150. Die fälsche Braut. Barbara Cartland

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150. Die fälsche Braut - Barbara Cartland


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regte sie sich auf? War jemals ein Mensch fair zu ihr gewesen, seit sie nach Rowanfield Manor gekommen war?

      Sie, die unerwünschte arme Verwandte! Die Vollwaise, die auf die Güte, die Almosen der anderen angewiesen war. Die einzige im Haus, die kein Recht auf ein eigenes Leben und eine eigene Persönlichkeit hatte!

      Isabel dachte an die Zeit mit Vater und Mutter. Sie waren arm gewesen, aber das winzige Haus, das sie bewohnt hatten, war ein Ort der Heiterkeit und des Glücks gewesen.

      Glück!

      Seit sie bei ihrem Onkel und ihrer Tante wohnte, war ihr die Erinnerung daran gewaltsam ausgetrieben worden. Sie wußte nicht mehr, was es hieß, ohne Streit zu leben, ohne Furcht, ohne das bedrückende, schmerzhafte Bewußtsein, von niemandem geliebt zu werden.

      Nie, nie würde sie Rowanfield Manor ihre Heimat nennen. Heimat war ein Ort des Friedens und des Lachens, eine Zuflucht vor den Widrigkeiten und Gefahren der Welt. Heimat und Glück, diese beiden Begriffe gehörten in Isabels Vorstellung untrennbar zusammen.

      Aber auch zu Hause, so erinnerte sich Isabel, hatte es Zeiten gegeben, da in den Augen der Mutter Tränen gewesen waren. Dann, wenn sie voller Angst auf Vaters Rückkehr gewartet hatte, wenn die Stunden vergingen und er noch immer nicht heimgekehrt war.

      Isabel hatte dann die Arme um den Hals der Mutter geschlungen und sie angefleht: »Bitte, Mama, schau doch nicht so unglücklich! Ich möchte, daß du glücklich bist und lachst. Es ist unschön von Papa, dich so zu quälen, daß du weinen mußt!«

      »Ich weine nicht, mein Liebling, antwortete die Mutter, »Ich mache mir nur Sorgen. Dein Vater ist spät heute, viel später als gewöhnlich. Er könnte einen Unfall gehabt haben.«

      Aber Isabel wußte, daß es nicht die Furcht vor einem Unfall war, die ihre Mutter beschäftigte. In ein oder zwei Stunden würde die Tür auffliegen und ihr Vater im Zimmer stehen. Er würde den Namen der Mutter und vielleicht auch den seiner Tochter rufen, und beide würden sich jubelnd in seine ausgebreiteten Arme werfen.

      Er würde sie an sich drücken, sie auf beide Wangen küssen, und sein Atem würde nach Zigarren und Brandy riechen. Er würde in Isabels Haar greifen, und dann würde die übliche Frage kommen, warum sie herumsäßen, als wären sie bei einer Beerdigung!

      »Mama hat sich deinetwegen Sorgen gemacht!« würde Isabel dann vorwurfsvoll sagen.

      Und der Vater würde antworten! »Bin ich zu spät? Oh, das tut mir leid. Aber ich wurde aufgehalten. Man schlug mir ein Spielchen vor, und ihr wißt, wie schwierig es ist, mittendrin aufzuhören. Sie könnten einen für einen Spielverderber halten!«

      »Ich war nicht wirklich beunruhigt«, würde Mutter dann antworten, und Isabel würde sie mit einem Anflug von Verachtung anschauen und nicht begreifen, warum sie nicht die Wahrheit sagte.

      Schon damals hatte sie gelernt, daß Männer so waren - sogar die Besten unter ihnen. Sie war erst sieben gewesen, als sie entschieden hatte, daß sie ihren Vater zwar liebte, ihre Mutter jedoch stets die Wichtigere für sie sein würde. Papa war lustig und hatte herrliche Spielideen, aber er war nicht zuverlässig. Er versprach etwas hoch und heilig, und hatte es schon im nächsten Moment wieder vergessen. Wenn er Karten spielte, war es am schlimmsten: Er vergaß alles um sich herum, vor allem die Zeit. Und außerdem - das erfuhr Isabel später - konnte er sich das Spielen überhaupt nicht leisten. Sie besaßen nicht die Mittel dazu, und wenn er verlor, was meist der Fall war, mussten sie tagelang hungern, und über Nacht verschwand dann wieder eines der wenigen wertvollen Dinge, die sie noch besaßen.

      Aber Männer waren nun einmal so!

      Die Bedeutung dieses Satzes wurde Isabel erst in seiner ganzen Tragweite bewußt, als sie nach Rowanfield Manor kam. Es war schwer zu glauben, daß Onkel Herbert der Bruder ihres Vaters war. Sie waren so verschieden wie Tag und Nacht. Und doch erinnerten die Selbstsucht und Gemeinheit ihres Onkels sie oft an die Tränen der Mutter, die stundenlang auf die Heimkehr eines Mannes wartete, der vom Spielteufel besessen war.

      Der Unfall, der Isabel zur Vollwaise gemacht hatte, war ausschließlich die Schuld ihres Vaters gewesen. Man hatte ihn gewarnt, hatte ihm gesagt, daß ein Sturm über dem Meer heraufzog. Alle hatten ihn beschworen, mit seiner Yacht im Hafen zu bleiben. Aber er hatte um zwanzig Sovereigns gewettet, daß er zwei Meilen an der Küste entlangsegeln, einen Kasten mit Wein an Bord nehmen und vor Morgengrauen wieder zurück sein würde.

      Als Isabels Mutter von dieser Wette hörte, war jeder Blutstropfen aus ihrem Gesicht gewichen und sie hatte einen Entsetzensschrei ausgestoßen.

      »Aber überleg doch, wir können es uns nicht leisten, eine solche Summe zu verlieren!« hatte Vater ihr entgegengehalten und mit seinem strahlenden Lächeln hinzugefügt: »Aber wir werden die zwanzig Sovereigns nicht verlieren, wir werden die Wette gewinnen. Und du wirst mitkommen als meine Mannschaft. Du kennst das Boot besser als jeder andere, und wenn wir das Geld gewonnen haben, werde ich dir das goldene Medaillon kaufen, das du in der vergangenen Woche im Schaufenster des Juwelierladens bewundert hast.«

      »Es ist verrückt!« rief Isabels Mutter.

      »Aber ich liebe es nun einmal, verrückte Dinge zu tun!« war die Antwort.

      Dann wurde Isabel von den Armen des Vaters umschlossen und hochgehoben.

      »Auf Wiedersehen, Püppchen!« sagte er lachend. »In zwei Stunden sind wir zurück!«

      Er nahm seine Ölhaut und lief den Gartenweg hinunter. Es war das letzte Mal, daß sie ihn und ihre Mutter lebend gesehen hatte. Selbst jetzt noch, nach so langer Zeit, erfaßte sie ein Zittern, wenn sie an die Stunden dachte, die sie voll banger Sorge auf die Rückkehr der Eltern gewartet hatte, bis dann die fremden Männer gekommen waren und ihr erzählt hatten, was geschehen war.

      Auf einem kleinen, mit Unkraut bewachsenen Friedhof hatte die Beerdigung stattgefunden. Isabel war wie versteinert gewesen, unfähig, eine Träne zu vergießen, unfähig, das Vorgefallene überhaupt zu begreifen. Alles war ihr vorgekommen wie ein böser Traum. Nur die massige Gestalt ihres Onkels schien Wirklichkeit zu sein. Sie hatte ihn nie zuvor gesehen, aber sie wußte, daß er der Earl von Cardon war. Wenn ihr Vater seinen Namen manchmal ganz beiläufig erwähnte, hatte es der Mutter die Zornesröte ins Gesicht getrieben.

      Nach dem Begräbnis war der Onkel zu ihr hingetreten und hatte gesagt: »Dein Vater hat sich schon immer wie ein Narr aufgeführt. Er heiratete ohne die Zustimmung der Familie, und dafür mußte er die Folgen tragen. Wenn es euch schlecht ging, trug er allein die Schuld daran!«

      »Es ging uns nicht schlecht«, erwiderte Isabel trotzig. »Wir waren zwar arm, aber nicht unglücklich. Alle drei nicht!«

      »Nicht unglücklich? Hier in diesem Haus?«

      Lord Cardons Ton klang verächtlich. Er schaute sich in dem engen Wohnraum um. In diesem Augenblick bemerkte Isabel zum ersten Mal, wie schäbig und armselig das Zimmer war. Zum ersten Mal bemerkte sie den abgetretenen Teppich, die vergilbte Tapete, die sich stellenweise schon von der Wand gelöst hatte, die gebrochenen Spiralen des Sofas, die vielfach geflickten und verblichenen Vorhänge an den Fenstern.

      Isabel hatte geschwiegen, aber in ihrem Herzen war eine Woge des Hasses gegen ihren Onkel aufgebrochen. Mit einem Schlag hatte er alle ihre Illusionen zerstört, ihr geliebtes Zuhause aller Wärme und Schönheit beraubt. Er hatte es armselig und zu einem Nichts gemacht. Und als sie dann mit ihm nach Rowanfield Manor fuhr, fühlte sie sich nicht nur als Waise, sondern auch als Bettlerin.

      »Deine Tante und ich werden dir ein Zuhause geben, bis du alt genug bist, dir deinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen«, sagte er großartig, »Aber du solltest nie vergessen, daß es unsere Wohltätigkeit ist, von der du lebst, und wir erwarten dafür deine Dankbarkeit. Ich mag die Art nicht, wie du mir antwortest, wenn ich dich etwas frage. Sie ist respektlos. Du mußt es lernen, bescheiden zu sein, mein Kind. Bescheiden und dankbar für jede Wohltat, die du empfängst - denn einen Anspruch hast du auf gar nichts.«

      Vom ersten Moment an hatte er versucht, ihren Willen zu brechen - und war damit gescheitert. Immer wieder, wenn sie sich seinen Befehlen widersetzt hatte und


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