchen, dich mit ihm zu treffen. Ist das klar? Hast du gehört, was ich gesagt habe?«
Elisabeth hatte gehört, jedes Wort, das er gesagt hatte, denn ihr Vater brüllte aus Leibeskräften. Und als sie aufschaute und das inzwischen blaurote, wutverzerrte Gesicht und die dick hervortretenden Adern auf seiner Stirn sah, vermochte sie ihm nicht länger zu trotzen. Mit einem kläglichen kleinen Schrei, der äußerste Angst und Hoffnungslosigkeit verriet, wandte sie sich ab und lief aus dem Raum. Blind vor Tränen eilte sie in die Halle, begegnete ihrer Mutter und lief an ihr vorbei, ohne sie zu bemerken.
Auf ihrem Zimmer angelangt, warf sie sich in Isabels Arme und berichtete der Kusine verzweifelt schluchzend und am ganzen Körper zitternd das Vorgefallene.
»Wenn ich dich doch nur hätte warnen können«, sagte Isabel, »denn ich wußte schon, daß es so kommen würde.«
»Du wußtest es schon?«
»Ja«, antwortete Isabel unglücklich. »Ich wollte dir gerade davon berichten, was ich erlauscht hatte, als Bessie ins Zimmer kam. Du kannst ihn auf keinen Fall heiraten, Elisabeth. Er ist ein brutaler Mensch, ein Teufel in Menschengestalt.«
»Ich