Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch
Читать онлайн книгу.großartige Gedanken in bezug auf ein nordisches Patriarchat fanden nach seinem Tode, als mit Gregor VII. eine dem deutschen Reiche feindliche Stimmung zur Herrschaft gekommen war, kein Verständnis mehr in Rom. Nun empfing König Sven schmeichlerische Briefe vom Papst mit Aufmunterungen, die nordischen Reiche durch Gründung eines eigenen Erzbistums von den Deutschen zu befreien. Sven jedoch, dem die Abhängigkeit von Rom nicht lockender erscheinen mochte als die vom Kaiser, antwortete nicht. Er starb fünf Jahre nach Adalbert. Sein Nachfolger verhielt sich gegenüber weiteren Bemühungen Gregors, eine schwedische Nationalkirche zu gründen, ebensowenig zugänglich, erst Paschalis II. erhob im Jahre 1104 das Bistum Lund zum Erzbistum und übertrug ihm die Leitung des ganzen skandinavischen Nordens. Einige Jahrzehnte später trat in Erzbischof Eskil ein Mann auf, der den neuen Anspruch energisch ins Werk setzte. So war denn im Norden ebenso wie im Südosten der deutschen Kirche der Einfluß abgeschnitten, den sie anfangs auf die heidnischen Völker ausgeübt hatte, und Skandinavien wie Ungarn und Polen unmittelbar dem Papst unterworfen. Tatsächliche Herrschaft über die umwohnenden Völker auszuüben, hatten die Deutschen nicht Kräfte und Mittel genug, und überall begegneten ihnen hervorragende Männer, die ihnen die Kraft des fremden Volkstums entgegensetzten. Innerhalb dieser Wechselwirkung aber hatte das deutsche Volk, das Träger des Weltreichsgedankens war, doch noch ein so großes Übergewicht, daß es Angriffe nicht zu fürchten brauchte und mit dem Glanz seines ruhmreichen Namens weithin wirken konnte. Den slawischen Nachbarn entriß es sogar in langen, schweren Kämpfen so große Gebiete, daß damit fast ein neues Reich dem alten hinzuwuchs.
Imperatoren
Zur Zeit Rudolfs von Habsburg, also am Ende des 13. Jahrhunderts, schrieb Jordanus von Osnabrück ein Buch über das Römische Reich und seine Übertragung auf die Deutschen; als Verfasser wird jetzt ein anderer, aber auch ein Westfale angesehen. Er erzählt, wie Äneas und Priamus, des großen Priamus Sohn, von Afrika nach Italien zogen, wo Äneas blieb. Priamus sei nach Gallien gegangen, habe die Gallier nach Westen gedrängt, habe am Rhein Xanten und Bonn gegründet, und seine Begleiter hätten sich mit den Frauen der einheimischen Teutonen, Nachkommen eines Riesen, verbunden und ihre Sprache erlernt. Das aus dieser Verbindung entsprungene Volk der Germanen werde von den Römern, dem Volke des Äneas, als Zwillingsbruder angesehen. Später wurden die Germanen, so heißt es weiter, von Julius Cäsar unterworfen, da sie aber, nachdem die alte Brüderschaft erneuert war, für die Römer die Alanen besiegten, wurden sie von den Römern aus Dankbarkeit von der Tributzahlung befreit und deshalb Franken genannt. Auf die Ostfranken wird das römische Imperium übertragen, während die Römer als die älteren Brüder das Sacerdotium übernehmen; zur Entschädigung erhalten die Westfranken das Studium. Sacerdotium und Studium sind des Reiches Dach und Fundament; aber das Imperium, nämlich Aachen, Arelat, Mailand und Rom, sind seine Mauern. Die Schrift hatte den Zweck, die Feinde der Deutschen, namentlich die Kirche und Frankreich, zu warnen. Es ist göttliche Bestimmung, das ist ihr Grundgedanke, nicht menschliche Erfindung, daß das Kaisertum den Deutschen gegeben ist. Wie die Kirche die Kirche Gottes ist, so ist das Reich das Reich Gottes, Kirche und Reich sind nicht zu trennen. Stürzt das Imperium, so stürzt auch die Kirche, und der Weltuntergang ist da. Es war die allgemeine Annahme, daß dem Untergang des römischen Weltreiches die Herrschaft des Antichrist folgen werde.
Magnanimiter et imperialiter, mit großem Herrschersinn, sollten die Deutschen das Reich innehaben; dieser Aufgabe haben die deutschen Kaiser entsprochen. Sie erfaßten die Pflichten, die das Imperium, die Weltherrschaft ihnen auferlegte, als die größte und wichtigste. Nach ihrer Meinung und der ihres Volkes unterschieden sie sich durchaus von allen anderen Königen und Fürsten dadurch, daß sie nicht nur ihrem Volke, sondern daß sie der gesamten Welt, insbesondere der Christenheit vorstanden. Sie vollzogen zwar, nachdem sie zu Königen gekrönt waren, zuerst den Umritt durch Deutschland, um sich von allen Stämmen huldigen zu lassen; denn als den Königen der Deutschen stand ihnen das Imperium zu, und diese Grundlage mußte also zuerst gesichert werden; dann aber hatte der Zug nach Rom zu folgen, wo durch die Krönung des Papstes die Übernahme der höchsten irdischen Würde besiegelt wurde. Während andere Kriege und Feldzüge nur mit Zustimmung der Großen des Reiches unternommen werden konnten, waren alle Reichsglieder ohne weiteres verpflichtet, dem Könige zur Romfahrt Zuzug und Beiträge zu leisten. An eine Weltherrschaft im altrömischen Sinne dachten die deutschen Nachfolger der Cäsaren nicht, und es hätte das auch dem germanischen Staats- und Rechtsgefühl gar nicht entsprochen; nur auf eine persönliche Oberhoheit des Kaisers kam es an, die auch lange Zeit allgemein anerkannt wurde. Die Reiche des Nordens und Ostens, die zum Teil von Deutschland aus christianisiert und kolonisiert waren, unterwarfen sich, wenn auch nur nach immer wiederholten Auflehnungen, der Lehenshoheit des Kaisers, was sich darin ausdrückte, daß sie ihn nicht bekämpften, zuweilen sogar ihm Heeresfolge leisteten. Auch England und Frankreich anerkannten das Imperium, Frankreich allerdings mit dem (nur so lange es schwach war) zurückgehaltenen Gedanken, daß sie, die Westfranken, mehr Recht daran hätten, als die Ostfranken. Das Bewußtsein der Einheit, das in den Völkern des Abendlandes lebendig war, kam in der Anerkennung der miteinander verbundenen päpstlich-kaiserlichen Herrschaft zum Ausdruck. Man hätte sich aus der abendländischen Gemeinschaft ausgeschaltet, wenn man die Hoheit der beiden Häupter, die zusammen das Ewige Rom beherrschten, geleugnet hätte. Daran allerdings konnte man zweifeln, ob die Deutschen durchaus Träger des Imperiums sein müßten. Daß sie es waren, konnte man, wenn man Lust hatte, auf Priamus und Äneas zurückführen; tatsächlich waren sie es geworden durch ihre militärische Übermacht und ihre geographische Lage. Als das Reich der Mitte, als ein Land, reich an starken Männern und Waffen, als ein empfängliches Volk, das fremden Einflüssen zugänglich und zugleich fähig war, sie eigenartig zu verarbeiten, als ein phantasievolles Volk, das zwar kriegstüchtig, aber nicht eigentlich eroberungssüchtig war, besaßen die Deutschen viele Eigenschaften, die sie geeignet machten, Vermittler, Träger der Einheit zu sein.
Was den Kaisern oblag, dem Reich, dessen Grenzen der Idee nach mit den Grenzen der Welt zusammenfielen, Richtung, Recht und Frieden zu geben, überstieg Menschenkraft; deshalb hatten die Kaiser fast alle, mit Ausnahme Karls des Großen und Ottos des Großen, einen tieftragischen Zug. Aller Leben war ein fortwährender Kampf, ein fortwährendes vergebliches Bemühen, das Unmögliche zu verwirklichen, wobei sie sich aufrieben. Die meisten starben jung, Otto II. und Otto III. erreichten nicht einmal das Mannesalter, Konrad II. wurde 50, Heinrich III. nur 40 Jahre alt, Heinrich IV. starb mit 56 Jahren, Heinrich V. mit 44 Jahren. Vorteile gab es kaum zu erlangen außer größere Ehre und größere Verantwortung. Daß es trotzdem nie an Bewerbern um die Krone fehlte, erklärt sich daraus, daß es im Kreise derer, die sich berechtigt fühlen konnten, immer Hochherzige gab, die eben die Ehre und die Verantwortung lockte. Schon Deutschland zu einigen erforderte eine ungeheuere Anspannung der Kräfte, die geleistet werden mußte nicht mit Söldnern und einem Volksheer, sondern mit Hilfe von Vasallen, von denen die meisten nur dann gehorchten, wenn sie dabei zu gewinnen hofften. Es kam nie vor, daß alle Stämme, alle Reichsglieder sich freiwillig dem gewählten Kaiser unterwarfen; das Deutsche Reich war nichts fest Umgrenztes, es mußte fortwährend neu gebildet werden. Zu dieser Aufgabe, das Reich im Inneren zu einem Ganzen zusammenzufassen, kamen die Einfälle der fremden Völker im Norden, Osten und Süden, die stets wachsame Angriffslust Frankreichs und die Gegnerschaft des Papstes. War es das Gefahrvolle, so war es doch auch das Wundervolle in der Verfassung des Römischen Reiches Deutscher Nation, daß es darin keine Gewalt gab, die nicht einen Gegenspieler gehabt hätte, der es ihr unmöglich machte, unbeschränkt zu herrschen. Niemand konnte nur befehlen, niemand hatte nur zu gehorchen. Selbst die hörigen Bauern hatten wenigstens in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters ihren Grundherren gegenüber bestimmte Rechte, die es ihnen ermöglichten, übermäßigen Druck abzuwehren; erst in der Verfallzeit wurden sie ganz wehrlos. Jeder Stand mußte sich sein Bestehen und Gedeihen im täglichen Kampf erobern. Ein Spiel von leidenschaftlichen Gegensätzen, die nie aufhörten, sich auszuwirken, führte oft zu unheilvollen Erschütterungen, erzeugte aber doch Jahrhunderte hindurch großartige Schöpfungen auf allen Gebieten und gab Menschen und Ereignissen großen Umriß. Am Gegensatz entbrennt das Feuer der Geschichte. – Heinrich III, Herzog von Bayern, war nach dem Tode Ottos III. der Nächstberechtigte zur Königskrone als nächster