Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch
Читать онлайн книгу.eine triumphierende Macht und einen weltumfassenden Gedanken.
Heinrich IV. und Gregor VII.
Eine neue Idee ergriff die Geister, ein neues Schlagwort erklang und wirkte: die Unabhängigkeit der Kirche von weltlicher Gewalt. Es war eine ganz und gar berechtigte, selbstverständliche Idee, die früher oder später zur Auflehnung gegen Eingriffe der Kaiser in das kirchliche Gebiet führen mußte. Nicht nur aber Bevormundung von Seiten des Staates mußte die Kirche ablehnen; es lag ihr nah, ihrerseits eine solche über den Staat ausüben zu wollen. Mit dem Sitz in Rom war der Anspruch auf Herrschaft so notwendig verbunden, daß, sowie ein hervorragender, zur Herrschsucht neigender Mann Papst wurde, das Gefühl, Nachfolger der Cäsaren zu sein, ihn ergriff. Dann verschmolz die Idee des römischen Weltreichs mit der Idee der christlichen Weltkirche zu einem Trachten nach Weltherrschaft von fürchterlicher Kraft. Der Papst war dann nicht nur das Oberhaupt der christlichen Kirche, der dem Kaiser das weltliche Schwert zu führen überließ, sondern er war der römische Kaiser römischer Nation, der in dem römischen Kaiser deutscher Nation einen barbarischen Usurpator sah. Das machte sich geltend, sowie schwache Kaiser die Regierung innehatten. Während das Reich unter den Söhnen und Enkeln Karls des Großen zerfiel, in der Mitte des 9. Jahrhunderts, als man glaubte, der Untergang der Welt stehe bevor, bestieg den päpstlichen Stuhl Nikolaus I., ein vornehmer und gebildeter Römer, und ergriff die Zügel, die den erschlafften Händen der Karolinger entfallen waren. Die ratlose, rings von Barbarenhorden überflutete Christenheit klammerte sich an den neuen Elias, der in einer zertrümmerten Welt die einzige, die ewige Macht darstellte. Die Gunst des Augenblicks erkennend, legte er mit sicherer Hand den Grund zur Herrschaft: zog möglichst viele Streitfälle vor ein schiedsrichterliches Urteil, erklärte jeden für den Bann verfallen, der die von den römischen Bischöfen erlassenen Dekrete und Entscheidungen nicht anerkenne, suchte die Bischöfe von sich abhängig zu machen. Diese widerstrebten: der Erzbischof Günther von Köln protestierte gegen die Absicht des Papstes, die Welt zu beherrschen, fuhr fort, die Exkommunikation verachtend, in der Kirche zu amtieren, aber schließlich mußte er sich doch unterwerfen. Die außerordentlichen Machtansprüche Nikolaus I. konnten allerdings von seinen Nachfolgern nicht durchgesetzt werden; vergessen und aufgegeben wurden sie nicht. Nur auf Augenblicke konnten die beiden Gewalten, die gemeinsam die Welt regieren sollten, im schwebenden Gleichgewicht erhalten werden; zu sehr waren die Interessen der beiden Völker, denen sie angehörten, verschieden, zu sehr die Kaiser zugleich Könige der Deutschen, zu sehr die Päpste zugleich Herren von Rom, Cäsaren, Weltherrscher. Hätte Heinrich III. länger gelebt, so wäre der Kampf zwischen Kaiser und Papst hinausgeschoben; er entbrannte, als sich nach seinem Tode ein übermütiger, zuchtloser junger Mann und ein Dämon der Herrschsucht gegenübertraten.
In den Chroniken wird erzählt, daß, während Heinrich III. sich in Rom aufhielt, dort eines Zimmermannes Söhnchen bei der Arbeitsstätte seines Vaters mit Spänen spielend sie in der Form von Buchstaben zusammenlegte. Zufällig kam ein Priester vorbei und las, daß die Buchstaben den Satz bildeten: Dominabor a mari usque ad mare – ich werde herrschen von Meer zu Meer. Er schloß daraus, daß das Kind einst Papst werden werde und machte den Zimmermann darauf aufmerksam, der es daraufhin zur Schule schickte. Es wurde gelehrt und kam in die kaiserliche Kanzlei, wo des Kaisers junger Sohn ihn kennenlernte und zu verspotten pflegte. Da träumte der Kaiser einmal, daß dem Zimmermannssohn, der Hildebrand hieß, zwei Hörner bis an den Himmel wuchsen, mit denen er seinen Sohn erfaßte und in den Dreck warf. Die Kaiserin legte den Traum so aus, daß Hildebrand Papst werden und ihren Sohn vom Throne stoßen werde. Auch erzählte man sich, dem guten Bruno von Toul, dem Papst Leo IX., sei Hildebrand im Traum in einem flammensprühenden Gewand erschienen, und indem er das Hildebrand erzählt habe, habe er hinzugefügt: »Wenn du je, was Gott verhüte, den Apostolischen Stuhl besteigst, wirst du die ganze Welt in Verwirrung bringen.« Sicherlich machte sich die bedeutende Persönlichkeit des Mönchs schon früh bemerkbar, sein Wille gebot in Rom, bevor er selbst Papst wurde. In seinem Sinne wurde auf der berühmten Synode des Jahres 1059 beschlossen, daß die Papstwahl künftig dem Kardinalskolleg, Klerus und Volk, den Wählern nach altem kanonischen Recht, nur die formelle Zustimmung zustehen solle. Dem Kaiser sollte das Recht bleiben, die Wahl zu bestätigen, was aber auch nicht eigentlich ein Recht, sondern ein persönliches Zugeständnis des Papstes sein sollte. Dadurch war der Einfluß des Kaisers auf die Besetzung des Päpstlichen Stuhles ausgeschaltet. Die Kirche zu befreien war ein großes und gutes Ziel; aber Hildebrand kam es nicht mehr nur auf Freiheit, sondern auf Herrschaft an. Es scheint in der menschlichen Natur begründet zu sein, daß Freiheit unter den Menschen sich selten verwirklichen läßt, was Goethe in den furchtbaren Worten ausgedrückt hat, man müsse Amboss oder Hammer sein. Die einen Druck abwerfen wollen, trachten gewöhnlich danach, ihn selbst auszuüben; wer die anderen nicht unterwirft, muß fürchten, unterworfen zu werden. Hildebrand, als Papst Gregor VII., erklärte förmlich den Anspruch der Kirche, den Staat zu beherrschen; er begründete das mit der Stellvertretung des allmächtigen Gottes durch den Papst. Es kam nun darauf an, den kaiserlichen Einfluß auch auf die Wahl der Bischöfe abzustellen; das wurde vorbereitet durch die Ausdehnung des Begriffes der Simonie auf jeden Eingriff von weltlicher Seite in die Besetzung kirchlicher Stellen. Wären die Bischöfe nichts als Priester gewesen, hätte man diese Auffassung billigen müssen; da sie weltliche Fürsten waren, konnte der König auf das Recht, sie zu ernennen oder bei ihrer Ernennung mitzuwirken, nicht verzichten. Die Bischöfe waren seit der Zeit Ottos des Großen die Stütze des Thrones gewesen; geschickter und gefährlicher konnte der Papst den Kaiser nicht angreifen, als indem er sie ihm entzog, sie ihm im Zweifelsfalle zu Gegnern machte.
In dem Kampfe, den Hildebrand entzündete, waren zunächst für den Kaiser die Aussichten nicht schlecht. Die Neuerungen, die der Papst einführen wollte, waren zu einschneidend, zu umwälzend, als daß sie nicht hätten erschrecken und verwirren sollen. Der römische Adel, der durch die neuen Bestimmungen von der Papstwahl ausgeschlossen war, der niedere Klerus, der sich der reformatorischen Strenge, besonders dem Zölibat widersetzte, vor allen Dingen die Bischöfe selbst, sowohl in Deutschland wie in der Lombardei, waren natürliche Gegner des Papstes. Denn seine Absicht war, in der Kirche, die bisher aristokratisch verfaßt war, ein monarchisches, wenn nicht despotisches Regiment einzuführen, wodurch die Bischöfe päpstliche Beamte würden. Von der Natur schien der häßliche kleine Mönch nicht ausgestattet, um anziehend zu wirken; seine fanatische Wut hatte etwas zugleich so Imponierendes und Abstoßendes, daß man ihn den heiligen Satan nannte. Von seinem Namen schließend, hat man ihm germanische Abkunft zugeschrieben, auch die Möglichkeit, daß er jüdisches Blut gehabt habe, ist erwogen worden.
Zwei Umstände aber gab es, die dem Papst zustatten kamen: der Aufstand der Sachsen gegen den Kaiser und des Kaisers Persönlichkeit. Zum ersten Male trat jetzt verhängnisvoll hervor, was so oft noch zu bitteren Kämpfen führen sollte, daß ein Riß durch das Reich ging, der den Norden vom Süden trennte. Es zeigte sich, daß die Sachsen nicht so mit den übrigen Stämmen verschmolzen waren, wie man besonders zu der Zeit hatte glauben können, als Sachsen unter den Ottonen als Stammland der herrschenden Dynastie bevorzugt war. Auch die Salier hielten sich mit Vorliebe in Sachsen auf; das wurde nicht als willkommene Gunst aufgefaßt, sondern als Bestreben, die sächsische Freiheit zu beschränken. Dem lag die Tatsache zugrunde, daß die Salier die Verminderung des Königsgutes durch Erwerbungen in Sachsen ausgleichen wollten, ein berechtigtes Bestreben, das aber die Sachsen zum Widerstand reizte. Zur Zeit Ottos des Großen waren die Erzgruben am Rabenberge bei Goslar entdeckt worden; da alles Bergwerk Regal war, den Königen zustand, bekam dieser Ort für sie eine besondere Wichtigkeit. Heinrich III. machte Goslar geradezu zum Mittelpunkte seines Reiches und gab ihm einen Teil des Reichtums, den er seinem Berge verdankte, in Bauten von unvergleichlicher Pracht wieder. Er errichtete am Fuße des Rabenberges einen Palast, der das Vorbild vieler königlicher und fürstlicher Pfalzen wurde, und nahe dabei den vielbewunderten Dom, von dem ein einziges Portal übriggeblieben ist. Hing Goslar den Königen treu an, so wurden im allgemeinen ihre häufigen Besuche ungern gesehen, die, da die Herrscher mitsamt ihrem Gefolge von der Bevölkerung erhalten werden mußten, teuer zu stehen kamen. Man empfand die Dynastie als Fremde, und vollends als Eindringlinge betrachtete man die Süddeutschen, die sie mitbrachten. Heinrich IV.